Der Hamburger Architekt Karl Schneider schuf 1927/28 mit dem Großkino „Emelka- Palast“ im Arbeiterviertel Eimsbüttel den ersten „echten“ Kinobau in Deutschland. Die architektonische Sensation wirkt heute noch in der Erinnerung alter Eimsbüttler Kinofreunde nach: „Palazzo Prozzo“ wurde das Kino in der Osterstraße 124 genannt, das 1943 völlig ausbrannte, lange Jahre als Tonstudio diente und demnächst als „Aldi“-Markt wieder mit Publikum bevölkert wird. An das alte Kino erinnert nur noch die Fassade.
Riesenauftrieb zur Eröffnung am 30. März 1928 in Eimsbüttel: Während sich drinnen die geladenen Gäste am Griegschen Huldigungsmarsch erfreuten, drängelten sich in der Osterstraße Tausende von Neugierigen. Harry Elbing (Jahrgang 1920) aus der Gärtnerstraße war dabei: „Bei der Einweihung war richtig Aufruhr! Wir drückten uns die Nasen platt, um einen Blick ins Foyer zu erhaschen“. Sicherheitspolizei musste den Verkehr regeln. Das Festprogramm dauerte Stunden – doch die Neugierigen verharrten, bis die Eröffnungsgäste wieder herauskamen.
Käthe Wittenberg (Deutsches Schauspielhaus) sprach die damals üblichen Worte des früh verstorbenen Julius Wolschendorff: „Es werde Licht!“. Danach ging es los. Johannes Hampel dirigierte das „schmissige“ Emelka-Orchester, das im Orchestergraben aufspielte – die Zeit des Tonfilms sollte wenige Monate später beginnen. Nach einem Film über die Entstehung des „Emelka-Palastes“ (gedreht von Filmfreak Feuerwehrmann Werner Krüger, die Kopie ist leider verschollen), der „Emelka“- Wochenschau und „Pat und Patachon“ gab es den Spielfilm „Freiwild“ nach Arthur Schnitzlers Schauspiel) im überfüllten Haus zu sehen. Die jugendliche Hauptdarstellerin Evelyn Holt war anwesend und bekam reichlich Beifall.
Auch die Tagespresse war voll des Lobes über das rund 1.550 Plätze bietende Großkino. „Hamburg ist um ein Kino reicher, und zwar um ein Haus, das man hinfort zu den ersten unserer Stadt rechnen wird.“ („Hamburgischer Correspondent“ vom 31. März 1928).
Bislang waren Lichtspielhäuser wie Theater erbaut worden: mit Logen und Guckkastenbühne. Karl Schneider hatte völlig neue Vorstellungen für ein Kino in Eimsbüttel entwickelt, das nach nur acht Monaten Bauzeit Aufsehen in ganz Deutschland erregte: Im rechteckigen Bau – der als Teil der Gesamtanlage noch heute vom Heußweg aus zu erkennen ist – erstreckten sich freitragende Wände, die ein Oval bildeten: der ellipsenförmige Saal bot freie Sicht für jeden auf die Leinwand. Der Rang ragte 25 Meter in den 60 Meter tiefen Kinoraum herein. „Hier ging es nicht mehr darum zu zeigen, wie die Konstruktion ein Gebäude trägt“, schreibt Eberhard Pook („Karl Schneider, Leben und Werk“, Dölling & Galitz, vergriffen). „Das Thema war räumliche Illusion“. Die Decke im Saal schien zu schweben, Säulen verschwanden im Foyer und Treppenhaus in Lichtzylindern und hatten offensichtlich keine tragende Funktion mehr.
„Ich war unglaublich beeindruckt“, sagt Uwe Storjohann (Jahrgang 1925), der damals alle Eimsbüttler Kinos kannte. „Das ‚Emelka‘ war etwas Besonderes: Modern in der Präsentation, großzügig in der Ausstattung mit Riesenleinwand, indirekter Beleuchtung, bequemen roten Sesseln und dem stilvollen Foyer.”
Die fantastische Wandmalerei von Hinrich Groth (Altona) und die ungewohnte Lichtgestaltung durch Naum Slutzky erweckten auf Anhieb größte Bewunderung. „Ein Ding an sich sind die Wandmalereien“, betonte der Chronist des „Hamburger Fremdenblatts“ vom 30.03.1928. Eine monumentale Städteansicht bietet sich dem Auge, eine Mischung aus Metropolis und Neuyork mit leichten Alster-Reminiszensen“. Hinrich Groth hielt die beidseitige Wanddekoration in schwarz-grau-rot – das dezente Rot der Kinodecke fand auch in den Sitzreihen und der Wandvertäfelung wieder. Lichtrohre aus Milchglas umfassten die Wandbilder, sie reichten bis zum Rang hinauf. Der Chronist fühlte sich an „Heizschlangen eines Ozeanriesens“ erinnert. Die rote, eiförmige Decke erfuhr eine indirekte Beleuchtung auf rundlich silbernem Grund. Zwei Lichtsäulen flankierten die Leinwand, sie verlöschten bei Filmbeginn.
Mit der Fassade verkündete Karl Schneider neue Sachlichkeit: Als Teil des Gesamtkomplexes mit Geschäften und Wohnungen – 1953 durch Familie Groenewold wieder aufgebaut – war die Fassade eher zurückhaltend – nur die blaue Farbe der ersten beiden Geschosse hob sich vom weißen Putz der restlichen Fassade ab. Mit zwei vertikalen Schriftzügen „Kino“ wurde signalisiert, dass hier ein Lichtspielhaus zu erwarten war; beleuchtete Schaukästen und die Leuchtschrift „Emelka-Palast“ lockten die Passanten sogleich in Richtung Foyer, das mit kühler Eleganz einen überzeugenden Gegensatz zu Prunk und Protz anderer Filmtheater bildete.
Doch gab es auch kritische Stimmen. „Das kleine, bescheidene Vorstadtkino mit seinen beschränkten Mitteln der Ausstattung wird bald der Vergangenheit angehören, weil ihm durch das Kino-Großunternehmen die Existenzmöglichkeit entzogen wird“, schrieb das „Hamburger Echo“ (28.3.1928). Der neue „Anziehungspunkt für die Bevölkerung von Eimsbüttel“ lockte nicht mit volkstümlichen Preisen: 80 Pfennig kostete der „Rasiersitz“, 2 Mark die besten Plätze. „Das war doppelt soviel wie in den üblichen ‚Flohkisten‘-Kinos“, erinnert sich Uwe Storjohann, der 1931 hier den Film „Emil und die Detektive“ sah: „Das ‚Emelka‘-Publikum war etwas betuchter“. Die Kindervorstellungen gingen daher gesittet über die Bühne, ein Durcheinanderlaufen gab es nicht. Auch den Genuss mehrerer Filme hintereinander musste man sich verkneifen: Die Platzanweiserinnen waren unerbittlich.
Für einen Eimsbüttler Jung´ wie Berthold Peter waren 80 Pfennig zuviel Geld. Er suchte andere Wege: „Ein Klassenkamerad wurde zum Erwerb von ‚Plankenbillets‘ vorgeschickt. Auf der Toilette warteten die Freunde. Nach und nach wurden diese mit Eintrittskarten versorgt und kamen so umsonst hinein.“ In Eimsbüttel strömte das Publikum trotz Weltwirtschaftskrise heran, parallel zur Massenarmut setzte andernorts das Kinosterben ein.
Im „Emelka-Palast“ spielt man ab Oktober 1929 Tonfilme. „Submarine“ von Frank Capra wurde als „Groß-Tonfilm“ annonciert – man hörte zunächst nur Geräuscheffekte. Ganze 132 Sekunden dauerte die Tonpassage im ersten deutschen Tonfilm „Ich küsse ihre Hand, Madame.“ 1930 wurden Tonfilme wie „Die Drei von der Tankstelle“, „Stürme über Montblanc“ oder „Der blaue Engel“ gedreht. Der „Emelka-Palast“ zeigte gängige deutsche Produktionen wie „Einbrecher!“ mit Lilian Harvey und Willy Fritsch oder „Kohlhiesels Töchter“ mit Henny Porten. Harry Elbing erinnert sich an den Tonfilm „F.P.1 antwortet nicht“ (1932, mit Hans Albers) – aber auch an Propagandafilme „Hitlerjunge Quex“ oder „SA-Mann Brand“ – beide Filme waren übrigens kolossale Misserfolge.
Unterhaltungsfilme fanden sich mehr und mehr im Programm, zusammengestellt von Hans Struckmeyer, Inhaber von „Knopf´s Lichtspielen“ auf der Reeperbahn, das ebenfalls zum „Emelka“-Konzern gehörte (vergl. Michael Töteberg, „Filmstadt Hamburg“, VSA-Verlag).
Berthold Peter sah wie Uwe Storjohann – der allerdings mit den Eltern – „Der Kongreß tanzt“ (1931), aber auch US-Filme mit Fred MacMurrey als Polizist in „Polizeiauto 99“. „US-Filme wurden bis zur Kriegserklärung gegen die USA gezeigt“, bemerkt Uwe Storjohann, dem besonders der Streifen „San Francisco“ in Erinnerung geblieben ist. „Den Film hat wohl jeder Eimsbüttler im ‚Emelka‘ gesehen“, sagte er „Er war eine Sensation“. Durch außergewöhnliche Tricks wurde das Erdbeben in San Francisco nachgestellt, Clark Gable und Jeanette Mac- Donald gaben das Liebespaar. „Man hatte das Gefühl, beim Erdbeben mittendrin zu stehen“, sagt Uwe Storjohann, der den Streifen 1937 gemeinsam mit seinem Bruder im „Emelka-Palast“ sah.
Weniger angenehm sind die Erinnerungen von Margit Lehmann: „1941 wollte ich mit meiner Freundin und ihren Eltern in den ‚Emelka-Palast‘ gehen – sie hatte Geburtstag. Da ich noch nicht 14 war, steckte ich die Zöpfe in den Kragen, um älter zu wirken. Doch die Hitlerjugend kontrollierte gnadenlos. Wir mussten das Kino wieder verlassen“. Verpasst hatten sie „Altes Herz wird wieder jung“ mit Emil Jannings.
Zwei Jahre später kam der „Feuersturm“ über Eimsbüttel, der „Emelka-Palast“ brannte aus. „Drei tolle Tage“ hieß der beziehungsreiche Filmtitel der letzten Vorstellung. Nach dem Krieg gab es einen neuen „Emelka-Palast“ einige Meter weiter, der nichts mit dem Karl-Schneider-Bau gemein hatte. Der Glanz des alten Kinos blieb nur in der Erinnerung erhalten.
„Ufa“ kennt jeder – aber „Emelka“... Was heißt eigentlich „Emelka”? M.L.K. steht für Münchner Lichtspielkunst A.G. Der „Emelka“-Konzern aus München, Vorgängerin der Bavaria, war von den Brüdern Ostermayer zunächst als Filmatelier unter dem Namen „Münchner Kunstfilm Peter Ostermayer“ 1909 gegründet worden. 1929 wollte die „Ufa“, die immer wieder in Bedrängnis war und 1926 vor dem Konkurs durch Alfred Hugenberg gerettet wurde, die „Emelka“ übernehmen. Dies verhinderte die SPD-geführte Reichsregierung unter Hermann Müller durch den Erwerb der Mehrheitsbeteiligung. Pleite ging der „Emelka“-Konzern, der in Hamburg vier weitere Kinos besaß, erst 1932. In Berlin gab es bis 1928 einen „Emelka-Palast“. Dann wurde das Kino unter dem Namen „Alhambra“ am Kurfürstendamm als Erstaufführungskino wiedereröffnet.
Was hat die „Ufa“ damit zu tun? 1917 wurde mit staatlichen Mitteln und durch General Ludendorffs Einsatz die „Universum Film AG“ („Ufa“) gegründet – aus politischen Gründen – man wollte das Volk beeinflussen und gegen den „Kulturbolschewismus“ kämpfen. Schon 1919 mahnte das Auswärtige Amt bei der Universum Film AG Propagandafilme an. Währenddessen sorgten Regisseure wie Lubitsch, Lang oder Murnau nicht nur für internationales Renommee, sondern auch für eine gute Exportbilanz: Platz 3 in der Export-Rangliste nach Kohle und Eisen! Im gleichen Jahre – 1920 – hieß es in einem „Gesetz über die Prüfung von Bildstreifen für Lichtspiele”: „Eine Zensur findet nicht statt.“ Doch das Gesetz war dehnbar – und die Filmindustrie war in den Zensurgremien in der Minderheit. Später wurde das Reichsinnenministerium (ab 1931) mitentscheidend. Um keine Probleme zu bekommen, lieferte die Filmindustrie leichte Kost oder bot Preußenfilme wie „Fridericus Rex“.
„Der ‚Emelka‘-Konzern ging bei einem Konkurrenzversuch mit einem ‚Blücher‘-Film fürchterlich baden“, berichtet Michael Töteberg. Februar 1929 wurde „Waterloo“ in allen Hamburger „Emelka“- Häusern gezeigt – ein Flop mit verheerenden finanziellen Folgen.
In der archivierten Sammlung zu Karl Schneider finden sich die Reproduktionen der bemerkenswerten Fotos des Eimsbüttler Fotografen Ernst Scheel, der den „Emelka-Palast“ einst anlässlich der Einweihung abgelichtet hat. Karl Schneider hatte seinem Fotografen im Gesamtkomplex eine Atelierwohnung entworfen und gebaut, die im Krieg ebenso zerstört wurde wie Tausende von Negativen.
Arndt Prenzel, Jahrgang 1952, ist Redakteur beim "Eimsbüttler Wochenblatt"