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Rückblick auf die Entwicklung des Industriefilms

Von Agnes Richter

 

Kaum ein Filmgenre erweist sich bei genauer Betrachtung als so vielschichtig wie der Industriefilm. Genau besehen begann die Geschichte des Mediums „Film“ mit einem „Industriefilm“ (auch wenn dieser Begriff natürlich erst später entstand): Als im März 1895 der französische Chemiker und Fabrikant Louis Lumière in Paris einen Vortrag über das von ihm entwickelte kinematographische Verfahren hielt, führte er seinen Zuschauern einen kurzen Filmstreifen vor, der zeigte, wie am Feierabend Arbeiter, Angestellte und Vorgesetzte seine Fabrik verlassen und der Pförtner hinter ihnen das Fabriktor schließt. Somit erfüllte bereits das Werk, das allgemein hin als der erste Film der Welt eingestuft wird, nur eine Laufzeit von knapp einer Minute hatte und den Titel „Arbeiter verlassen die Fabrik“ trug, alle wesentlichen Bedingungen, die bis heute an Industriefilme gestellt werden: Es informierte sachgerecht über ein Thema aus dem Wirtschaftsleben und war im Auftrag und auf Kosten eines Unternehmens entstanden.

 

Bis in die Gegenwart hinein werden solche Industriefilme produziert, und es soll an dieser Stelle versucht werden, einmal einen Abriss der Geschichte dieses Genres sowie seiner verschiedenen Ausprägungen zu geben. Auch wenn der klassische Industriefilm im Zeitalter konkurrierender AV-Medien wie Video und Internet vielleicht heutzutage ein wenig von seiner ursprünglichen Bedeutung verloren hat, sollte nicht vergessen werden, dass viele heute bekannte Filmregisseure wie Sergej Eisenstein, Walter Ruttmann, Michelangelo Antonioni, Alain Resnais, Robert Altman, Federico Fellini, Edgar Reitz, George A. Romero und sogar Russ Meyer ihre ersten beruflichen Sporen mit der Herstellung von Industriefilmen verdient haben.

 

 

Zur Begrifflichkeit

Bereits Mitte der 1920er Jahre tauchte der Begriff „Industriefilm“ in dem Standardwerk „Philosophie des Films" von Rudolf Harms (Leipzig) zum ersten Mal auf. Trotzdem ist es nicht ganz einfach, eine klare Definition des Begriffs festzulegen. Mitunter greifen die Eigenschaften des Industriefilms in die Funktionen anderer und ähnlicher Filmgenres hinein.

Dennoch soll an dieser Stelle zunächst das bekannte begriffliche Nachschlagewerke „Film und Neue Medien“ des Filmwissenschaftlers James Monaco zu Wort kommen. Demzufolge ist das Genre „eine Gruppe von Filmen auf der Grenze von Werbe-, Lehr- und Dokumentarfilm: Kurze, bisweilen auch lange Filme z. B. über Herstellungsvorgänge oder die Geschichte einer Firma, gesponsert oder produziert im Auftrag von Industriefirmen. Zumeist nur für den innerbetrieblichen Gebrauch, bei populärer Gestaltung aber auch als Vorfilme im Kino gezeigt.“


Intensiv mit den theoretischen Grundlagen des Industriefilms hat sich insbesondere der Ingenieur und Elektrotechniker Friedrich Mörtzsch beschäftigt. Der 1900 geborene Mörtzsch durchlief zunächst eine praktische Ausbildung an verschiedenen wissenschaftlichen Instituten und in Industriebetrieben. Sein Interesse galt der Verkaufsförderung, dem Vortragswesen und der Öffentlichkeitsarbeit großer Industrieunternehmen im In- und Ausland. Später leitete er die Presse- und Public-Relations-Abteilung der AEG und produzierte zahlreiche ausgezeichnete Industriefilme für das Unternehmen, bevor er 1956 zum Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Industrie- und Dokumentarfilm berufen wurde.

Mörtzsch nahm 1959 in seinem Standardwerk „Die Industrie auf Zelluloid – Filme für die Wirtschaft“ eine Klassifizierung der deutschen und ausländischen Industriefilmproduktion in sechs Gruppen vor:
1) Filme zur allgemeinen Information über die Industrie,
2) Filme über Technik und Produktivität,
3) Filme über die Forschungsarbeit der Industrie,
4) Filme über Berufsausbildung und Berufsberatung,
5) Filme über betriebliche Sozialfragen,
6) Filme über Unfallverhütung im Betrieb.

Zudem grenzte Mörtzsch den Industriefilm deutlich vom unterhaltenden Spielfilm und verkaufsfördernden Werbefilm ab. Der qualitative Wert des Industriefilms liegt in der sachlichen Information. Er ist objektiv und präzise mit einer logischen Bildabfolge und mit Originalgeräuschen versehen, um den authentischen Eindruck zu untermalen. Zum seriösen Bericht des Wirtschaftslebens, der Forschung und Technik sind diese Merkmale durchaus geeignet.

Im Mittelpunkt eines Industriefilms kann ein Produkt von der Planung bis zur Fertigstellung stehen. Man sieht die Produktbestandteile und ihre Zusammensetzung zum Endprodukt ebenso wie die einzelnen nötigen Arbeitsvorgänge. Die genaue Wiedergabe der Arbeitsvorgänge kann unter Umständen den entsprechenden Berufsbereich inklusive seiner Vorteile, aber auch Gefahren darstellen. Arbeitsbereiche werden gleichfalls durch die Vorstellung eines gesamten Werks oder Unternehmens erläutert.

Die Zielgruppe des Industriefilms ist nicht die breite Öffentlichkeit wie beim Spielfilm. Ob ein Industriefilm rentabel oder nützlich ist, lässt sich nicht an den Besucherzahlen ablesen, sondern vielmehr an dem Effekt, den er bei seinem Publikum hinterlässt. Die opportune Wirkung lässt sich durch eine vernünftige Filmpolitik und eine ausgeglichene Mischung von ,Geld, Ideen, Gespür für Aktualität, Mut und marktgerechtem Denken erzielen. Der Mut zeichnet sich, anders als beim Werbefilm, dadurch aus, dem auftraggebenden Unternehmen zugunsten der Aufklärung auch einmal zu widersprechen. Die Zielgruppe wird bereits während der Konzeption festgelegt und bei der Realisierung des Films entsprechend bedacht.

Seine Lebensdauer wird auf fünf bis sechs Jahre geschätzt. Um ihn so lange aktuell erhalten zu können, findet man beim Industriefilm oftmals weder im Vor-, noch im Abspann ein Herstellungsjahr.

Der Industriefilm kann sowohl zu inner- als auch außerbetriebliche Zwecken eingesetzt werden. Unternehmen nutzen ihn für ihre Mitarbeiter als Schulungsfilm im Sinne der Aus- und Fortbildung und als Aufklärungs- und Informationsfilm über Arbeitsschutz und betriebsinterne Belange wie beispielsweise Expansion. Nach außen eignet sich der Industriefilm für Kunden und Interessenten als Ersatz für Betriebsbesichtigungen; er kann seinen Einsatz aber auch auf Messen finden. Einen wichtigen, außerbetrieblichen Bereich kann der Industriefilm auf dem schulischen Gebiet abdecken. Filme für Auszubildende können auf Grund ihrer exakten Auslegungen und photographischen Darstellungen pädagogisch wertvoll sein und vor Schülern gezeigt werden.

 

 

Die Anfänge des Industriefilms

Die ersten „Gehversuche“ des deutschen Industriefilms gehen auf das Jahr 1905 zurück, als Aufnahmen von Automobilrennen und Fischkuttern in der Nordsee gezeigt wurden. Der erste bekannte deutsche Industriefilm soll 1912 von der damaligen Reichspost in Auftrag gegeben worden sein. Zweck war es, die Öffentlichkeit über die Einrichtungen und den Betrieb dieser Behörde zu informieren. Bereits zwischen 1914 bis 1920 stellten die großen deutschen Industrieunternehmen Hoechst, Krupp und Siemens derartige Filme her. Sie dienten der technisch-wissenschaftlichen Information und wurden später als Industriefilme eingestuft.

Krupp beispielsweise ließ Arbeitsszenen in einzelnen Werken demonstrieren. Auch den Stapellauf eines Schiffes hatte man damals schon minutiös festgehalten. Bereit seit 1908 hatte Krupp eine eigene kinematographische Abteilung. Hier lagen die Arbeitsschwerpunkte sowohl in der Selbstdarstellung der Firma und ihrer Produkte, als auch in der anwendungsbezogenen Forschung.

Auch die Siemens-Schuckert-Werke in Berlin ließen in ihren Betrieben Filme drehen, die sie zur Werbung und zur Vorbereitung technischer Kenntnisse benutzten. Siemens verfügte seit 1912 über eine eigene kinematographische Abteilung. Auf der Turiner Weltausstellung kamen diese Filme dann zur Vorführung.

Das Berliner Industrieunternehmen „Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft“ (AEG) gab damals Filme über Kabelherstellung in Auftrag. Verschiedene Schiffsbaubetriebe zeigten Aufnahmen ihrer Werkstätten und Schwimmdocks. Die AEG arbeitete in dieser Zeit auch mit dem Filmpionier Oskar Meßter zusammen. 1927 entstand bei der AEG ebenfalls eine eigene Produktionsabteilung, die bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges 75 Filme von insgesamt 80 Metern Länge drehen ließ.

Schulungen der Beschäftigten in der Arbeitssicherheit wurden mittels Glasdias oder Filmen durchgeführt. Zu diesen früheren Werken gehört der 1927 produzierte Film „Kamerad, hab' Acht!“ der Eisen- und Stahlwerke Hoesch AG in Dortmund. Bereits Mitte der 20er Jahre hatte man die Unfallhäufigkeit in der Eisen- und Stahlindustrie als betriebswirtschaftliches Problem erkannt. So entdeckte man auch in Deutschland rasch die Möglichkeiten, die Industrie- und Schulungsfilme in diesem Bereich boten.

 

 

Die ersten Produktionen in Hamburg

In Hamburg vollzog sich eine ähnliche Entwicklung wie in Berlin und anderen großen Städten Deutschlands. Hier kam allerdings eine Besonderheit hinzu: Der Hamburger Hafen mit seinen großen Schiffswerften bot ein beliebtes Motiv. Zunächst waren es vor allem Stapelläufe großer Passagierdampfer wie der „Imperator“ (1913) und der „Vaterland“ (19), die hier filmisch von Kameraleuten festgehalten wurden, später ergänzt von Aufnahmen aus unterschiedlichen Baustadien. Das Schweißen, Hämmern und Nieten sowie das Verschwenken von Stahlplatten mittels großer Krananlagen boten ideale filmische Motive.

Die Stadtverwaltung von Altona, damals noch nicht zu Hamburg gehörig, wollte Anfang 1919 die Arbeitsweise und Vorzüge ihrer neuen Müllverbrennungsanstalt dokumentieren lassen. Da es in Hamburg zu diesem Zeitpunkt noch an einschlägigen Produktionsfirmen und Filmemachern mangelte, wurde die Münchner „Vesuvio“-Film beauftragt, einen 15-minütigen-Industriefilm zu konzipieren. Anschaulich durch erläuternde Zwischentexte wurde dabei die Nutzung der Ofenschlacke als Baustoff und zur Stormerzeugung für den Betrieb der eigenen Elektromobile sowie zur Einspeisung in das städtische Leitungsnetz demonstriert.


Mit den im Juni 1919 eröffneten VERA-Film-Werken AG an der Alsterkrugchaussee erhielt Hamburg endlich auch eine eigene Produktionsstätte. Hinter der Produktionsfirma stand der Bankier Willi Sick, Inhaber der Nordischen Bank- und Handelskommandite Sick Co. Nur wenige der großspurig gegenüber der Presse angekündigten Spielfilmvorhaben kamen allerdings zu stande – und bald nutzte man das Atelier sowie das angeschlossene Kopierwerk für die Produktion von Industrie- und Werbefilmen. So drehte man dort 1925 für die Einkaufsgenossenschaft GEG einen 20-minütigen Film, der den Geschäftsablauf in der Verwaltungszentrale sowie die Verpackung von Kaffee und Gewürzen in Hamburg zeigte, auch die Produktionsabläufe für Seifen, Waschmittel und Teigwaren wurden anschaulich dargestellt. 1926 stellten die VERA-Film-Werke zwei weitere Filme für die GEG her, in denen Notwendigkeit und Vorzüge der Konsumbewegung („Aufwärts durch Selbsthilfe“) und die Arbeitsvorgänge in der Elmshorner Fleischfabrik bei der Herstellung und Verpackung von Wurstwaren  („Fleischwaren der GEG“) demonstriert wurden. Auch für die „Verlagsgesellschaft deutscher Konsumvereine m.b.H.“ wurde ein 25-minütiger Film produziert, der die Arbeitsabläufe im Geschäftshaus der Verlagsgesellschaft zeigte und zahlreiche Aufnahmen von der Arbeit in der Setzerei und Druckerei bildlich festhielt.

1928 dokumentierte die VERA-Film für die damals noch junge „Hamburger Hochbahn Aktiengesellschaft (HHA)“ den Bau der neuen Untergrundbahnlinie Kellinghusenstraße – Jungfernstieg. Insbesondere die aufwendigen Stahlkonstruktionen der Viadukte zwischen Eppendorfer Baum und Kellinghusenstraße reizten die Filmemacher zu diversen Einstellungen vom Baugeschehen. Das 13 Minuten lange Werk wirkt – trotz der aus heutiger Sicht nicht uninteressanten Perspektiven – auf die Dauer ziemlich ermüdend und wird deshalb wohl auch schon damals kaum zum Einsatz in einem Kino gekommen sein.

Nach der Inflation setzte man bei den VERA-Film-Werken ganz auf das Geschäft mit Industrie- und Werbefilmen. Auftraggeber waren die Kaffeefirma Darboven, das Kaufhaus Karstadt, die Phönix-Gummiwarenfabrik in Harburg, die Bavaria-Brauerei und die Zigarettenfabrik Juhasz in Altona. Mit Selbstdarstellungsfilmen von der Arbeit in dem Glasdachatelier und aufwendigen Prospekten warb das Unternehmen um neue Auftraggeber. Leider ging das Bankhaus Sick  Co. Bankrott noch bevor der Tonfilm aufkam. So wurden die Atelier in den Folgejahren kaum noch genutzt, und trotz etlicher Rettungsversuche kam mit dem Abriss im Jahre 1937 das endgültige Aus für Hamburgs einzige Filmproduktionsstätte.

 

 

Die Entwicklung bis zur NS-Machtübernahme

Der Dokumentarfilm florierte in den 20er Jahren in Form kurzer Kulturfilme - zumeist wurden naturwissenschaftliche Themen für Schule und Kino aufgearbeitet. Das Kino in der Weimarer Republik zeichnete sich durch sein großes Bemühen aus, die künstlerischen Standards der Filme zu heben, um so auch im Ausland erfolgreich sein zu können und ab dem Jahre 1925 experimentierte man bei der UFA auch mit dem Tonfilm.


Waren zu Beginn die Bewegungsabläufe in den Industriefilmen noch ohne Dramaturgie und Gestaltung, wurden sie mit der Zeit immer länger und inhaltsreicher, besser durchgearbeitet und planvoller angelegt. Noch immer gelangten diese Filme kaum über ein gewisses Fachpublikum hinaus, doch die führenden Männer der Wirtschaft verspürten durchaus große Neigung, ihre Initiative auf diesem Gebiet zu verstärken. Die große Bedeutung des Industriefilms in den späten 1920er Jahren wurde dadurch nur unterstützt.

Bereits nach kurzer Zeit hatte sich der deutsche Industriefilm von der Kritik vorwerfen lassen müssen, langweilig und nur für Fachleute bestimmt zu sein. Sein Fokus läge zu sein auf den Objekten Maschine und Erzeugnis; der Mensch würde in seiner sozialen Funktion außer Acht gelassen. Lobenswerte Einzelfälle aus dem Jahr 1929 wie der Kurzfilm „Im Schatten der Maschine“ und der Film „Geist und Maschine“ konnten das allgemeine Bild nicht ändern. Der im Firmenauftrag entstandene Industriefilm ignorierte die heftigen wirtschaftlichen Krisen jener Zeit. Er blieb abstrakt und tat zumeist so, als befänden sich Maschine und Mensch in zwei unterschiedlichen Welten.

 

 

Unter den Nationalsozialisten

Die Machtübernahme durch Hitler am 30. Januar 1933 hatte für das deutsche Filmwesen entscheidende Konsequenzen. Die eingeführte Umstrukturierung der Filmwirtschaft und des Zensurapparates war nur eine von vielen Maßnahmen, mit denen künftig die kulturelle Entwicklung in Deutschland gesteuert werden sollte. Diesen Anordnungen lag der politische Plan zugrunde, mit Hilfe des Massenmediums Film wirksame Einflussmöglichkeiten auf das Bewusstsein der Menschen gewinnen zu wollen.

Neben technischen Lehrfilmen wurden nun zunehmend Propagandafilme produziert. Schon bald nach der Machtübernahme übte Goebbels starken Druck auf die Ufa bei Personalentscheidungen und in Fragen der Programmgestaltung aus. Dazu gehörte auch die Überlegung, abendfüllende „Industriefilme“ mit Spielfilmhandlung über die Unternehmensgeschichte bzw. einzelne Unternehmerpersönlichkeiten zu produzieren und dafür renommierte Schauspieler wie Emil Jannings zu engagieren.

Zum Zeitpunkt, als die Nationalsozialisten die Ufa wieder wirtschaftlich gestärkt hatten, erhielt der Industriefilm vom Filmavantgardisten Walter Ruttmann stilistische Entwicklungsmöglichkeiten. Ab 1935 arbeitete er für die neugeschaffene Werbefilmabteilung. Der durch den Film „Berlin - Symphonie der Großstadt“ (1929) berühmt gewordene Filmemacher produzierte neben Städteporträts nun auch zahlreiche Industriefilme. Ihre Titel waren Programm und lauteten: „Metall des Himmels“ (für den Düsseldorfer Stahlwerkverband), „Im Zeichen des Vertrauens“ (Bayer-Pharmaziewerke), „Im Dienste der Menschheit“ (Henkel-Chemiewerke), „Deutsche Waffenschmieden“, „Deutsche Panzer“ und „Mannesmann“. Viele Charakteristika seines berühmten Filmes finden sich in „Mannesmann“ von 1936/37 wieder. Der Autor Hans Schaller schrieb in seinem Buch „Der Industriefilm schreibt Geschichte“ (1997): „Der Verzicht auf Berufsschauspieler, Spielhandlung, Ausstattung und Kulissen, die Konzentration auf das Wirkliche und das Wesentliche, die Gestaltung nur mit den ureigensten Mitteln des Films, die Welt der Technik, die Fabrikhalle als Atelier, verblüffende Schnittideen. Ganze Bildkomplexe wurden im Interesse des Zusammenklingens mit musikalischen Steigerungen aufgenommen.“
In Zusammenarbeit mit Fachleuten aus der Produktion und Verwaltung sollte ein sowohl sachliches, als auch künstlerisches Abbild eines Stahlkonzerns geschaffen werden.

 

 

Neuanfang nach 1945

Nach der Aufteilung in vier Besatzungszonen führten die Militärregierungen das Lizenzierungssystem auch für neue Filmgesellschaften ein. Industriefilme waren zunächst einmal nicht gefragt.
In Hamburg wurde in dieser Zeit neben Spielfilmen verstärkt Kulturfilme hergestellt. Neben der REAL-Film von Walter Koppel und Gyula Trebitsch, die diese Werke vor allem als Beiprogramm für ihre großen Spielfilme brauchten, wurden diese vor allem von der 1947 gegründeten „Deutsche Dokumentarfilm-Gesellschaft“ von Heinrich Klemme und Rudolf W. Kipp hergestellt. Für ihren Hauptauftraggeber, der Britisch Film Section, wurde zunächst ein Film über den Wiederaufbau des Transportwesens realisiert, der den Titel „Lebensadern“ trug. Dann dokumentierte man die Hebung des im Krieg gesunkenen HAPAG-Passagierschiffs „New York“ und zeigte, wie „Nahrung aus dem Meer“ gewonnen wurde. Nach einem vom Senat in Auftrag gegebenen „Werbefilm“ für das Wiedererstehen Hamburgs im alten Glanz („Hamburg glaubt an seine Zukunft“) ging die Firma während der Produktion einer Dokumentation über Glücksspiele („Totofieber“) in Konkurs. Grund war neben dem Wegbrechen des wichtigsten Auftraggebers, der British Film Section, die ihre Arbeit mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland einstellte, auch der Rückzug eines der Geschäftspartner und Kapitalgebers.

Als umso erfolgreicher sollte sich die Arbeit der REAL-Film erweisen: Unter der Leitung des jungen Aufnahmeleiters und späteren Filmemachers Bodo Menck entstanden Dutzende von zumeist 15-Minuten langen Kulturfilmen, die sich u.a. mit der Arbeit der Hamburger Hochbahn, der Wasserwerke, der Polizei und der Sternwarte befassten. Als 1949 die Bundesrepublik Deutschland gegründet und sich die soziale Marktwirtschaft fest etabliert hatte, wuchs auch rasch der Bedarf an qualitativ hochwertigen Industriefilmen.

Dies stellte bald auch Bodo Menck fest, der bis Anfang der 1950er Jahre noch für die REAL-Film als Regisseur nahezu alle Kulturfilme realisiert hatte. 1953 erhielt Menck ein Stipendium in den USA und arbeitete danach als freier Regisseur für verschiedene Filmproduktionsgesellschaften (KOSMOS-Film, Roto-Film, GbF/Gesellschaft für bildende Filme Otto Martini), für die er diverse Dokumentar- und Lehrfilme realisierte. 1956 ließ er im Bundesanzeiger die handelsgerichtliche Eintragung einer eigenen Produktionsfirma namens „gong-Film“ vornehmen. Viele der in den nächsten Jahren von seiner Firma hergestellten Auftragsfilme erhielten von der Filmbewertungsstelle das ein Prädikat und wurden mit zahlreichen Preisen bei in- und ausländischen Kultur- und Industriefilmfestivals (Mannheim, Chicago, New York, Wien, München, Tel Aviv) ausgezeichnet. Seine Auftraggeber waren neben der Glanzstoff- und Chemieindustrie vor allem die Volkswagen-Werke Wolfsburg, verschiedene Bundesministerien (Bahn, Post, Verteidigung, Finanzen), die Karstadt AG Essen, die BASF-Werke und die BP Benzin und Petroleum AG Hamburg.


Nach der Herstellung einer größeren Filmreihe für die BASF-Wintershall und den mit ihr zusammenarbeitenden russischen Gazprom-Energiekonzern stellte Bodo Menck Mitte der 1990er Jahre die aktive Arbeit seiner Firma schließlich kurz vor dem 40jährigen Firmenjubiläum ein und löste das Büro seiner Firma im Hofweg-Palais (Hofweg 9) in Winterhude auf (zu Bodo Menck siehe auch „Hamburger Flimmern“, Heft 1/1996, Seite 9 bis 15)

 

 

Die große Zeit des Industriefilms: Die 1950er und 1960er Jahre

Ab Mitte der 1950er Jahre drängten ausländische Anbieter in dieses Segment und zwangen westdeutsche Hersteller, auf die Produktion von Werbe-, Industrie- und Fernsehfilmen umzustellen. Auf diese Weise bahnten sich auch Sponsoren und die Werbung in Form von Finanzhilfen den Weg in Richtung des Industriefilms. Folglich hatte der Industrie- bzw. Kulturfilm in den beiden folgenden Jahrzehnten den Ruf, eine repräsentative Aufgabe übernommen zu haben. Hauptziel war es, das jeweilige Unternehmen auf eine möglichst glanzvolle Art zu loben und im richtigen Licht darzustellen.

Neben der Anzahl der Filmproduktionen fiel auch die Qualität der Industriefilme ab. Um das Niveau und das Ansehen des Industriefilms zu heben, organisierte die Filmindustrie nach dem Zweiten Weltkrieg die ersten nationalen und internationalen Industriefilmfestivals. 1959 wurden erstmals die Deutschen Filmtage in Berlin veranstaltet, deren Mitbegründer der erwähnte Friedrich Mörtzsch war. Und im Jahr 1968 stiftete dann das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit den Deutschen Wirtschaftsfilmpreis zur Förderung deutscher Kurzfilme, die sich mit Themen der modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft befassen.

Das Deutsche Industrieinstitut in Köln (heute: Institut der Deutschen Wirtschaft) erkannte die aussagekräftige Wirkung des Films und die Bedeutung für die Stärkung und den Ausbau des Industriestandortes Deutschlands - begann, den Auslandseinsatz deutscher Industriefilme, natürlich in den entsprechenden fremdsprachlichen Fassungen, zu fördern. 1964 entstand zudem aus dem einige Zeit zuvor von Bodo Menck gegründeten „gong-film Verleih“ der INTERMEDIA-Filmvertrieb, der sich zum Ziel setzte, für die Werke des Industriefilms einen geeigneten Markt zu finden und zu bedienen. Nicht nur eigene Produkte, sondern auch Filme anderer Hersteller wurden in das Repertoire aufgenommen. Der Filmvertrieb kümmerte sich als Schnittstelle um die Kontakte zwischen Auftraggebern, Entleihern und bekannten Produzenten. Durch gezielte Planung fanden die Industrie- und Wirtschaftsfilme durch die INTERMEDIA ihr gewünschtes Publikum an Schulen und in Verbänden, Vereinen und politischen Gremien. Monatliche Verleihberichte wiesen den Kunden genau nach, zu welchem Zeitpunkt der Film welchem Publikum vorgeführt worden war und wie die Resonanz auf seinen Einsatz war. Heute hat sich dieser Filmvertrieb mit Sitz in Hamburg erfolgreich auf seinem Sektor etabliert; seit 2000 veranstaltet die INTERMEDIA zudem das World Media Festival mit internationalem Event-Charakter, verbunden mit diversen Wettbewerbspreisen.

1959 ist auch aus anderen Gründen ein wichtiges Jahr für die Entwicklung des deutschen Industriefilms. Genau in dieser Zeit kam eine eigene Fachzeitschrift auf den Markt, die sich ausschließlich dieser Filmsparte widmete. Seinen Erfolg schien der Industriefilm nach dem Zweiten Weltkrieg dem deutschen Wirtschaftswunder zu verdanken, als man die zerstörten Produktionsstätten nach modernsten Gesichtspunkten wieder aufbaute und nach wirkungsvollen Mitteln suchte, die neuen Errungenschaften vorzustellen und neue Mitarbeiter zu schulen. Eine Möglichkeit der aufklärenden Funktion seiner früheren Jahre verlor der Kulturfilm indes langsam auf Grund des prosperierenden Fernsehens. Dieses neue Medium übernahm schrittweise einige wichtige Bereiche, die bisher allein durch Industriefilme abgedeckt worden waren.

Als Medium zur Vermittlung von Kenntnissen wirtschaftlicher und industrieller Zusammenhänge blieb der Industriefilm dennoch auch zunächst weiter von großer Bedeutung. Für eine Vortragsreihe des deutschen Industrieinstituts zog der Wissenschaftler Klaus Brepohl 1964 eine Art Zwischenbilanz für den Bereich Industriefilm: Danach wurden von 1959 bis 1972 insgesamt 6.314 Industriefilme hergestellt (wobei zu der Zahl vermutlich noch eine Dunkelziffer nicht erfasster Werke von ca. 20 bis 30 Prozent hinzurechnen seien). Im Auftrag der Wirtschaft wurden 5.115 Filme hergestellt. Die Öffentliche Hand war an 876 Filmen beteiligt, und auf Produzenten ohne Auftrag entfielen 323 Beiträge. Nicht verschwiegen werden soll jedoch, dass sich insbesondere die deutsche Industriefilm-Produktion häufig mehr durch Qualität als durch Quantität auszeichnete: So lag Deutschland mit der Zahl seiner Werke deutlich hinter den USA, Großbritannien, Frankreich und Italien.

Die „filmfreundlichsten“ Sparten unter den Auftraggebern waren bis dahin:
Chemische Industrie, Elektroindustrie, Maschinenbau, Eisen- und Stahlindustrie, Erdölindustrie, Verkehrswirtschaft, Automobil- und Fahrzeugbau, Bauwirtschaft, Landwirtschaft und diverse Verbände

Bis 1979, also in knapp zwei Jahrzehnten, sind seriösen Berechnungen zufolge insgesamt etwa 10.000 Industriefilme hergestellt und ausgewertet worden.
Doch spätestens Mitte der 1970er Jahre wurde der Industriefilm außerhalb seines Kernbereichs kaum noch beachtet. Er wurde auf Kurzfestivals nicht mehr zugelassen, und das Fernsehen weigerte sich, ihn wegen heimlicher Werbung für Unternehmen, Produktionsfirmen oder Produkte auszustrahlen. Begründung: Der Industriefilm wäre voll finanziert und dadurch im Wettbewerb bevorzugt. Durch die Finanzierung war er von der kulturpolitischen Förderung ausgeschlossen. Wann immer der Industrie- bzw. Kurzfilm in Verbindung mit einem Unternehmensauftrag oder Sponsoren gekommen war, neigte man dazu, ihn als parteiisch zu betrachten. So ging das Interesse zurück, da ihm sowohl die Filmwirtschaft als auch die Kulturpolitik nicht mehr genügend Bedeutung beimaßen.

Obwohl die Zuschauerzahlen beim Industriefilm, im Gegensatz zum Spielfilm, eigentlich eine untergeordnete Rolle spielen, soll nicht unerwähnt bleiben, dass diese Anzahl in den 1980er Jahren noch immer halb so hoch war wie die der Personen, welche sich jährlich in der Bundesrepublik Deutschland einen Spielfilm ansahen. In absoluten Zahlen bedeutet das 60 Millionen Zuschauer. Da sich der deutsche Industriefilm vom Repräsentationsfilm der 1950er und 1960er Jahre zum Informationsmedium mit dem Trend zu öffentlichen und gesellschaftsbezogenen Themen und Problemen entwickelt hatte, vertrat der Verband der Deutschen Photographischen Industrie die Meinung, dass so ein Film entsprechend nicht nur für Branchenkenner von Interesse sei. „Viele Bereiche der Industrie hätten direkt oder indirekt einen so starken Einfluss auf das tägliche Leben, dass ein solcher Film auch die Aufmerksamkeit weiter Kreise von Laien und Branchenfremden zu erwecken vermöge“, konnte man in einem Bericht für „Blick durch die Wirtschaft“ 1983 lesen.
Die heutige Informationsgesellschaft definiert sich zunehmend durch die Nutzung von Neuen Medien in Form des Internets und des Computers. Der Zugang zu gewünschten Angaben und Daten gestaltet sich dadurch einfacher. Im Zuge dieser Entwicklung scheint die Notwendigkeit der Industrie zu entschwinden, sich mit Hilfe filmischer Werke, wie sie noch in den 1950er und 1960er Jahren sehr populär waren, zu präsentieren. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich nun um einen „werbeträchtigen“ oder einen „aufklärend-unterrichtenden“ Film handelt. Vielmehr scheint der Industriefilm heute selbst zum Zeitdokument der vergangener Jahrzehnte geworden zu sein. Unternehmen suchen aus nostalgischen Motiven nach ihm in Archiven, Forscher und Filmfans aus Interesse an der alten Machart der Filme selbst. Die Ruhr-Universität hat erst im vergangenen Jahr dem Industriefilm zu Ehren sogar den weltweit ersten Lehrstuhl eingerichtet.

 

 

Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Auszug aus einer Diplomarbeit, die 2005 an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) geschrieben wurde und sich mit dem Industriefilm in Hamburg unter besondere Berücksichtigung des Werkes von Bodo Menck befaßte. Die vollständige Arbeit ist in den einschlägigen Bibliotheken einsehbar.