Die Idee, Zuschauer in einem unbegrenzten Sehfeld ein totales visuelles Erlebnis zu vermitteln, ist älter als das Kino selber – sie stammt aus dem 18. Jahrhundert, wo sie in gemalten Großpanoramen als Massenmedium weltweite Verbreitung und große Popularität fand. Ende Januar 1788 präsentierte Robert Baker in Edinburgh erstmals eine realistische Abbildung der schottischen Hauptstadt als 360° Rundbild. Die entscheidenden Kriterien für die Wirkung von Panoramabildern auf Betrachter – ein möglichst genaues Abbild der Realität zu liefern – wurden von Baker in der dazugehörigen Patenschrift bereits alle festgehalten. Neben der realistischen Darstellung und Aspekten der Maltechnik solcher Bilder waren technische Aspekte der Präsentation (beispielsweise Konstruktion von Panoramarotunden mit zentraler Besucherplattform im richtigen Abstand zum Bild, Abdecken der Ober-/Unterkante des Bildes sowie indirekte Lichtführung für die Wirkung des Bildes) gleichermaßen von Bedeutung.
Der Begriff „Panorama“(griechisch „pan“= alles, „hormam“= das Sehen) wurde erst ein paar Jahre später in der Presse für Bakers Attraktion kreiert. Bakers Erfindung fiel auf fruchtbaren Boden. Die großen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen im 18./19. Jahrhundert ließen in den großen europäischen Metropolen ein wachsendes Bedürfnis nach Unterhaltung entstehen, während gleichzeitig Unternehmer Anlagemöglichkeiten für freies Kapital suchten. Das Seh-Erlebnis Panorama befriedigte beide.
Moderate Eintrittspreise und populäre Sujets – Stadtansichten, historische Stätten, exotische Länder und geschichtliche Ereignisse – waren die Grundlage für den großen Publikumserfolg. Daneben ermöglichten die ab 1831 zunehmend standardisierten Maße der Rotunden, Panorama-Bilder an verschieden Orten zu zeigen und so die hohen Investitionskosten schneller zu amortisieren.
Nachdem das abflauende Interesse um die Jahrhundertmitte an Panoramen all jenen Kritikern recht zu geben schien, die Panoramamalerei als Kommerz und Blendwerk abtaten, erlebte das Medium nach dem Krieg von 1870/71 eine zweite Blüte. Nun waren idealisierte Schlachtszenen gefragt, um dem jeweiligen Nationalismus zu huldigen; an Wallfahrtsorten entstanden Bilder mit religiösen Themen. Schätzungen gehen davon aus, dass Ende des 19. Jahrhunderts in Europa und den USA ungefähr 250 Panoramarotunden betrieben wurden.
Eine ideale Plattform für Monumentalrundbilder boten die seit der Jahrhundertmitte regelmäßig stattfindenden Weltausstellungen. Die Ausstellung in Paris 1900 bildete mit insgesamt sieben Panoramen, darunter das berühmte Seeschlachtbild „Le Vengeur“, bei dem sich die Zuschauerplattform mittels Hydraulik wie ein Schiff im Meer bewegen ließ, Höhe- aber auch Schlusspunkt dieses Mediums.
Inzwischen waren neue Technologien – Fotografie und Film – auf dieser Weltausstellung stark vertreten und wiesen den Weg in die Zukunft.
In Deutschland existiert heute noch im Wallfahrtsort Altötting ein Rundbild, das 1903 in der zweiten Blütezeit des Mediums eröffnet wurde und die Kreuzigungsszene Christi zeigt. Neue Panoramabilder aus dem 20. Jahrhundert sind das Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen (Thüringen) oder das „Staufferrundbild“ im Kloster Lorch (weitere Informationen unter www. panoramapainting.com).
Alt und Neu: Cinéorama auf der Weltausstellung von 1900 in Paris
Der Fotograf Raoul Grimoin Sanson meldete im Jahr 1896 ein Patent auf eine Erfindung an, bei der Altes mit Neuem kombiniert werden sollte: ein Panorama mit bewegten Bildern
Das Publikum auf der Weltausstellung von 1900 in Paris sollte auf eine imaginäre Ballonreise zu touristisch spektakuläre Orten in Afrika und Europa entführt werden.
Das Organisationskomitee zeigte Interesse, worauf sich Grimoin Sanson an die Umsetzung seiner Idee machte und sein System „Cinéorama“ taufte.
1899 war das Aufnahmegerät einsatzbereit: Auf einer runden Holzplatte von 1.5 Meter Durchmesser waren zehn Kameras sternförmig montiert. Mit einer Handkurbel konnte der 70mm Film in allen Kameras mit 16 Bildern pro Sekunde synchron belichtet und transportiert werden. Das Gerät wog eine halbe Tonne! Grimoin Sanson gründete eine Aktiengesellschaft und reiste quer durch Europa und nach Tunesien, um Aufnahmen für seinen Film zu machen. Im April 1900 wurden die Ballonsequenzen für den Anfang und Schluss des Film in den Tuilerien in Paris gedreht. Bei einer „Beinahe-Bruchlandung“ verletzte sich Grimoin Sanson leicht; da die Aufnahmen unbrauchbar waren und die Zeit drängte, wollte man sich für den Schluss damit behelfen, die Start-Sequenz rückwärts zu projizieren. Einzelne Sequenzen des Films wurden nach den Dreharbeiten von Hand koloriert. Die Premiere war auf den 1. Mai angesetzt.
Parallel zu den Dreharbeiten liefen die Bauarbeiten für das Cinéorama-„Kino“, das mit angegliedertem Restaurant direkt unter dem Eiffelturm entstand auf Hochtouren. In einem Rundbau von 30 Meter Durchmesser wurden die zehn Projektoren in einem zentralen Betonzylinder von 5 Meter Durchmesser eingebaut. Unmittelbar darüber befand sich die als Ballongondel gestaltete Zuschauerplattform für 200 Zuschauer (1. Klasse). Um die Illusion zu verstärken, schwebte darüber der untere Teil einer Ballonhülle. Billigere Plätze (2. Klasse) waren ebenerdig rund um den Betonzylinder angeordnet. Die zehn Leinwände von gut 9 Meter Höhe waren an der Wand der Rotunde befestigt. Diese Abmessungen des Cinéormas lassen den Schluss zu, dass Grimoin Sanson darauf spekulierte, seine Erfindung in bestehende Panoramarotunden einbauen zu können.
Die bisher überlieferte Geschichte behauptete, dass das Cineorama am 8. Mai 1900 vor einem begeisterten Publikum Premiere gehabt habe; nach nur vier Tagen seien jedoch nach einem Unfall wegen starker Hitze in der Vorführkabine weitere Vorführungen behördlich verboten worden. Die neuere Forschung zweifelt an dieser Version, fehlen doch sowohl in den vielfältigen Pressenotizen Anfang Mai wie auch im offiziellen Abschlussbericht der Weltausstellung konkrete Hinweise auf tatsächliche Cinéorama-Vorstellungen. Wie dem auch sei – Grimoin Sansons Aktiengesellschaft musste im August 1900 Konkurs anmelden, und ein halbes Jahr später wurden die Geräte versteigert.
Trotz verschiedenen Projekten und Experimenten in den folgenden Jahren sollte es ein halbes Jahrhundert dauern, bis ein nächstes 360° Filmsystem realisiert werden konnte.
Heute lebt das Cinéorama im Musée des Arts et Métiers in Paris weiter: Fotos der Dreharbeiten, einige Apparaturen und Teile des Filmoriginals werden dort aufbewahrt.
Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten: Circarama und Circle Vision 360
Um der zunehmenden Konkurrenz des Fernsehens etwas entgegenzusetzen, beauftragte Walt Disney ein Team von Technikern, um totales 360°-Kinoerlebnis für den geplanten Themenpark „Disneyland“ zu entwickeln. (Die hohen Investitionskosten sollten durch Sponsoring und die lange Laufzeit eines entsprechenden Films gedeckt werden.)
Unter der Leitung von Roger Broggie und Ub Iwerks konzipierte das Disney Team ein neues 360° Filmsystem: das Circarama. Die Kamera-Einheit bestand aus elf Kameras vom Format 16mm, die kreisförmig auf einer Platte montiert waren und synchron gestartet werden konnten. Die Aufnahmegeschwindigkeit konnte von 8-24 Bildern/Sekunde stufenlos verstellt werden.
Das dazugehörige Kino, das ebenfalls Circarama genannt wurde, war ein Rundbau von gut 12 Meter Durchmesser. Die etwa 3 Meter hohe Leinwand war über den Köpfen des stehenden Publikums angebracht und durch elf Öffnungen unterteilt. Als schwarze Balken sichtbar, standen hinter diesen Öffnungen die Projektoren, die das Filmbild quer durch den Raum auf die gegenüberliegende Leinwand projizierten. Die Leinwand war nicht nahtlos, aber durch die Trennbalken ergaben sich keine Probleme mit Unschärfen oder Überlappungen an den Bildrändern.
Der auf vier Magnetspuren aufgenommene Ton bestand aus Begleitmusik und Kommentarstimme. Da die vier gleichmäßig im Raum verteilten Lautsprecher einzeln angesteuert werden konnten, war es möglich, Toneffekte aus einer bestimmten Richtung einzusetzen. Von der kreisrunden Vorführkabine hinter der Leinwand aus konnte die auf Dauerbetrieb ausgelegte Anlage – 3 Shows pro Stunde, 36 pro Tag – gesteuert und überwacht werden.
Der erste Circarama-Film, „A Tour to the West“, war farbig und zwölf Minuten lang. Er zeigte Bilder einer Autofahrt durch bekannte Städte wie Los Angeles und Las Vegas sowie sehenswerte Landschaften wie den Grand Canyon oder das Monument Vally. Wie schon bei Grimoin Sansons „Cinéorama“ war die eigentliche technische Errungenschaft des Systems die absolute Synchronizität der Kameras und Projektoren. Das Disney Team löste diese Aufgabe gut. Obwohl Bildqualität und Lichtstärke im Circarama nicht ganz mit der Qualität des sonst im Kino üblichen 35mm Formats mithalten konnten, waren das Publikum und die Presse vom neuen Seherlebnis begeistert.
Der Erfolg bewog die entsprechenden Stellen, das neue Filmsystem an der Weltausstellung 1958 in Brüssel im US-Pavillon erstmals in Europa zu zeigen. Disney produzierte dazu den neuen Film „America the Beautiful“, bei dem auf einer Reise quer durch Amerika Sehenswürdigkeiten und Errungenschaften des „American Way of Life“ gezeigt wurden. Das Circarama-Kino war abgesehen von den leicht größeren Dimensionen im Prinzip gleich wie dasjenige im Disneyland.
Auch in Europa war das Echo auf die Vorführungen des 360°-Kinos durchwegs positiv, und das Circarama wurde zu einer der Hauptattraktionen der Brüsseler Weltausstellung.
Danach reiste die Anlage 1959 zur Amerika-Ausstellung in Moskau weiter – schließlich landete der Film im Disneyland, wo er „A Tour to the West“ ablöste.
Vor dem Hintergrund des Wettbewerbs der beiden Großmächte wurde ein knappes Jahr nach der Weltausstellung in Brüssel das sowjetisches Pendant zum Circarama unter dem Namen „Krugovaya Kinopanorama“ in Moskau eröffnet, das technisch auf dem gleichen Prinzip beruhte. Das Kino war mit 28 Meter Durchmesser und Platz für gut 300 Zuschauer relativ groß und besaß eine Doppelleinwand, die mit 22 Projektoren bespielt wurden. Während auf der unteren Leinwand der Hauptfilm gezeigt wurde, waren auf der oberen Leinwand spezielle Himmelssequenzen dazu gezeigt.
Der Film zeigte – wie „America the Beautiful“ – touristische Sehenswürdigkeiten, technische Errungenschaften und industrielle Anlagen der damaligen Sowjetunion.
Bei dem 20 Minuten langen Film konnten zum ersten Mal bei dieser Art Film Toneffekte synchron zur Handlung eingespielt werden. Das Kino existiert auch heute noch – wenn auch nicht im Originalzustand – am gleichen Ort in Moskau.
Der nächste Circarama Film, der für die Ausstellung „Italia 1961“ in Turin in Lizenz produziert wurde, war der erste, der in einem Kino mit 35mm-Projektoren vorgeführt werden konnte. Bei der Produktion des Films „Rund um Rad und Schiene“ für die Schweizerische Landesausstellung 1964 in Lausanne bestand die Kameraeinheit erstmals aus neun Standardkameras vom Format 35mm. Wie für den Film in Turin waren die Kameras in einem Winkel von 90° nach oben gerichtet und filmten das Geschehen über Spiegel. Durch diesen Trick konnte die Kameraeinheit viel kompakter gebaut werden; auch konnte so der „tote Winkel“ zwischen den Kameras erheblich verkleinert werden. Ob dieses Prinzip nicht schon beim sowjetischen Krugovaya Kinopanorama-System zur Anwendung kam, lässt sich heute nicht mehr zweifelsfrei eruieren.
Dank dem 35mm-Film konnten die Qualität und Farbigkeit der Bilder erheblich verbessert werden. Gleichzeitig konnte das Kino erheblich größer dimensioniert werden: M it einem Durchmesser von 26 Meter und der gut 83 Meter langen und 7 Meter hohen 9-teiligen Leinwand war der Bau mehr als doppelt so groß wie das Circarama-Kino in Disneyland.
Der 20 Minuten dauernde Film war nur durch Musik untermalt, die in Stereoqualität über sechs hinter der Leinwand angebrachte Lautsprecher ausgestrahlt wurde. Auch in Lausanne war die Begeisterung von Publikum und Kritik groß und das Circarama entwickelte sich zum eigentlichen Publikumsmagneten der ganzen Ausstellung. Mit fast vier Millionen Zuschauer ist dieser Film bis heute einer der meistgesehenen Filme aller Zeiten in der Schweiz.
Natürlich wurde auch das Kino in Disneyland bald darauf dem neusten Stand der Technik angepasst und nach einem Totalumbau unter dem neuen Namen „Circle Vision 360“ 1967 mit einem Remake von „America the Beautiful“ neu eröffnet.
Disneys Grundidee wurde bis Anfang der 1970er Jahre immer wieder aufgenommen und kopiert. Doch obwohl einige Projekte sogar ausgeführt wurden (wie 1964 das britische Circlorama oder Fred A. Niles’ System, nach dem ein Film für die Weltausstellung 1964/65 in New York realisiert wurde) , konnte sich keines der Systeme neben demjenigen von Disney wirklich etablieren.
Zurück in die 50er Jahre: Kuppelträume
Gleichzeitig mit Disney gab es in den 50er Jahren aber auch Ideen zu Rundum-Filmen, die sich grundsätzlich unterschieden. Um im Gegensatz zu zylindrischen Projektionen auch den „Himmel“ mit ein zu beziehen, suchten verschiedene Leute nach Lösungen, um 360°-Filme in Kuppeln zu projizieren, und testeten verschiedene Techniken auf ihre Brauchbarkeit. 1958 präsentierte Adalbert Baltes einen Prototyp seines Systems Cinetarium erstmals auf der photokina in Köln. Das Kino war als runder Kuppelbau mit einem Durchmesser von 7 Metern und einem Fassungsvermögen von 45 Personen konzipiert. Ein im Mittelpunkt des Zuschauerraums angebrachter Projektor warf das Filmbild senkrecht nach oben auf eine hängende Spiegelkugel, von welcher die Bilder rundherum auf die Leinwand reflektiert wurden. Eine 8-Kanal-Anlage sorgte für den passenden, satten Raumton. Für die Aufnahmen wurde an einem Dreibeinstativ eine hängende Spiegelkugel angebracht. Die Kamera wurde senkrecht darunter platziert und filmte das sich in der Kugel spiegelnde Bild. Da sich natürlich auch Kamera und Kameramann spiegelten, war die Unterseite der Kugel schwarz abgedeckt.
Baltes, der nach dem Krieg als Auftrags- und Werbefilmer in Hamburg arbeitete, versuchte in den folgenden Jahren hartnäckig aber erfolglos Geldgeber – darunter auch Walt Disney – für seine Entwicklung zu finden. Angeblich soll Anfang der 60er Jahre an der Reeperbahn in Hamburg ein Cinetarium-Kino existiert haben – ob es sich dabei um Baltes' Test-Anlage oder ein reguläres Kino handelte, ist nicht klar. Das Cinetarium verschwand, ohne die technischen Probleme der indirekten Aufnahme/Wiedergabe zufriedenstellend gelöst zu haben.
An der Weltausstellung 1962 in Seattle konnte mit dem „Cinerama 360“ von der Cinerama Company ein neues erheblich verbessertes System präsentiert werden. Dank einer speziell weitwinkligen Fisch-Augen-Linse konnte der Film direkt auf die Kuppelleinwand projiziert werden. Der 70mm-Projektor war im Zentrum des Zuschauerraums im Boden versenkt angebracht.
Im „Spacearium“ an der Weltausstellung in New York 1964/65 wurde eine verbesserte Version des Cinerama 360 eingesetzt. Unter der gut 24 Meter großen Kuppel, deren Außenhülle der Mondoberfläche nachempfunden war, fanden über 600 Personen für die 15 Minuten lange Vorführung des Film „To the Moon and beyond“ Platz. Trotz Publikumserfolg und guter Kritiken konnte sich auch dieses System nicht nachhaltig etablieren.
Bis heute folgten weinige weitere hemisphärische 360° Filmsysteme aus Japan und Frankreich, aber auch sie waren kommerziell nicht erfolgreich. Trotz des großen Publikumszuspruchs und sehr hoher Eintrittszahlen konnten sich 360°-Filmsysteme nicht nachhaltig etablieren. Ihr Einsatz blieb punktuell auf internationale Ausstellungen und Themenparks beschränkt.
Ein erfolgreicher Konkurrent, dem es in nur einem Jahrzehnt gelang, das weltweit führende Spezialfilmformat zu etablieren, tauchte Anfang der 70er Jahre auf: IMAX. Es ist kein 360°-Filmsystem, sondern arbeitet mit horizontal geführtem 70mm-Film. Dennoch lassen sich mit dieser Technik riesige Leinwandflächen in guter Qualität bespielen. Dank standardisierter Aufnahme- und Wiedergabetechnik schaffte es die IMAX Corporation in kurzer Zeit, ein weltweites Netz von Kinos aufzuziehen.
Wie schon bei den Panoramen liegt der Vorteil dieses Systems auf der Hand: Filme können kostengünstig mehrmals an verschiedenen Orten vorgeführt werden. Heute sind weltweit in 36 Ländern etwa 250 IMAX-Kinos in Betrieb – Zahlen, die für sich sprechen. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass bis zum Ende der 70er Jahre praktisch keine neuen 360°-Filme produziert wurden.
Renaissance: 360°-Filmsysteme ab 1980
In den 80er Jahre kam noch einmal neuer Schwung in die Szene. Die Disney Corporation beschloss für ihre geplanten Themenparks weiterhin auf die Attraktivität von 360°-Filmen zu setzen. Zur Eröffnung von Disney World in Florida 1982 wurden so beispielsweise zwei neue Circle Vision 360 Spielstätten für „O Canada“ und „Wonders of China“ gebaut. Die Filme, beide etwa 20 Minuten lang, zeigten einmal mehr touristische Sehenswürdigkeiten aus den jeweiligen Ländern. Auch für Euro Disney 1991 sowie ein paar Jahre später für Tokyo Disney wurden entsprechende Filme produziert und Kinos gebaut. Das Kino in Disneyland jedoch musste 1992 einer anderen Attraktion weichen und stellte seinen Betrieb für immer ein.
Ab Anfang der 90er Jahre gab es in den USA zudem mit Iwerks Entertainment, die von Ub Iwerks Sohn Don mitbegründet worden war, einen weiteren Anbieter, der selber sowohl 360°-Filme produzieren als auch die entsprechenden Kinos bauen konnte. 1993 produzierte die Firma mit ihrem Iwerks 360 System beispielsweise den Film „Postcards“ für die Weltausstellung in Südkorea. Neu war dabei, dass bei diesem Projekt versucht wurde, wie fürs normale Kino einen kurzen Spielfilm zu realisieren.
Ab Mitte der 80er Jahre steig auch Frankreich wieder mit einem eigenen System in die Produktion von 360°-Filmen ein. Das System hieß Circorama; bis heute wurden damit ein paar Filme produziert, etwa für das Rundumkino im Futuroscope, einem Themenpark in der Nähe von Poitiers, oder für ein Kino in Arromanches in der Normandie. Auch in Japan gab es Ende der 80er Jahre ein eigenes 360°-Filmsystem mit dem Namen Cirkino Vision.
Technisch basierten alle diese Systeme auf Disneys Grundidee: Die Kameraeinheit besteht aus neun 35mm-Kameras; in den entsprechenden Kinos waren gleich viele Projektoren hinter der durch Projektionsöffnungen unterteilten Leinwand angeordnet.
Eine Neuheit war hingegen das 1984 im Verkehrshaus in Luzern eröffnete Swissorama, bei dem zum ersten Mal nahtlos auf eine zylindrische Leinwand projiziert werden konnte. Ernst A. Heiniger, Regisseur des Circarama Films von 1964, fand nach langem Experimentieren in Anlehnung an die Technik der Kuppelfilme eine neue Lösung für Aufnahme- und Wiedergabe von zylindrischen 360°-Bildern mit einem einzigen Film. Die 65mm-Kamera war mit einer speziell weitwinkligen Fisch-Augen-Linse ausgerüstet, die nach unten gerichtet und von einem Plexiglaszylinder umfasst war. Das Zentrum der Linse war abgedeckt, so dass an diesem Ort das Kamerastativ angebracht werden konnte. Ein einzelnes Filmbild zeigte ähnlich wie beim Cinetarium eine kreisrunde verzerrte Abbildung mit schwarzem Zentrum. Das Negativmaterial wurde auf 70mm-Film kopiert und von der Deckenmitte des Kinos durch einen Projektor mit einer identischen Linse verzerrungsfrei und „nahtlos“ auf die zylindrische Leinwand projiziert.
Das erste Swissorama Kino in Luzern hatte einen Durchmesser von 20 Metern und eine Leinwand von gut 60 Meter Länge und 5 Meter Höhe. Knapp 400 Personen konnten die 20 Minuten lange touristische Reise quer durch die Schweiz mit dem Titel „Impressionen der Schweiz“ sehen. Der 6-Kanal-Stereoton bestand nur aus Begleitmusik.
Nachdem sich verschiedene Nachfolgeprojekte in Europa nicht realisieren ließen, zog Heiniger nach Kalifornien. In Kooperation mit Iwerks Entertainment konnte mit verbessertem Equipment und unter dem neuen Namen Imagine 360 ein neuer Film für eine Ausstellung in Japan produziert werden. Nur ein Jahr später wurde in Berlin bei der Gedächtniskirche in einer spektakulären blauen Kugel ein weiteres Swissorama Kino unter großem Medienecho mit dem Film „Destination Berlin“ eröffnet. Auf einer Reise durch die Zeit sollte die wechselvolle Geschichte Berlins gezeigt werden. Der Fall der Mauer nur ein paar Wochen später machte aus dem Film ein Zeitdokument einer vergangenen Epoche. Das Panoramakino schloss seine Tore bereits 1991 wieder: Die Blaue Kugel an der Budapester Straße dient heute als Studio für die ARD-Talk-Show von Sabine Christiansen. Zwar konnte für die Weltausstellung in Sevilla 1992 noch einmal ein neues Imagine 360 Projekt realisiert werden, doch die Idee Heinigers und seiner Partner, ein europäisches Kinonetz aufzubauen, ließ sich nicht verwirklichen. Gut 10 Jahre später wurde auch das Kino in Luzern geschlossen und durch eine andere Attraktion ersetzt. Heute erinnert einzig die im hauseigenen Museum der American Society of Cinemathographers in Los Angeles aufbewahrte Kamera an die Geschichte des Swissoramas.
Zwar werden auch heute noch auf der ganzen Welt einzelne 360°-Filme für spezielle Anlässe produziert, doch haben sich im digitalen Zeitalter die Möglichkeiten von virtuellen Rundherum-Seherlebnissen weiter vergrößert. 360°-Filme sind bis heute – anders als gemalte Panoramen und „normaler“ Kinofilm – Randerscheinungen in der Unterhaltungsindustrie geblieben.
Umso bemerkenswerter ist es, dass es mit der VW Autostadt in Wolfsburg in Deutschland zur Zeit einen Ort gibt, der beide 360°Projektionsverfahren zeigt. Im Konzernforum wird seit 2000 mit „Das Geheimnis der Sicherheit“ ein 12 Minuten langer Kurzspielfilm gezeigt, der mit Disney’s Circle Vision 360 System gedreht wurde. Wie bei diesem Verfahren üblich, steht das Publikum während der Vorführung. Im Unterschied zum Original sind die neun einzelnen Leinwandteile plan, was der gut 56 Meter langen Leinwand die Form eines 9-Ecks gibt. Auch wird die Geschichte nicht auf Film, sondern kostengünstiger ab digitalem Videoband über Beams projiziert. Um das Raumerlebnis zu verstärken, werden Dialoge und Musik aus der jeweiligen Richtung synchron zur Spielhandlung über neun gleichmäßig verteilte Lautsprecher eingespielt.
Daneben beherbergt der VW-Pavillon in einer 18 Meter hohen und fast 70 Tonnen schweren Kugel ein weiteres eindrückliches Rundumfilmerlebnis: das Sphärenkino. Sie bietet Platz für gut 150 sitzende Zuschauer und das 10 Minuten lange Programm besteht aus 4 Kurzspielfilmen. Ein Höhepunkt ist dabei der im Jahre 2005 produzierte Film „Moments“, bei dem die Besonderheiten und Möglichkeiten des Formats effektiv genutzt und eingesetzt sind.