Sammlungen

Alte Hamburger Lichtspielhäuser (6):

Kinokrieg in den Elbvororten

Von Volker Reißmann

Die Chroniken der beiden Filmkunst-Spielstätten „Landhaus-Lichtspiele“ und „Liliencron-Theater“ in Flottbek spiegeln einen Teil der wechselvollen Geschichte der Hamburger Programmkino-Betriebe wider. Als einer der ganz wenigen Kinoneubauten der unmittelbaren Vorkriegszeit wurden 1938 die „Landhaus-Lichtspiele“ eingeweiht. 1954 übernahm die Eigentümer-Familie Ramcke den Betrieb selbst, doch der erzürnte Ex-Pächter ließ in unmittelbarer Nähe am Kalckreuthweg ein fast baugleiches Kino errichten, dem er auch demonstrativ denselben Namen gab. So nannten die Ramckes notgedrungen ihr Haus in „Liliencron-Theater“ um. Heute erinnern sich jedoch nur noch ältere Filmenthusiasten an ihre Namen, denn die Kinokrisen der letzten Jahrzehnte überlebten schließlich beide Celluloidtempel nicht: Bereits 1963 kam das Aus für die „Landhaus-Lichtspiele“ und 14 Jahre später mußte auch das legendäre „Liliencron“ seine Pforten für immer schließen.

 

Der am 26. Mai 1902 in Groß-Flottbek geborene Karl Friedrich Georg Ramcke war von Kindheit an den schönen Künsten zugeneigt. Nachdem er ab 1932 zunächst den väterlichen Malereibetrieb weiterführte, beschloß seine Mutter Mitte der dreißiger Jahre, einen Lichtspielbetrieb zu errichten, um ihrem Sohn zukünftig durch die Pachteinkünfte eine ständige Erwerbsquelle zu sichern. Das vorgesehene Grundstück an der Beselerstraße 21 hatte bereits den Großeltern gehört. Georg Ramcke absolvierte zu dieser Zeit die Kunstgewerbeschule in Dresden, wo er Schüler des damals bekannten Malers Otto Dix war und einen jungen Architekten namens Rudolf Lodders kennenlernte, der bald darauf einmal als innovativer Städtebaumeister große Karriere machen sollte. Dieser Freund wurde nun beauftragt, mehrere Bauzeichnungen für ein Kino zu erstellen, welches sich möglichst harmonisch in den damals noch eher ländlich geprägten Baubestand Flottbeks einfügen sollte.

 

Architektur im Bauernhaus-Stil

Lodders legte alsbald mehrere Entwürfe vor, die teilweise bis ins kleinste Detail durchgeplant waren. Dabei wurde selbst die Gestaltung der Eingangstüren und des Kassenhäuschens genau festgelegt, wie die erhaltenen Skizzen im Architekten-Nachlaß belegen, der heute im Hamburger Staatsarchiv aufbewahrt wird. Weil die Zeit der großen Lichtspielpaläste, die vorwiegend Mitte der 1920er bis Anfang der 1930er Jahre errichtet wurden, schon fast vorüber war, konnte auf jeglichen überschwenglichen Prunk verzichtet werden. In der endgültig gebauten Version besaß das Kino letztendlich immerhin 400 Plätze. Generell waren Neueröffnungen von Lichtspielhäusern während der NS-Zeit eher eine Seltenheit, so dass die 1938 eröffneten „Landhaus-Lichtspiele“ zu den ganz wenigen Kinoneubauten in den 1930er Jahren in Hamburg gehörten. Die Architekturstudenten Reinhard Happel und Holger Priess schrieben 1983 in einer Materialsammlung über die Hamburger Lichtspieltheater-Architektur, der Bau folge „einem vom Nationalsozialismus begünstigten Traditionalismus“. Trotz seiner für ein Kino ungewöhnlichen Form zeige der Außenbau auch heute noch Merkmale seiner ehemaligen Funktion: „Bis auf die Eingangsfront weist er keine Fenster auf und an den Längsseiten befinden sich die ummauerten Stützpfeiler, die auf einen großen Saal mit weitgespannter Decke schließen lassen. Diese durch eine Rautenrasterung kunstvoll strukturierte, als Flachtonne ausgebildete Holzdecke ist zwar noch vorhanden, aber durch die neu eingezogene, abgehängte Lokaldecke nicht mehr zu sehen“.

 

Ein Kino als Goldgrube

Gleich nach der Fertigstellung des Hauses Ende 1938 wurde das Kino an den am 20. Juli 1900 in Hamburg geborenen Kaufmann Friedrich Robert Carl Jung verpachtet, der bereits seit 1931 an der Eimsbütteler Chaussee 63 ein Kino betrieb. Aber obwohl die Familie Ramcke die Einkünfte aus der Vermietung gut gebrauchen konnte, war sie nie ganz mit dem Pächter einverstanden, denn dieser erwies sich ihrer Meinung nach als „gewöhnlicher Kino-Fritze“, dessen Programm überwiegend aus „seichter Kost“ bestand. Doch das Kino stellte sich bald als Goldgrube heraus und hatte auch in den problematischen Jahren des 2. Weltkrieges, als die Leute aus den Elbvororten sich wegen des ständigen Fliegeralarms nicht mehr in die Innenstadt trauten, eine starke Auslastung: Denn das Publikum suchte dringend Ablenkung vom grauen Kriegsalltag und so war der Saal in den Nachmittags- und Abendvorstellungen fast immer voll. 1943 wurde Georg Ramcke mit 41 Jahren zur Wehrmacht eingezogen und mußte den Rußland- Feldzug mitmachen. Mit angeschlagener Gesundheit kehrte er Ende der vierziger Jahre aus der Kriegsgefangenschaft zurück und ärgerte sich nach eigenem Bekunden noch immer über den Pächter, weil dieser nach wie vor auf die populäre Vorkriegs-Unterhaltungsware setzte. Er war der Ansicht, der Pächter hätte von „künstlerischer“ Programmgestaltung keine richtige Ahnung und so kam schnell bei ihm der Gedanke auf, das Kino in eigener Regie weiter zu betreiben. Denn gerade nach dem Krieg war bekanntermaßen der Wunsch des Publikums sehr groß, endlich einmal Werke aus dem Ausland zu sehen, amerikanische, britische oder auch französische Filme, die während der Nazizeit verboten waren.

 

Ein neuer Anfang

Schließlich wurde der Vertrag mit dem Pächter zum Ende des Jahre 1953 gekündigt. Der Pächter Friedrich Jung, der zu jener Zeit auch noch andere Häuser wie z.B. das „Central-Theater“ am Schlump leitete und eine in der lokalen Kinobranche ziemlich bekannte Größe war, war daraufhin natürlich seinerseits sehr verärgert und schwor feierlich, sich dafür möglichst bald zu revanchieren. Am 17. Dezember 1953 meldete Georg Ramcke bei der Gewerbeaufsicht in Altona ordnungsgemäß den Wunsch an, in eigener Regie einen „Lustbarkeitsbetrieb mit Lichtspielvorführungen“ an der Beselerstraße zu eröffnen. Zunächst einmal nahm er am Theatersaal kleinere Umbauten vor und bastelte an einem eigenen Kinoprogramm. Doch viel Zeit sollte ihm nicht bleiben, denn schräg gegenüber war bereits vor dem Jahreswechsel mit dem Bau eines neuen Kinos begonnen worden. Der Ex- Pächter löste seinen Schwur ein und errichtete auf einem rasch erworbenen Grundstück in unmittelbarer Nähe einen, wie die Ramckes zu Recht meinten, „primitiven Rache-Bau“. Dieser besaß die gleiche Giebelfassade und hieß ebenfalls „Landhaus- Lichtspiele“ - denn der Name war nicht rechtzeitig geschützt worden.

 

Das „Liliencron“ wird eröffnet

Jörg Ramcke, der Sohn des damaligen Betreibers, erinnert sich: „Ich weiß noch, wie ärgerlich mein Vater damals war, denn der Name war ja gut eingeführt, obwohl er ihn eigentlich auch nicht so liebte. Dagegen groß zu prozessieren hatte wenig Sinn, denn Jung hatte den Namen vorher schon für sich selbst schützen lassen. Heinz B. Heisig vom ‘Esplanade’ gab meinem Vater dann den Rat, sein Kino nach dem berühmten Hamburger Lyriker und Dramatiker Detlef [eigentlich: Friedrich Adolph Axel Freiherr] von Liliencron zu benennen. Mein Vater war im Kinogeschäft ein totaler Neuling und bekam es doch etwas mit Angst zu tun, auch weil die Verleiher sagten: ,Der Ramcke hat nur ein Kino, aber der Jung zwei oder drei Spielstätten. Außerdem ist er Künstler und mag deswegen vielleicht Ahnung von künstlerisch anspruchsvollen Filmen haben, aber wie ein Kino geschäftsmäßig betrieben wird, weiß der mit Sicherheit nicht!‘ Deswegen hat er sich mit Heisig getroffen, der damals Vorsitzender des Kinobetreiberverbandes in der britischen Besatzungszone war und ihm viele Tipps gab. Sicherlich hatten wir ein wenig Angst vor der neuen Konkurrenz, zumal das neue 650- Plätze-Kino sogar noch knapp 250 Zuschauer mehr aufnehmen konnte. Das konnte natürlich nicht lange funktionieren, selbst in so einem gutsituierten Stadtteil wie Flottbek nicht!“

 

Filmkunst kontra Kassenknüller

Das Duell der beiden Kinobetreiber begann, als die Neu- bzw. die Wiedereröffnung am gleichen Tage, dem 19. März 1954, erfolgte. Jung zeigte zur Eröffnung seiner neuen „Landhaus-Lichtspiele“ am Kalckreuthweg 90 den ein Jahr zuvor produzierten Streifen „Regina Amstetten“ mit Luise Ulrich, der bereits erfolgreich in der Innenstadt gelaufen war. Die Familie Ramcke konterte bei der Eröffnung ihres Spielbetriebs in Anwesenheit des Schauspielers Mathias Wiemann mit dem Werk „Andere Zeiten“ („Altri tempi“, 1952), einem kleinen italienischen Episodenfilm von Vittorio de Sica, der schon wegen des programmatischen Titels ausgewählt worden war - eben weil nun andere (Kino-)Zeiten anbrechen sollten! Doch zunächst hatte Jung mit seinen Erfolgsfilmen die besseren Karten und für die Ramckes war es sehr deprimierend mit anzusehen, wie die Menschenmassen an ihrem Haus vorbeizogen, um zur neuen Konkurrenz zu strömen.

 

Das „etwas andere Kino“

Aber nach einer harten Durststrecke von knapp zwei Jahren freundete sich das Publikum langsam mit dem „etwas anderen Film“ an, wie zum Beispiel mit den Werken des italienischen Neorealismus von de Sica und von Fellini. Konsequent setzte Georg Ramcke auf qualitativ hochstehende Filmware; noch gut kann er sich an die vielen Versuche zur Überwindung dieser Anlaufschwierigkeiten erinnern: „Wichtige Anregungen erhielten wir von der Gilde deutscher Filmkunsttheater, in der ich Mitglied geworden war, da arbeiteten sehr engagierte Leute. So wie Dr. Künzig aus Mannheim, der Verbandsvorsitzende, von dem wir viele Impulse für die Programmgestaltung erhielten, wie Empfehlungen für Retrospektiven oder Filmreihen, die in anderen Städten schon ausprobiert worden waren. Die Leute kamen, insbesondere als das Kino dann Profil bekam, denn es galt als etwas ,Besonderes’. Und das Besondere reizt ja ohnehin immer, so war das auch beim ,Liliencron‘. Es mag sein, das es alltags nicht immer ganz voll besetzt war, aber sonnabends und sonntags lief es immer gut.“

 

Durchbruch mit der Garbo

Bald besaß das „Liliencron“ einen fabelhaften Ruf für anspruchsvolle Kinogänger, denn es war neben der „Gondel“ und der „Koralle“ eines der wenigen echten Hamburger „Filmkunsttheater“ der damaligen Zeit. Nur mit der Zuschauerzahl haperte es noch. Jörg Ramcke erinnert sich: „Da kam Vater auf die Idee, eine Greta-Garbo-Retrospektive zu machen. Dabei waren die Filme in Deutschland gar nicht erhältlich, weswegen er mit einer Dolmetscherin sogar zur europäischen 20th-Century-Fox- Zentrale nach Paris fuhr. Obwohl sie eigentlich dort ganz nett zu ihm waren, haben sie ihn doch vermutlich für einen harmlosen Spinner gehalten. Aber es muß ihnen wohl imponiert haben, dass sich jemand einmal um den guten Film kümmerte und etwas ganz anderes auf die Beine stellen wollte. Obgleich die meisten dieser Streifen sicherlich Schnulzen waren, waren die Werke doch eben schon ein Stück Filmgeschichte, nur dass diese die wenigsten bei uns kannten. Auf jeden Fall war die Retrospektive, die exklusiv im ,Liliencron‘ lief, ein durchschlagender Erfolg: Schon ab 4 Uhr nachmittags standen die Leute Schlange, um Karten zu kaufen. Ob die Filme nun synchronisiert waren oder nicht, das spielte eigentlich schon gar keine Rolle mehr, denn die meisten Kopien kamen ja direkt aus den USA, waren also in der Originalversion. Wir wurden schließlich von unserem eigenen Erfolg überrascht!“.

 

Filmfestspiele im Hochsommer

Schon vor der Garbo-Retrospektive hatte man damit begonnen, Programme zu drucken. Aber der lang ersehnte, endgültige Durchbruch stellte sich eben erst mit diesem Sonderprogramm ein. Dies war gleichsam der Startschuß für ein „anspruchsvolles Kino“ mit internationaler Reputation. Ende der 1950er Jahre wurde dann endlich ein Parkplatz gebaut, denn immer mehr Kinobesucher reisten mit ihren eigenen vier Rädern an. Und dann beschloß man, im Sommer „Internationale Filmkunstwochen“ zu veranstalten - für die damalige Zeit ein absolutes Novum. Sechs Wochen lang wurde jeden Tag ein wechselndes Programm gespielt, immer eine Woche französische, englische, japanische, italienische oder amerikanische Filme. Geworben wurde mit Zeitungsanzeigen und Plakaten auf Bahnhöfen, deren Motive Georg Ramcke als gelernter Kunstmaler teilweise selbst gestaltete. Auch bei sommerlichen Temperaturen von 30 Grad Celsius im Schatten warteten die Besucher noch in Schlangen vor der Kasse. Es bestand offensichtlich ein unheimlicher Nachholbedarf in Sachen Filmkunst. In einem im Februar 1995 unter der Überschrift „Die Celluloidwelt in den Elbvororten“ im „Klönschnack“ veröffentlichten Beitrag schrieb Teodor Petrache: „Auf dem Höhepunkt dieser Kinoglanzzeit pflegte Georg Ramcke vor jeder Vorstellung stets ein paar Worte an das Publikum zu richten.“ Diese einführenden Worte an das Publikum kamen immer gut an und sorgten für eine zusätzliche Bindung an das Haus. Gleiches galt für die prominenten Persönlichkeiten, die man nach ihren „Wunschstreifen“ befragte, die dann ins Programm aufgenommen wurden. Helmut Schmidt beispielsweise, der damals gerade vom Senator zum Bundestagsmitglied ,aufgestiegen‘ war, schwärmte demzufolge für Fellinis „La Strada“ mit Anthony Quinn. Langjährige Besucher des Filmtheaters wie Gerhard Vogel erinnern sich noch gern an die Exklusivität des Programms: „Es gab häufig experimentelle Vorfilme mit konstruktivistischen, also abstrakten Filmfigurationen. Dazu wurde Playbach gespielt, eine fast vergessene Musikrichtung, die mit der verjazzten Form von Bachstücken arbeitete. Das war damals zwar völlig ungewöhnlich, passte jedoch hervorragend zum anspruchsvollen Programm dieses Theaters.“ Und Rainer Aust, der ebenfalls häufig Gast in diesem Kino war, berichtet über ein Erlebnis besonderer Art: Bei einer Nachmittagsvorstellung des Filmes „Amphitryon“ mit Willy Fritsch wunderte er sich über das laute Lachen einer Person aus den hinteren Reihen. Als er sich umdrehte, stellte er zu seiner Verblüffung fest, das diese Laute von keinem anderen als dem Hauptdarsteller Fritsch selbst stammten, der sich offensichtlich noch einmal mit großem Vergnügen seinen eigenen Film anschaute.

 

Erfolgreiche Pressearbeit

Die Filmkunstwochen liefen sehr gut und so zeigte man bald nicht ein bis zwei Wochen den gleichen Film, sondern offerierte ein täglich wechselndes Programm.

Manchmal wurden auch gezielt ein oder zwei Wochen nur Filme eines einzigen Genres gespielt. So stellte der damals renommierte Rezensent Uwe Nettelbeck, der auch für die Zeitschrift „Filmkritik“ schrieb, eine anspruchsvolle Reihe mit Wildwest-Filmen zusammen. Denn er war nebenbei ein bekennender Westernfan und suchte das Programm mit großer Sorgfalt aus: Keine banalen Revolver- Western, sondern die renommiertesten Werke des Genres von Regisseuren wie John Ford, John Sturges und Anthony Mann wurden aufgeführt - und wieder war es ein durchschlagender Erfolg. Jörg Ramcke erinnert sich: „Es kristallisierte sich heraus, dass man immer wieder etwas organisieren mußte, denn so ganz von selbst lief es auch nach fünf, sechs Jahren noch nicht. Mein Vater hatte sehr gute Beziehungen zu dem Institut Française und zum italienischen Kulturinstitut, die halfen bei der Zusammenstellung französischer und italienischer Filmreihen. Auch mit Georg Ramsegger, dem damaligen ‚Welt‘-Feuilleton-Chef, pflegte er enge Kontakte und wenn wir interessante Erstaufführungen hatten, hat er immer für tolle Kritiken im Zeitungsfeuilleton gesorgt, was die Leute natürlich neugierig machte!“

 

Die große Kinokrise

Jungs „Landhaus-Lichtspiele“ bekamen die Auswirkungen der Kinokrise als erstes zu spüren: Sie wurden bereits zum Ende des ersten Quartals 1963 wegen mangelnder Rentabilität geschlossen. Am 19. April desselben Jahres fuhr noch einmal ein Fotograf der Agentur Conti-Press zum inzwischen leerstehenden Kino, um die Außenansicht bildlich festzuhalten, bevor die Umbaumaßnahmen für den später eingezogenen Supermarkt begannen. Die dabei entstandenen 18 Fotos zeigen noch einmal recht deutlich, wie frappierend ähnlich die Fassadengestaltung zum „Liliencron“ war. Auch das „Liliencron“ hatte in einer Zeit, in der „Opas Kino“ von jungen Filmemachern bereits für tot erklärt worden war, schwer zu kämpfen.

 

Vergebliche Rettungsversuche

In seinem 6. Lebensjahrzehnt beschloß Georg Ramcke, sich wieder verstärkt seiner Passion, der Malerei, zu widmen; er übertrug daher seinem Sohn Jörg und dem Schwager die Leitung des „Liliencron“. Zum 31. Mai 1969 wurde dann der Betrieb von der Familie zunächst eingestellt und das Kino vorübergehend an den Geschäftsfreund Walter Kirchner verpachtet, der es bis 1973 als „Lupe 2“ weiterführte (Kirchner hatte bereits ein paar Jahre zuvor im Keller des neuen Unilever-Hochhauses am Valentinskamp Filmvorführungen in einem umfunktionierten Vortragsraum veranstaltet, der als „Lupe 1“ bekannt war). Er baute das Foyer um, sorgte für neues Gestühl und moderne Beleuchtung. Der neue Betreiber setzte sehr auf das studentische Publikum und den damals aufkommenden Neuen Deutschen Film, doch diese Cineasten- Werke stießen nicht oder nur selten auf das Interesse des breiten Publikums. Deshalb übernahm die Familie Ramcke ab 1974 die Theaterleitung wieder selbst, konnte jedoch allen Bemühungen zum Trotz den stetigen Zuschauerschwund nicht mehr stoppen.

 

Abschied mit Marcel Carne

Nach Jahren des Niedergangs war es dann am 7. April 1977 soweit: „Berühmtes Hamburger Kino geschlossen: Im ,Filmkunst im Liliencron‘ bleibt die Leinwand für immer dunkel“, meldete die „BILD“- Zeitung in ihrer Hamburg-Ausgabe und berichtete über den letzten Vorstellungstag wie folgt: „Wehmütig strich der alte Herr noch einmal über das grüne Cordgestühl. Ein letzter Blick auf die Leinwand, über die soeben noch „Die Kinder des Olymp“ flimmerten - dann drehte er die Beleuchtung ab, ging stumm hinaus und verschloß die Tür. Georg Ramcke (74), Chef vom ,Filmkunst im Liliencron‘ hatte sein berühmtes Kino für immer dichtgemacht.“ Denn immer mehr Stühle des zuletzt 278- Plätze umfassenden Theaters, so hieß in dem Artikel weiter, seien in den letzten Jahren leer geblieben und immer weniger Freunde des anspruchsvollen Films hatten fünf oder sechs Mark auf den Zahlteller an der Kasse gelegt, um sich ein paar schöne Stunden zu machen. So wurde nach einiger Zeit des Leerstandes das Kinogestühl herausgerissen und der Komplex zu einem Gastronomiebetrieb umgebaut; noch heute befindet sich in dem Gebäude an der Ecke Lüdemannstraße/Beselerstraße ein China-Restaurant.

 

Viele Angaben dieses Beitrags beruhen auf einem Interview, welches der Autor im August 1999 mit dem damals 97jährigen (und kurz darauf verstorbenen) Georg Ramcke und seinem Sohn Jörg (ehemals „Elbe-Kino“-Betreiber) in Klein-Flottbek führte.