Sammlungen

Eine kleine Geschichte der Hamburger Synchronfilm-Industrie

"Ein Wunder, dass sie alle deutsch sprechen"

 Von Marco Schmidt-Thedt

Als die ersten ausländischen Tonfilme in Deutschland gezeigt wurden, waren sie in der jeweiligen Landessprache zu sehen. 1929 berichtete erstmals der „Filmkurier“ über die Synchronisation eines Hollywood-Streifens und schrieb: „Das Wunder ist, dass sie alle deutsch sprechen. So, als sei es ihre Muttersprache.“ Heutzutage ist die Synchronisation bekanntlich ein Selbstverständlichkeit, sei es im Kino, im Fernsehen oder für den Video- und DVD-Markt. Die ersten ausländischen Tonfilme faszinierten die deutschen Zuschauer zwar, konnten sie aber auf Dauer nicht zum Zusehen bewegen, da die Dialoge nicht verstanden wurden. Zur Verbesserung der Marktchancen entstanden die ersten Synchronisationen, die allerdings aufgrund ihrer mangelnden technischen Qualität beim Publikum nicht viel Anklang fanden. Erst als sich in den 1930er Jahren die Qualität der Synchronisation in Bezug auf die Anpassung von Bild und Ton verbesserten, waren auch die deutschen Zuschauer mit den Ergebnissen zufrieden.

 

Ausländische Filme hatten nun eine bessere Marktchance, obwohl die deutschen Fassungen unter dem Hall und mangelnder Transparenz litten. Doch das Ergebnis war für die ausländischen Filmfirmen zufrieden stellend, vor allem, weil die Synchronisation erheblich preisgünstiger war, als eine andere Methode, den Film im Ausland zu verwerten: Bei dieser wurde derselbe Film mit neuen Darstellern in der jeweiligen Landessprache gedreht, in der er aufgeführt werden sollte. Für jede dieser so genannten Sprachversionen mussten 30 Prozent der Kosten des Originals veranschlagt werden. Auch in Deutschland wurden Filme für den Export nachgedreht. Zwischen 1929 und 1931 entstanden von 66 Filmen 84 Sprachversionen, u.a. in Neubabelsberg und Tempelhof. Die erzielten Einspielergebnisse rechtfertigten die hohen Kosten nicht und so gingen die Produktionen der Sprachversionen schon 1931 deutlich zurück, fanden bis zum Ende der 1950er Jahre jedoch noch unregelmäßig Anwendung.

 

Die US-Filmgesellschaft Paramount hatte für die Produktion der Filme für den europäischen Markt einen Studiokomplex in Joinville bei Paris aufgebaut. Dieses wurde nach dem Misserfolg der Sprachversionen zu einem großen Synchron-Zentrum. Doch schon bald verlagerte sich die Synchronbranche in die betreffenden Heimatländer. In Berlin entstand somit das Atelier „Lüdtke, Dr. Rohnstein & Co.“, und zu einem weiteren Zentrum entwickelte sich München-Geiselgasteig. Dort wurde 1949 die „Ultra Film GmbH“ gegründet; im gleichen Jahr nahm die „Berliner Synchron GmbH“ ihre Arbeit auf, die schnell zum Marktführer avancierte. Schon bald entwickelte sich Berlin zur Hauptstadt der Synchronisationsbranche – und ist es im übrigen bis heute auch geblieben!

 

In Hamburg hingegen existierten vor 1946 keinerlei Synchronfirmen. Bekanntlich erwuchs dann aber gleich dem Zweiten Weltkrieg aus einem kleinen Gasthof in Ohlstedt die Alster Film und Atelier GmbH (siehe „Hamburger Flimmern“, Heft 6, S. 20-25: „Die Geschichte der Alster Film Studios“). Dort wurden die ersten Synchronisationen im Auftrag der britischen Film-Section überhaupt in der Hansestadt hergestellt, beginnend mit „The Halfway House“ („Zum halben Wege“) am 2. Mai 1946 unter der Regie von Horst Wigankow. Die anfänglichen Arbeitsbedingungen waren schwierig und abenteuerlich: Schwankungen der Stromfrequenz störten die Synchronität ebenso wie der Lärm nach Fuhlsbüttel fliegender Propellermaschinen, so das schließlich sogar Mitarbeiter auf dem Dach nach Flugzeugen Ausschau halten mussten.

 

Zusammen mit der ebenfalls der Familie Breckwoldt gegründeten Kopieranstalt Atlantik-Film GmbH entwickelte sich die Alster Film innerhalb kurzer Zeit zu einer festen Größe der Hamburger Filmwirtschaft. Es entstanden auch zahlreiche Spiel-und Werbefilme. Für viele Mieter der firmeneigenen Ateliers und -Büros sowie diverse Auftraggeber wurden weiterhin Synchronisationen produziert. Zu beachten ist, dass die Rhythmoton anfänglich als Teil der Alster Film fungierte, jedoch bald ein eigenständiges Unternehmen wurde.

 

Die Rhythmoton hatte ihren ersten Sitz in Berlin als Filmproduktion gehabt und war nach Kriegsende in die Hansestadt gezogen. Hier erhielt sie am 15. Juni 1945 die erste Filmlizenz Deutschland von der Film-Section. Laut Handelsregister begann die Gesellschaft offiziell bereits am 1. September 1945 ihre Tätigkeit, allerdings existierten keine eigenen Räume für das Unternehmen. So kooperierte Rhythmoton mit der zukünftigen Alster Film und baute den Tanzsaal eines Gasthauses zum Atelier um. Rhythmoton war als Produktionsgesellschaft zuständig für Drehbücher und die Besetzungen, während Alster als Ateliergesellschaft die Räume und die Technik beisteuerte. Geschäftsführer war der Ingenieur und Kaufmann Arthur Thielens; der ehemalige deutsche General Johannes Pfeiffer entpuppte sich als Produktionsleiter als Organisationsgenie. Chefdramaturgin war Charlotte Decker aus Aumühle, die allerdings auch für die Alster Film tätig war. Sie begutachtete und schrieb die Bücher.

 

Nach der zweiten Synchronarbeit im Sommer 1946 zog die Firma 1948 in ein erworbenes Haus am Harvestehuder Weg 36, da die Akustik im Atelier der Alster nicht ihren Ansprüchen genügte. Die Villa wurde mit modernster Technik ausgestattet und zu einem Atelier mit Hauptaugenmerk auf die Erstellung von Synchronisationen umgebaut. So wurde beispielsweise die Akustik der Räume durch Korkauslagen und Faltenwurf der Wandbekleidung verbessert und jeder Raum mit einer Klimaanlage versehen. Rhythomoton verfügte bald über ein großes und ein kleines Atelier, fünf Schneideräume, einen Vorführraum sowie eine eigene Entwicklungs- und Kopierabteilung. Neben der Synchronabteilung konnten bis zu 22 Musiker in dem Atelier Musik aufnehmen. Modernste Mischanlagen ermöglichten das Mischen von Tonbändern in der Villa. Damit war Rhythmoton ein eigenständiger Betrieb, der auf keinen fremden Kopierbetrieb angewiesen war. Darüber hinaus besaß das Unternehmen zwei Handkameras, die die Produktion von Kultur- und Werbefilmen erlaubte. Das Hauptaugenmerk lag allerdings immer auf der Synchrontätigkeit. Die bei Rhythmoton erstellten Synchronisationen hatten den Anspruch, künstlerisch zu sein und den Originalfilm keinem schlechten ‚Kauderwelschdialog’ zu unterziehen, so dass dieser qualitativ herabgesetzt wird. Anfang der 1950er Jahre lag das Auftragsvolumen von Rhythmoton bei zwei Synchronisationen pro Monat. Nach einigen Jahren beendete allerdings die Firma das Synchrongeschäft und betätigte sich zunehmend als Produzent auf dem Gebiet der Dokumentarfilme.Erst 1991 wurde die Rhythmoton übrigens offiziell als offene Handelsgesellschaft endgültig aufgelöst.

 

Ein guter Kunde der Alster Film machte sich Anfang der 1950er Jahre in Rahlstedt selbstständig: Die Eagle-Lion-Film, eine Tochter der britischen Rank Organisation. Gründer war J. Arthur Rank, der bereits seit 1935 im britischen Filmgeschäft tätig war und die Kontrolle über wichtige Kinoketten wie Gaumont British und Odeon Cinemas besaß. Eagle-Lion hatte sich nach der Gründung in Berlin, wo in einem gemieteten Atelier synchronisiert wurde, auf den Verleih und die Eindeutschung englischer Filme konzentriert. Im Februar 1950 bezog Eagle-Lion ein eigenes Atelier in der Graf-Goltz-Kaserne an der Sieyker Landstraße. Unter Leitung von F.E.T. Rainbow konnten dort ungestört Tonaufnahmen in Eigenregie hergestellt werden; die englische Technik im Wert von ca. 1,5 Millionen DM wurde von Rank finanziert. Im Eagle-Lion-Atelier synchronisierten viele Hamburger Schauspielgrößen wie Hans Paetsch oder Marianne Kehlau. Zahlreiche Dialogbuchautoren und Synchronregisseure wie Werner Völger, C.W. Burg, Bruno Hartwich waren für die Firma tätig: Wolfgang Schnitzler fungierte als Synchronregisseur und Erika Streithorst, Hans Joachim Szelinski und Georg Albrecht von Ihering schrieben die Dialogbücher. 1950 ging Eagle-Lion in die J. Arthur Rank Film auf und entwickelte sich in der Kaserne zum Synchronatelier mit den meisten produzierten Synchronfassungen Hamburgs der 1950er Jahre. Wie viele andere bundesdeutsche Synchronfirmen auch, zog das Synchronatelier schließlich 1959 nach Berlin um. Der Verleih der Rank Organisation blieb hingegen noch bis Anfang der 1970er Jahre mit einem eigenen Büro in der Hansestadt vertreten. Heute ist der Name, des immer noch als Mischkonzern existierenden Unternehmens, nur noch als Kopiergeräte-Produzent (Rank-Xerox) ein Begriff und hat sich von dem Synchrongeschäft vollständig zurückgezogen.

 

Der Vorgänger der Studio Hamburg GmbH, die Real-Film Atelierbetriebsgesellschaft, vermietete ihre 1949 entstandenen Ateliers. Vor dem Bestehen der eigenen Ateliers wurden die ersten Tonnachbearbeitungen der Real-Film GmbH wiederum bei der Alster Film durchgeführt. Ein „Ausweich-Atelier” besaß die Real-Film GmbH in Rahlstedt. Aufgrund von Bestrebungen des umtriebigen Filmproduzenten F. A. Mainz sollte Anfang der 1950er Jahre in Rahlstedt, auf dem Gelände der Graf-Goltz-Kaserne, eine „Filmstadt Hamburg” entstehen. Doch die Bürgerschaft lehnte diesen Vorschlag ab - höchstwahrscheinlich, weil die ehemalige Kaserne noch vom Grenzschutz als TruppenÜbungsplatz genutzt werden sollte.

 

Auch die „Deutsche London Film Verleih GmbH“ ließ in Rahlstedt bzw. bei der Real-Film vor allem britische Filme synchronisieren. Synchronregie führte, wie bei Eagle-Lion, mehrfach Edgar Flatau. Darüber hinaus wirkten der Berliner Georg Rothkegel sowie Hans F. Wilhelm und Charles Klein als Synchronregisseure und Dialogbuchautoren an Synchronisationen für die „Deutsche London“ mit, die 1956 in der Deutschen Film Hansa (DFH) aufging, die wiederum 1960 mit dem UFA-Filmverleih zur UFA-Filmhansa fusionierte. Eigene Synchronstudios betrieb diese Firma allerdings nie, ebenso wie die im Oktober 1952 gegründete „Synchronfilm GmbH“ am Neuen Wall 38. Geschäftsführer waren Heinz Tackmann und Herbert Geyer. Zu den Synchronisationen dieser Firma zählte der italienische Spielfilm „Europa 51“ von 1952; Synchronregie führte Werner Malbran; 1953 führte Edgar Flatau die Synchronregie beim britischen Spielfilm „Gefährlicher Urlaub“. In welchem Synchronstudio diese beiden Produktionen entstand sind, konnte leider nicht mehr ermittelt werden, da alle relevanten Zeitzeugen inzwischen verstorben sind.

 

Zudem gab es noch die „Norddeutsche Filmproduktion GmbH“, die in gemieteten Ateliers ebenso synchronisierte wie die „Phoebus-International“. Letztere ließ französische Filme synchronisieren, bei deren Dreh sie zum Teil beteiligt war. Die Synchronisation fand neben in Hamburg auch sowie in gemieteten Ateliers in Berlin, München und Wien statt. Aus der Filmstadt Hamburg wurde langsam die Fernsehstadt Hamburg. Damit wurde auch der Synchronstandort Hamburg attraktiver.

 

Die Anzahl der im Hamburger Synchrongeschäft tätigen Schauspieler hielt sich anfangs in Grenzen. Die Synchronfirmen griffen vermehrt auf die Personen zurück, die über besondere Spracherfahrung verfügten. Außerdem wurden durch die geringe Auftragsmenge nicht besonders viele Schauspieler benötigt, so dass es Nachwuchskräfte sehr schwer hatten. So konnte man beispielsweise in einer zeitgenössischen Studie lesen: „Dem Publikum fällt es im Großen und Ganzen nicht auf, wenn beispielsweise in 10 Filmen für 10 verschiedene ausländische Darsteller einunddieselben deutschen Stimmen eingesetzt sind, weil in Hamburg im Allgemeinen wenig bekannte Auslandstars synchronisiert werden, an deren deutsche Doubles man sich seit Jahren gewöhnt hat”..“

 

Anfangs wurden in Hamburg hauptsächlich britische Filme synchronisiert. Die Synchronisation amerikanischer Hollywoodfilme mit ihren bekannten Stars fand hingegen an anderen Orten statt. Auch sonst lieferten sich die wachsenden Hamburger Studios einen Wettkampf mit den übrigen deutschen Firmen. Um mithalten zu können, mussten die Arbeitsbedingungen sowie die Technik laufend verbessert werden. Die Synchronschauspieler in der Hansestadt stammten überwiegend von Hamburger Theaterbühnen. Vor Aufnahme des Synchronbetriebes 1946 bei der Alster Film wurden systematisch alle Theater angeschrieben und nach interessierten Schauspielern gesucht. Außerdem fragte man ehemalige Hörspielmacher, ob diese stimmliche Talente empfehlen könnten. Viele später bekannte Schauspieler wie Boy Gobert meldeten sich und nahmen an einem groß angelegten Casting bei der Alster Film teil. Dort wurde getestet, ob die Schauspieler Talent für das Synchronisieren besaßen und unter Leitung des jungen Produktionsassistenten Bodo Menck wurde eine Synchronkartei erstellt, wie man sie heute in digitaler Form kennt. Die Stimmen der Schauspieler wurden katalogisiert und nach Charakteristika eingestuft (wie „hinterhältig“, „adelig“ usw.).

 

Da viele Hamburger Mitarbeiter anfänglich kaum Ahnung von der komplizierten Technik hatten, waren die Synchronbetriebe auf ehemalige UFA-Mitarbeiter angewiesen, die aus unterschiedlichen Gründen vor bzw. nach Kriegsende nach Hamburg gekommen waren. Diese hatten bereits Erfahrungen in der Bedienung der Geräte gesammelt und wussten, wie man die alte und störanfällige Technik am Laufen halten konnte.

 

Dem anfänglichen Film-Boom in der Hansestadt folgte Ende der 1950er Jahre aufgrund von sinkenden Kino-Zuschauerzahlen eine Krise, von der sich Hamburg als Spielfilmproduktionsort eigentlich bis heute nicht wieder richtig erholen konnte. Dies hatte natürlich auch Folgen für die Synchronbranche. Aufgrund mangelnder Produktionen von Kinofilmen gingen die Nachvertonungsaufträge zurück, die für Synchronstudios ein zusätzliches Standbein waren.

 

Für die Synchronschauspieler bedeutete es, dass sie in Hamburg weniger Jobs nachgehen konnten. Aufgrund seiner unzähligen Synchronstudios und -aufträge bot Berlin den Darstellern außerdem ein attraktiveres Umfeld als Hamburg.
Deshalb verließen bald etliche Schauspieler die Hansestadt. Erst Mitte der 1960er Jahre zogen wieder vermehrt Synchronschauspieler nach Hamburg, die auch blieben. Die Situation stand im Zusammenhang mit einer Erneuerung des Hamburger Synchronstandortes. 1961 entstand der Synchronbetrieb des ein Jahr zuvor neu gegründeten Studio Hamburgs (das wiederum aus der ehemalige Real-Film GmbH hervorgegangen war). Aufgrund von Verbindungen mit zum Norddeutschen Rundfunk konnte der Synchronbetrieb darauf setzen, Aufträge des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu erhalten. Ferner weiteten die Fernsehanstalten ihre Synchronaufträge auf das gesamte Bundesgebiet
aus.

 

Zunächst arbeitete Studio Hamburg mit erfahrenen Berlinern und dem „harten Kern“ der heimischen Synchronschauspieler zusammen, denn auswärtige Synchronschauspieler verursachten zusätzliche Reise- und Hotelkosten. Schon deshalb bot der Synchronbetrieb nun auch Nachwuchskräften einen Nebenverdienst. Schwierigkeiten entstanden durch die fehlenden erfahrenen Dialogautoren und Synchronregisseure. Erst nach vielen Jahren verfügte Studio Hamburg über eigene Spezialisten im Synchronbereich, die aufgrund der ständigen Arbeit auf diesem Gebiet Erfahrungen besaßen. Darunter waren Synchronschauspieler, die die zusätzlichen Tätigkeiten wahrnahmen und einige Berliner Fachkräfte, die sich in Hamburg niederließen. Mit Ausnahme der bei Aufträgen einzubeziehenden „festen Stimmen”, konnte in den 1960er Jahren wieder eigenständiger gearbeitet werden.

 

Aufgrund der Auftragssituation im Bereich Spielfilmsynchronisation reduzierte sich die Synchronproduktion auf die Aufträge der Fernsehsender. Vom expandierenden Studio Hamburg profitierten wiederum die übrigen Synchronfirmen. Sie erhielten die Aufträge, die nicht von Studio Hamburg bewältigt werden konnten. Dazu zählte neben der Alster Film auch die Mitte der 60er Jahre gegründete Firma Studio Funk.

 

Aus der Filmstadt Hamburg wurde langsam die Fernsehstadt Hamburg. Die Norddeutsche Rundfunk, aber bald auch andere Fernsehsender ließen bei Studio Hamburg produzieren, was Synchronschauspielern auch zusätzliche Beschäftigungen einbrachte. Damit wurde auch der Synchronstandort Hamburg attraktiver und es kamen verstärkt neue Schauspieler hinzu. In den1980er Jahren sorgte die Synchronisation von Pornofilmen für zusätzliche Aufträge für die Schauspieler. Kleine, sich auf dieses Gebiet spezialisierte Studios entstanden, aber auch bei renommierten Studios wurden hin und wieder derartige Filme synchronisiert. Auch Beate-Uhse-Filme wurden direkt in Studios der Porno-Produktionsfirma RIBU von Werner Ritterbusch synchronisiert, der auf diesem Gebiet für die meisten Aufträge sorgte. Für diese Synchronisationen wurden keine „Billig-Sprecher” engagiert, sondern auf die herkömmlichen Hamburger Synchronschauspieler zurückgegriffen. Durch die Entstehung des Privatfernsehens und dem den Beginn der Video-Synchronisation gründeten sich vermehrt kleine Firmen von zumeist ehemaligen Mitarbeitern traditioneller Synchronfirmen wie die AIster Film Studios oder Studio Hamburg. Doch nicht immer arbeitete man bei kleinen Firmen optimal. So fluchte der Synchronschauspieler Gottfried Kramer über eine neue Firma: „Da fahre ich nie wieder hin. Ich kam da hin und so ein junger ‚Tonknecht’ sagte während meiner Aufnahme immer: ‚Sprechen Sie mal lauter. Sprechen Sie mal ein bisschen leiser’. Nach einer Stunde sagte ich dann zu dem: ‚Wozu hast Du denn da deine Regler?’ Da antwortete dieser: ‚Davon verstehe ich nichts. Man hat mir nur gesagt, ich soll aufpassen, dass der Regler nicht in den roten Bereich geht!’

 

Im Laufe der Zeit entstand die so genannte Synchronmeile zwischen Wandsbek Markt und Studio Hamburg, an der sich einige Synchronfirmen befanden. Das Synchronisieren entwickelte sich in Hamburg zur Fließbandarbeit. Die Auftragslage war durch die privaten Fernsehsender so hoch, dass man als Aufnahmeleiter drei bis vier Aufträge gleichzeitig hatte, und die großen Synchronfirmen verfügten über mehrere Aufnahmeleiter: „Es wurde Tag und Nacht synchronisiert“, weiß der Zeitzeuge Wolfgang Dräger zu berichten. Während die traditionellen Synchronbetriebe verstärkt in die neueste Technik investierten, etablierten sich die jungen Studios dank vielfältiger Produktionen auf dem Synchronmarkt. Die Hamburger waren den Berliner Synchronfirmen, aufgrund modernster Technik in Verbindung mit erschwinglichen Qualitätsproduktionen, im Auftragssegment der Privatsender und Videoverleiher mindestens gleichberechtigt, manchmal sogar im Vorteil.

 

Die größte und langfristigste Produktion in Hamburg war die Daily-Soap „Springfield Story”, die bei Studio Funk synchronisierte wurde. Sie sicherte von 1986 an für über dreizehn Jahre vielen Hamburger Synchronbeschäftigten einen festen Job. Doch der Fernsehsender RTL nahm die Serie dann aus seinem Programm und ersetzte sich sie durch ein Magazin. Generell gingen die Synchronaufträge seit Mitte der 1990er Jahre zurück. Einige Firmen mussten infolge dessen aufgeben. Auch einige Fernsehsender verließen Ende der 1990er Jahre die Hansestadt: MTV und SAT.1 mit seiner Sportsendung „ran” zogen nach Berlin, RTL 2 sendete seine Nachrichten in Köln und Premiere verlegte seinen Sitz nach München. Auch Musikfirmen wanderten ab. Zudem verlor Hamburg immer öfter den Kampf um neue Medienprojekte, zumal die drei Synchronregionen Nordrhein- Westfalen, München und Berlin-Brandenburg verfügen über einen Subventionsvorteil gegenüber Hamburg verfügten:

 

„Der Stadt sind die Hände gebunden. Während Nordrhein-Westfalen, Berlin und Brandenburg als strukturschwache Gebieteihr Geld mit der Gießkanne verteilen können, würde Hamburg bei jeder Art von Ansiedlungssubventionen mit der Europäischen Union in Konflikt kommen“, berichtete das „Hamburger Abendblatt“ im November 1988.

 

Wie schon in der Kinobranche, wo sich in Berlin und München die Auftraggeber im Umfeld befinden, verloren die Synchronbetriebe als Zulieferer des Fernsehmarktes wichtige Kunden. Darüber hinaus existierte in Hamburg zwar eine Filmförderung, die auch manchmal in der Synchronbranche greift, aber im Großen und Ganzen ist sie in diesem Bereich wirkungslos. Ein Beispiel für die Wirkung der Hamburger Filmförderung war der Film „Julia forever“. Dieser sollte ursprünglich in München synchronisiert werden. Erst durch die Förderung erhielt Studio Hamburg Synchron den Synchronauftrag. Weitere Angebote des Verleihers wurden ‚normal’ kalkuliert. Doch ohne Förderung erhielt Studio Hamburg Synchron keine weiteren Aufträge. Ein anderes Negativ-Beispiel: Im März 1999 sollte im „Mediencenter Holstenplatz” in Altona ein neuer Synchronbetrieb entstehen, doch die als Mieter geplante Münchner Firma „Plaza Synchron” nahm davon Abstand, obgleich die Flächen nur schwer zu vermieten waren, denn das Gebäude wurde für das Synchronstudio in jeder Hinsicht maßgeschneidert. Inzwischen haben sich dort Internetfirmen angesiedelt.

 

Bei der Kinofilm-Synchronisation gehören bis heute einige kleinere Verleihfirmen wie ARSENAL zu den Auftraggebern in der Hansestadt. Viele hochwertige Spielfilme wie der chinesische Film „Rote Laterne“, „Das Hochtzeitsbankett“ aus Taiwan oder die dänische Krimikomödie „Flickering Lights“ erhielten in den letzten Jahren bei Studio Hamburg ihre deutsche Fassung. Weitere Kunden des Studios sind Tele München, Arte, Super RTL und der Discovery Channel von Premiere. Auch DVDs werden neuerdings verstärkt synchronisiert. Und schon seit Jahrzehnten findet bei Studio Hamburg auch die Vertonung von Industriefilmen aller Art statt.

 

So bleibt festzuhalten: Der Synchronboom der 1980er und 1990er Jahre ist vorbei, da die Fernsehsender ihre Programmstruktur zugunsten von Eigenproduktionen umgestellt haben. Die Standortqualität der Hamburger Synchronbranche leidet heute unter dem Konflikt der Medienstädte Hamburg und Berlin, da die Auftragslage für Synchronbeschäftigte in der Hauptstadt momentan besser ist: So werden die meisten Kinofilme gegenwärtig in Berlin synchronisiert. Um Aufträge zu erhalten, sind die Synchronfirmen gezwungen, die Preise knapp zu kalkulieren. Dies wirkt sich auf die benötigte Zeit beim Synchronisieren aus und hat auch unmittelbare Auswirkungen auf die Honorare der Synchronbeschäftigten sowie die Qualität der Synchronisationen.

 

Trotzdem profitiert die Stadt Hamburg bis heute von der wechselseitigen Beziehung der Synchronisation mit anderen Kultur- und Medie n p r o d u k t i o n e n wie Theater, Film und Fernsehen. Diese sorgen generell für viele und vielseitige Betätigungsmöglichkeiten für die Schauspieler. Letztlich müsste eine Sensibilisierung von Seiten der Politik für die Stärkung beziehungsweise den Erhalt der verbliebenen Synchronstudios erreicht werden. Diese sollten die wie die übrigen Kultur- und Medienbetriebe stärker in die Förderungsmaßnahmen eingebunden werden. Leider ist nach wie vor das Interesse der Öffentlichkeit in der Synchronisation relativ gering; die Eindeutschung wird als reine Selbstverständlichkeit vom Publikum erwartet und in dem Abspann werden vielfach noch nicht einmal mehr die Namen der Sprecher selbst genannt. Dies ist umso bedauerlicher, als das die Synchronisation in Hamburg durchaus eine lange Tradition aufweisen kann. Bleibt die vage Hoffnung, dass - aufbauend auf den hier vorgenommenen Blick in die Vergangenheit und dem Aufzeigen der einstigen Bedeutung des Synchron-Standortes Hamburg - die noch existierenden Betriebe trotz der augenblicklichen Misere zumindest vorsichtig optimistisch in die Zukunft blicken werdenkönnen.

 

Der Verein trauert

... um Hans Joachim Wulkow, geboren am 3. März 1927, gestorben am 1. Mai 2005. Er war von 1947 an bei der Alster Film als Ingenieur tätig, fungierte später als Cheftechniker und sogar als Geschäftsführer. Auch wenn er nie Mitglied unseres Vereins war, so verdanken wir ihm doch das historische Magnetophon-Gerät und kamen durch seine Vermittlung auch zu dem einzigartigen Selbstdarstellungsfilm der VERA-Film-Werke von 1925. Ferner überließ er uns Unterlagen und filmische Selbstdarstellungen der Alster Film. Auch die Diplomarbeit von Marco Schmidt-Thedt unterstützte er tatkräftig durch mehrere ausführliche Interviews.