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Lossau's Cinematographisches Curiositäten-Cabinett

Designer Albrecht Graf Goertz: „Ich bin ein Einzelgänger“

Von Jürgen Lossau

Japanische Filmkameras, da waren wir uns bislang sicher, die wurden auch in Japan „designt“, speziell die ersten Fujica Single-8-Kameras. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn neben den Einsteiger- Modellen P1 oder C100, die 1964 maßgeblich von Shigeo Mizukawa entworfen wurden, hatte auch ein Deutscher seine Hand im Spiel: Albrecht Graf Goertz, der Designer des legendären Sportwagens BMW 507 von 1955.

 

In Norddeutschland 1914 als zweiter Sohn auf einem Gut geboren, schaffte er weder Abitur noch Banklehre. Mit 22 ließ er seine Heimat hinter sich, ging nach Amerika. Fünf Jahre diente Goertz an der pazifischen Front. Danach widmete er sich ganz und gar dem Tuning von Autos. Eines Tages stand sein zusammengezimmertes Coupé im Innenhof des New Yorker Edelhotels Waldorf Astoria. Aus dem kam gerade Stardesigner Raymond Loewy, der Mann, der Lucky Strike, Coca-Cola, IBM, Shell und BP ein Gesicht gegeben hat.

 

Loewy entdeckte im Rückspiegel seines Autos den Schlitten von Goertz, kam auf ihn zu und bat ihn insein Office. „Studieren Sie Design“, riet er Goertz. Zwei Jahre lang konnte er sich bei Loewy und anderen mit dem legendären Studebaker-Autodesign beschäftigen. Eine Weile arbeitete Goertz bei Loewy, doch der schmiss ihn schließlich raus: „Aus Ihnen wird nie ein Designer. Schauen Sie, dass Sie eine reiche Frau heiraten!“

 

Doch Graf Goertz hatte nochmal Glück. Er traf auf Maxie Hoffman, einen begnadeten Autohändler aus Österreich, der in den USA Mercedes, Porsche und BMW den Weg ins Nachkriegsgeschäft ebnete. Dieser Mann hatte Einfluß bis in die höchsten Führungsetagen. Ein von BMW neu vorgestelltes Sportwagen-Konzept gefiel ihm nicht. Deshalb bat er Goertz 1954, drei eigene Skizzen per Luftpost nach München zu schicken. Die Antwort kam als Telegramm: der Graf möge anreisen. So entstanden der BMW 503 und der 507. Letzterer ist eine Designlegende, die im heutigen Z8 wieder anklingt.

 

Doch Goertz ist ein Getriebener; er bleibt nirgendwo lange. Ein Bügeleisen für Rowenta - 1958. Ein Neff-Herd - 1961. Constructa-Waschmaschinen - 1962. Montblanc Füller, Saba Radios, Linde Gefriertruhen - vieles trägt in den sechziger Jahren seine Handschrift.

 

Dann ist Goertz der erste deutsche Designer, der versucht, in Japan Fuß zu fassen - bei Nissan. Er entwirft den damals erfolgreichsten Sportwagen der Welt: Nissan/Datsun 240 Z. Und jettet von einem Auftraggeber zum nächsten - mit Büros in den USA, Japan, Deutschland, Mexico und auf den Bahamas. Doch dort sitzen nur Sekretärinnen; die Entwürfe gestaltet der Einzelgänger allein.

 

„In den fünfziger und sechziger Jahren war ich für Agfa und Polaroid tätig, habe Fotoapparate entworfen“, erinnert sich Goertz. In Japan kam er 1964 mit dem Präsidenten der Firma Fuji zusammen, den er nach Aufträgen fragte. Tatsächlich bekam Graf Goertz einen Vertrag mit Fuji. „Wann kann ich Ihre Ingenieure treffen?“ fragte Goertz den Präsidenten Setsutaro Kobayashi arbeitsbeflissen. „Doch der ging immer nur mit mir Tee trinken, fünfmal in einem Jahr. Für mein Geld mußte ich nichts tun“, schüttelt Goertz noch heute den Kopf.

 

„Jetzt kennen wir uns“, hieß es nach über zwölf Monaten, und der Präsident von Fuji verfügte: „Nun dürfen Sie unsere Geheimnisse kennenlernen.“ Goertz bekam eine Plastiktüte mit Holzteilen: „Das sind die Bestandteile, die Sie in der Kamera unterbringen müssen“, wurde er beschieden. Außerdem stellte man ihm die Rapid-8-Kassette vor, die Fuji zusammen mit Agfa, Canon und Yashica entwickelt hatte. In dieser Kassette steckte Normal-8-Film auf Polyesterbasis.

 

Albrecht Graf Goertz entwickelte für Fuji die Modelle Z1 und Z2. Es sind Filmkameras für den gehobenen Amateuranspruch. Die Geräte nahmen die aus der Rapid-8-Kassette abgewandelte Single-8-Kassette auf, in der ein Film nach der neuen, von Kodak gesetzten Super-8-Norm enthalten war. „Ich habe nie nachgedacht, sondern rein gefühlsmäßig entschieden: wie soll eine Filmkamera aussehen“, erklärt Goertz seinen Arbeitsstil.

 

Auch einen Stummfilmprojektor, „Fujicascope M3“ genannt, entwarf Goertz 1967 für Fuji. Alle sechs Wochen flog er für eine Woche nach Japan und kümmerte sich um seine Designentwicklungen bei Nissan oder Fuji. „Man muß sich rar machen“, war seine Devise. Doch irgendwann resignierte er: „Ich werde Japan nie verstehen!“ Nach dreijähriger Zusammenarbeit beendete er seinen Vertrag mit Fuji.

 

Und so wissen wir nun, warum die kantigen ersten Single-8-Luxusfilmkameras von Fuji ein Gesicht haben, das ein Deutscher prägte. Und dort, in Deutschland nämlich, ist der umtriebige Designer auch längst wieder angekommen. Er lebt 86-jährig auf dem Gut der Familie bei Hannover.

 

Das Gespräch mit Albrecht Graf Goertz fand am 5. April 2001 statt.