Sammlungen

Das letzte Kodak-eigene Schmalfilmlabor wurde geschlossen

Die Katze kommt nicht mehr

Von Jürgen Lossau

Eine offene Glastür, eine verbindliche Stimme an der Rezeption. Wir warten auf Felix Berger, den Mann, der für Kodak in der Schweiz Kinofilm und Schmalfilm verkauft. Die Katze, die beim letzten Besuch des Kodak-Labors in Renens (Schweiz) eingemummelt neben der Heizung lag, kommt nicht mehr. „Früher war sie jeden Tag da“, sagt Berger, als er uns begrüßt. „Wir wissen nicht, wo sie geblieben ist.“ Die Dame an der Rezeption wickelt ihre Telefonate dreisprachig ab: französisch, englisch, deutsch. Auf ihrem Schreibtisch türmen sich Filme, die zu entwickeln sind. Felix Berger holt René Agassis, den Mann, der die weltweit letzte Kodachrome-Entwicklung in einem Kodak-eigenen Labor leitet. Alle begrüßen uns freundlich – und doch liegt eine beklemmende Stimmung über dem Ort. In vier Wochen, Ende September 2006, werden die Entwicklungsmaschinen hier abgestellt. Für immer.

Es wird das Ende einer großartigen Epoche sein. Das Ende eines Films, der seit 1965 millionenfach durch Super-8- und 16mm-Kameras rollte. Das Ende eines Films, dem man eine Haltbarkeit von 100 Jahren zugesteht. „Gerade kürzlich“, sagt Laborleiter Agassis auf dem Weg zur ersten Station unserer Besichtigung, „habe ich 40 Jahre alte Kodachrome-Dias gesehen. Die sahen aus als wären sie gestern entstanden.“

Zunächst gelangen wir in den Raum, in dem von einer geduldigen Dame alle Super-8-Kassetten aus den Versandumschlägen geholt, numeriert und geleert werden. Eine Maschine zieht den Film aus der Kassette im Dunkeln auf eine große Spule. Jeweils sechzig 15m-Streifen passen auf die große Spule, die dann – umgeben von einer Plastikbox – in die Entwicklung gebracht wird. Neben der Maschine steht eine zweite, die dafür gedacht ist, Tonfilmmaterial zu entleeren. „Eigentlich kamen schon gar keine Kassetten mit Tonpiste mehr, aber seit einigen Wochen sind doch wieder welche dabei. Einmal pro Monat kommt auch noch eine 60m-Kassette“, sagt Agassis, der seit mehr als einem Jahr weiß, dass es nun zu Ende geht. „200 bis 300 Super-8-Kassetten erreichen uns im Moment noch pro Tag. Früher haben wir 400 pro Stunde abgewickelt“, zuckt er mit den Schultern. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, bevor er weiter eilt. Hier zeigt heute keiner seine wahren Gefühle.

 

 

Das Herz von Kodachrome

Wir betreten das Herz der Super-8-Entwicklung: den Laborraum. Vor der Dunkelkammer witscht eine kleine Frau mit Brille unruhig hin und her. Sie nimmt volle Spulen von der Maschine, protokolliert das Geschehen in einem kleinen Buch und paßt auf, dass nichts Unvorhergesehenes passiert. „Seit über 40 Jahren ist sie hier“, sagt Agassis, „eine reife Leistung“. Die Dame lächelt verlegen und huscht weiter. Ein Signal ertönt. Jetzt dürfen wir in den Dunkelraum. Hier durchläuft der Super-8-Film diverse Bäder und Belichtungen. Der Kodachrome-Prozeß war früher eine streng geheime Sache. Jetzt zeigt man gern noch mal, wie alles funktioniert. Denn bald wird dieser einmalige chemische Vorgang Geschichte sein.

Hier fädelt sich der nicht enden wollende Film, der zuvor aus den kleinen Kassetten aneinandergeklebt auf eine große 900m-Spule gebracht wurde, von Rolle zu Rolle. Je nachdem, in welcher Tiefe im jeweiligen Tank die zweite Rolle hängt, die den Streifen wieder nach oben umlenkt, bemißt sich die Zeit, die der Film im einzelnen Bad verbringt. Die Entwicklersubstanzen werden durch ein kompliziertes Rohrsystem in die Tanks gepumpt. Das Gemisch in jedem Tank besteht stets aus älterer Substanz, der neu angerührte Bestandteile zugegeben werden. Alter Entwickler und Fixierer werden gleichzeitig wieder abgepumpt. So ist das Mischverhältnis immer exakt gleich.

Zweimal wird der Entwicklungsprozeß durch eine Umkehrbeleuchtung unterbrochen. Das Material läuft an einem Lämpchen vorbei, das dafür sorgt, dass aus einem Negativ ein Positiv wird. Der Film besteht aus einem negativen Bild in drei Silberschichten. Die Farbe beim Kodachrome 40 kommt aus dem Entwickler – und ist nicht etwa im Film enthalten. Der Kodachrome wird also zunächst zum Negativ entwickelt, dass quasi schwarzweiß ist. Danach wird das Material gebleicht, dabei wird das Silberbild zerstört. Die Sensibilisierung der Farbschichten geschieht durch Beleuchtung (Umkehrbelichtung). So wird eine Schicht aktiviert, die sich die jeweilige Farbe dann aus dem Entwickler holt. Die Beleuchtung ist derart ausgerichtet, dass sie nur eine bestimmte Schicht aktivieren kann.

 

 

Komplizierte Umkehr-Entwicklung

Das Komplizierte am gesamten Vorgang ist die präzise Steuerung der einzelnen Entwicklersubstanzen. Sie dürfen nur in der jeweiligen Farbschicht aktiv werden und nicht etwa in eine andere Schicht wandern, um dort ihr Unwesen zu treiben. Nicht minder komplex ist die Diffusion (Anlagerung) der Farbstoffe im Film.

Besonders stolz ist man darauf, dass der Film nur geringer Belastung ausgesetzt ist, wenn er über die Rollen streicht. Die nachgiebig gelagerten Rollen waren vor allem damals, als hier Tonfilme entwickelt wurden, wichtig. Denn jedes Verziehen des Materials hätte unweigerlich die Soundqualität malträtiert.

Ein Stockwerk tiefer haben wir noch einmal die Adern im Blick, die das Herz des Labors mit Chemie versorgen: Zig Metall-Leitungen führen durch Tanks, vorbei an Sichtfenstern zur Qualitätskontrolle und steigen zur Decke, wo sie ins Labor geführt werden. Auf der anderen Seite kommen die Rohre wieder herunter. Die zurückgeführte Chemie wird aufbereitet und – soweit es geht – erneut in den Kreislauf gegeben. Das Silber scheidet man ab – es kann weiter verkauft werden.

Hier unten wacht Sandro Marchili über den einwandfreien Lauf der Dinge. Er schlägt gegen Leitungen und Bottiche: „Alles aus Stahl, alles massiv – das war noch Qualität, die für die Ewigkeit gebaut wurde“, sagt er, wohl wissend, dass die Ewigkeit jetzt endet. Seit 1965, mit Beginn der Einführung der Kodachrome Super-8-Kassette, wird hier entwickelt – zunächst nur für die Schweiz, seit Anfang der 1990er Jahre dann weltweit.

18 solcher Entwicklungsmaschinen hat es früher allein in Stuttgart gegeben. Zur Hochzeit – Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre – kamen in Deutschland rund 20 Millionen Super-8-Kassetten jährlich zur Entwicklung. Da gab es reichlich zu tun. Als die Menge auf weltweit unter eine Million Kassetten jährlich herunter geschnurrt war, reichte eine Maschine – die in der Schweiz.

Noch immer beginnt der Arbeitstag von Sandro Marchili um sieben Uhr mit der Prüfung der Qualität seiner chemischen Bäder. „Ich muss das hier alles selbst ansetzen. Es gibt keine Fertigchemie.“ Er läßt uns einen Blick in die Liste werfen, die die Zutaten der chemischen Bäder enthält. „Jeden Morgen wird ein Probestreifen entwickelt und ausgemessen.“ Am Computer kontrolliert Marchili das gescannte Azetatmaterial. „Sind sämtliche Werte zwischen diesen zwei Balken“, nickt er zufrieden mit Blick auf den Bildschirm, „dann ist alles in Ordnung.“ Er schenkt uns einen der letzten Teststreifen. Den von heute morgen. „Gerade jetzt am Schluß wollen wir noch einmal zeigen, wie gut Kodachrome ist. Wir geben uns besondere Mühe, dass die Qualität stimmt.“

 

 

Die Chemie muss aus den Tanks

Wenn die Entwicklung Ende September eingestellt wird, bleibt er noch drei weitere Monate. „Die Chemie muss aus den Tanks, alles muss rückgebaut werden, damit wir den Laden hier ordentlich dicht machen können“, sagt er und schiebt die Brille nach oben. Das werden gewiß schwere Monate.

René Agassis hat Probleme. Eigentlich bräuchte er noch ein paar Ersatzteile für die Maschinen. „Die gibt es schon lange nicht mehr. Früher musste ich das nur aus einem Katalog aussuchen und bei der Zentrale in Rochester bestellen. Heute müssen wir basteln und improvisieren. Lange wäre das nicht mehr gut gegangen“, gesteht er. Im Keller liegen noch Teile der alten Maschinen aus Stuttgart, aber das was man braucht, ist natürlich gerade meist nicht dabei. Auch die Nummern, die zur Identifizierung an die Filme und an die Versandbeutel geheftet werden, gehen aus. „Ich weiß noch gar nicht, wie wir das in den letzten Wochen meistern werden“, sagt er – aber es wird ihm gewiß etwas einfallen.

Er führt uns zur letzten Station: der Konfektionierungsmaschine. Ein stoischer älterer Herr im blauen Kittel stopft die Versandtaschen in ein Magazin, aus dem sich das ratternde Ungeheuer gleich bedienen wird. Zahllose blinkende Tasten signalisieren, dass es jetzt los geht. Der Film wird in 15m-Abschnitte geschnitten, auf kleine schwarze Rollen gewickelt, in die Tüte gedrückt und verschlossen. An der linken Seite der seit 1979 im Einsatz befindlichen Maschine verlassen die gelben Tütchen über ein Laufband das Gerät. Fertig.

Die Maschine stockt immer mal wieder und der Herr im blauen Kittel weiß stets, wo zu drücken und zu prüfen ist. Dann landen – wie von Geisterhand – wieder die richtigen Filme in den dazugehörigen Tüten.

 

 

Markenzeichen: gelbe Tüten

„Ja, die Tüten“, lacht Agassis über das symbolträchtige Utensil zum Versand der Super-8-Filme. „Was wir darin schon alles gefunden haben. Viele Filmeinsender hatten darin Geld versteckt – vielleicht sogar vor der eigenen Frau, wer weiß? Sie hatten es nur vergessen, haben dann ihren Film hinein gesteckt und ihn zur Entwicklung geschickt.“ Manche haben sich gefreut, wenn bei der Rücksendung neben dem Film plötzlich auch ein unerwartet hoher Geldbetrag mit im Umschlag lag. „Auch einen Skorpion hatten wir mal im Umschlag, der wohl im Urlaub da hinein gekrochen ist oder Kondome, die gab es auch schon.“ Agassis greift sich eine große 900m-Spule, um sie auf einem Schneidetisch anzusehen. „Das mache ich jeden Tag“, meint er, „es ist eine Art Endkontrolle. Ich achte vor allem auf den blauen Himmel. Er muss strahlen. Das ist ein wichtiges Qualitätsmerkmal.“ Mit der Rolle, die in unserer Anwesenheit durchläuft, ist er zufrieden. „Unsere Klebestellen machen wir hier übrigens mit Ultraschall, der Haltbarkeit wegen. Das bringt reißfeste Resultate“, sagt er und verabschiedet sich. „Wir werden uns wohl nicht noch einmal sehen. Alles Gute für sie! Viel Glück.“ Das wollten wir auch gerade wünschen.

Um ein paar letzte Fotos vom Gebäude zu machen, aus dem Ende des Jahres auch der Kodak-Vertrieb (Schweiz und Liechtenstein) sowie die Verwaltung ausziehen werden, gehen wir um das Haus herum. Da finden wir sie. Eingerollt liegt sie unter einem Mauervorsprung der Fassade und beäugt uns kritisch. Die Katze, die sich früher stets ins Kodak-Labor geschlichen hat, bleibt nun lieber draußen.