Japan - Land des Fortschritts, Land der Technik. Und ausgerechnet in dieses Land wollte ich als vernarrter Filmgeräte-Sammler reisen, um kinematografische Spuren zu suchen. Spuren aus den sechziger Jahren: als der Schmalfilm in seine Blütezeit eintrat, als Super-8 und Single-8 auf den Markt kamen. Würde es im technikgläubigen Japan überhaupt noch Zeugen aus dieser Zeit geben? Und sind uns in Europa wirklich alle Filmkameras, die nach dem japanischen Single-8-System gebaut wurden, bekannt? Fragen, die vom 18. Mai bis zum 1. Juni 1998 vor Ort geklärt werden sollten.
ELMO-Werk in Nagoya, Stadtteil Mizuho-ku. Eine Überraschung vorab: in Japan wimmelt es von Fotogeschäften, die auf seltsame Weise seit Jahrzehnten unberührt scheinen. Der Laden als Museum. Vor allem in kleineren Städten mit rund 100.000 Einwohnern, aber auch in den Millionen-Metropolen Kyoto und Nagoya fand ich Fachgeschäfte mit verstaubten Schaufensterauslagen aus den frühen sechziger, siebziger oder achtziger Jahren. Japanische Doppel-8-Filmkameras, originalverpackt, noch mit den fabrikseits beigelegten Preisschildchen versehen - und bis heute um keinen Yen reduziert.
Da kann dann eine Doppel-8-Kamera gern mal umgerechnet 1.000 Mark (500 Euro) kosten, eine Super-8-Tonfilmkamera auch schon 1.400 Mark (700 Euro). Falls das gute Stück überhaupt verkauft wird. Denn die ältlichen Damen, die diese Läden zumeist führen und vielleicht von ihren verstorbenen Männern übernommen haben, denken teilweise gar nicht daran, ihre Schätze zu versilbern. Egal, ob man freundlich auf Englisch fragt - und absichtlich unverstanden bleibt - oder ob man mit einem japanischen Übersetzer zurückkehrt. Die Antwort kann ganz brüsk „iie" lauten, was mindestens soviel wie „nein" heißt, und nicht näher erläutert wird. Wovon diese Damen leben, läßt sich nur erahnen: ein paar Paßfotoaufträge, ein paar Laborarbeiten.
Andere Ladenbesitzerinnen geben sich zwar zugänglicher, sind aber auch der Ansicht, daß Super-8- oder Doppel-8-Kameras, für die es in Japan längst keine Filme mehr gibt, doch ruhig 700 oder 800 Mark (ca. 400 Euro) kosten dürfen. In Deutschland würde man ihnen kaum zehn Prozent dieser Summe anbieten. Und auch in Japan sammelt solche Kameras kein gesunder Geist, schon gar nicht zu den horrenden Preisen, und so bleiben die Fotogeschäfte Museen auf Zeit. Mindestens 15 solcher für mich sakraler Stätten konnte ich im vermeintlichen Hyper-Techno-Land bewundern. Und weil ich fürchtete, zuhause würde mir das keiner glauben, habe ich die angebeteten Schaufenster fotografiert.
In den Metropolen Tokyo oder Osaka finden sich, wer hätte das erwartet, Dutzende gut gefüllter Second-Hand-Fotoläden, die - im Gegensatz zu Deutschland - teilweise große Schmalfilm-Abteilungen haben. Vor allem dortige Filmstudenten kaufen gern gebrauchte Filmkameras. Aber nicht etwa Super-8-Geräte. Denn dafür gibts kaum noch KODAK-Filme in Japan und zur Entwicklung muß das Material auf eine sechswöchige Reise nach Amerika oder Europa verschickt werden. Nein, nur Single-8-Modelle sind gefragt. Denn FUJI stellt noch immer Single-8-Kassetten her und entwickelte das Material bislang in Osaka, künftig in Tokyo. Aber auch andere Laborbetriebe sind in der Lage, die Polyester-Streifen vorführfertig zu machen. Single-8-Filme werden denn auch ohne Entwicklung verkauft und sind in Großstädten in fast jedem besser sortierten Elektro- und Fotohandel zu haben. Gut 10 Mark (5 Euro) kostet ein Stummfilm mit 220 Sekunden Laufzeit (FUJI R25).
Das seelische Aufblühen des Filmkamerasammlers wird in Japan allerdings auch in diesen Second-Hand-Fotoläden deutlich erschwert. Denn weil Super-8-Kameras wegen des teuren, kaum erhältlichen KODAK-Films als wertlos gelten und deshalb weggeworfen werden, wird bei. Single-8-Modellen umso kräftiger zugeschlagen. Auch hier liegen die Preise mit 500 bis 2.000 Mark (250 bis 1.000 Euro) für gebrauchte Kisten auf dem Neupreisniveau der siebziger Jahre.
Die tagelange Ochsentour von einem erfragten Second-Hand-Händler zum nächsten wurde schließlich absurd belohnt. Abseits des Tokyoter Zentrums, in Sumida-ku, stieß ich auf ein Lädchen, bei dem in guter japanischer Tradition die Schuhe vor dem Eingang bleiben müssen: der einzige Shop des Landes, der nur Single-8-Filmgeräte verkauft. Und beim Betreten wird man gern in akzentfreiem Hochdeutsch begrüßt. Denn der Besitzer, Tak Kohyama, hat Germanistik studiert und später für ARD und ZDF in Japan Recherchen durchgeführt. Heute arbeitet er hauptberuflich als Cutter für die Werbeabteilung einer Spielzeugfabrik, die der Kinderwelt das Computer-Tier Tamagotschi beschert hat.
Rund 500 gebrauchte Filmkameras verkaufte Kohyama 1998 in alle Welt und zwei, drei sind auch bei mir hängengeblieben. In diesem Zusammenhang wird es Zeit, dem Leser ein trübsinniges Geständnis zu machen: die Liste der von 1965 bis 1983 gebauten Single-8-Modelle (veröffentlicht im „Hamburger Flimmern" 2/96) ist wohl vollständig. In keinem Geschäft, aber auch bei keinem Gespräch mit Mitarbeitern der früheren Geräte-Hersteller FUJI und ELMO, ergaben sich Anhaltspunkte für Modelle, die uns in Deutschland bislang verborgen geblieben sein könnten.
Tokyo, Stadtteil Minato-ku, ringsum Bürotürme. In einer Besprechnungsecke im Erdgeschoß des zwanzigstöckigen FUJI-Hochhauses treffe ich bei grünem Tee auf drei nette Herren. Der eine, Hirokazu Ueda, hat vor 22 Jahren den „Freundlichen Single-8 Club", so die wörtliche Übersetzung, geleitet. Eine Initiative mit Drehreisen und Hauszeitschrift der Firma FUJIFILM, um Japaner zu motivieren, mehr zu filmen. Der zweite, Tetsuya Masuda, hatte von 1982 bis 1988 die Single-8-Filmfertigung im Ashigara-Werk unter sich und ist heute in der Zentrale für den Verkauf von Filmen zuständig. Der dritte im Bunde, Ken Sugiyama aus der Pressestelle, soll Fragen und Antworten ins Englische übersetzen.
1959 wird bei FUJIFILM eine Schmalfilm-Forschungsgruppe gebildet. Zu diesem Zeitpunkt filmen zwei Prozent der Stadtbevölkerung in Japan, vielfach mit amerikanischen Geräten. Erste Normal-8-Kameras werden bei FUJI gebaut. Ab 1962 bildet FUJI mit CANON, YASHICA und KONICA einen Arbeitskreis, um die umständlichen offenen Filmspulen durch eine Kassette zu ersetzen. BELL & HOWELL, AGFA und KODAK werden 1963 gebeten, mitzumachen, um eine einheitliche Filmkassette zu entwerfen. Anfang 1964 verläßt KODAK diese Arbeitsgruppe. 13 japanische Firmen und die deutsche AGFA beschließen jedoch, zur Tokyoter Olympiade „Rapid 8" auf den Markt zu bringen: eine Kassette für Normal-8-Film. Aber die Einführung wird verschoben, weil KODAK im August 1964 unerwartet ein neues Filmformat mit größerem Bildfeld, Super-8, ankündigt.
Blitzschnell entwickelt FUJI auf der Basis von Polyester (PET) einen formatgleichen, aber um ein Drittel dünneren Film, der in die geplante eigene Kassetten-Entwicklung paßt. AGFA hat jedoch Schwierigkeiten mit Polyester, bekommt die Perforationslöcher nicht sauber hineingestanzt. Deshalb nimmt AGFA das gleiche Material wie der amerikanische Konkurrent KODAK: Acetat. Doch jetzt passen statt der 15 Meter bei FUJI nur 10 Meter in die gemeinsam erarbeitete Kassette. Deshalb haben die ersten Filmkameras von FUJI am Meter-Zählwerk einen roten Punkt bei der aufgeprägten 10. Wer AGFA-Film nutzte, wußte dann also, ätsch, für dich ist jetzt Schluß. Doch drehte wirklich jemals jemand mit AGFA? Oder ist der einzige erhaltene AGFA-Single-8-Film nur ein Muster? Vermutlich. Denn AGFA schwenkte zu Super-8 um, stellte Kameras und Filme für dieses Format her. Und der rote Punkt verschwand vom Zählwerk späterer Single-8-Filmkameras...
2.000.000 Single-8-Kameras hat FUJI von 1965 bis 1983 in Japan verkauft, nur 200.000 im Rest der Welt. Weniger als viele gedacht haben. Außerhalb Asiens ist Großbritannien der größte Markt gewesen. In den Niederlanden benutzten immerhin 30 Prozent aller Schmalfilm-Amateure Single-8. Bei uns werden es wohl nur ein, zwei Prozent gewesen sein. Aber Japan brachte es auf unschlagbare 70 Prozent. 1975 war der Höhepunkt: 7.400.000 verkaufte Filme, 1981 sackte die Zahl auf 4.200.000, um 1992 bei 90.000 Stück zu landen. Seither ist die Nutzung in etwa konstant: monatlich werden rund 6.000 Filme produziert. 10.000 Japaner filmen noch mit diesen Kassetten, während 1977 rund 10,4 Prozent aller dortigen Haushalte eine Single-8-Kamera hatten.
Und den „Freundlichen Single-8-Club", den gibt es leider auch längst nicht mehr. Von 1966 bis 1994 lud er zu Wettbewerben und Mitgliedsreisen in der hauseigenen Zeitschrift „Mein Single-8" ein, die 144mal erschien. 1975, als die Single-8-Zeiten noch freundlich waren, gesellten sich 15.000 Mitglieder in diesen Club. Am Schluß, als es sowieso nur noch um die Fujix-8-Videokameras ging, waren es noch 1.000 wackere Mitglieder.
Wer kennt sie nicht noch, die goldenen Prüfsiegel auf allen japanischen Kameras, versehen mit der Aufschrift „passed"? Vergeben wurden sie vom „JCil", dem „Japan Camera and Optica! Instruments Inspection and Testing Institute". Doch die Zeiten sind vorbei. Das „JCM" ist heute nur noch ein Museum im Tokyoter Stadtteil Chiyoda-ku. Dort traf ich eine muntere Schar alter Filmkamerafreunde, die in Japan rar sind. JCII-Vorstandsmitglied Kazuya Shima ist Sammler und brachte eine etwa 1971 gebaute FUJICA ZS400 mit, von der nicht einmal die FUJI-Leute wußten, daß es ein solches Modell je gegeben hat: die einzige Schmalfilmkamera, die Lichtton aufzeichnet. Nur rund 150 Exemplare sollen davon gebaut und hauptsächlich semiprofessionell in Bildungseinrichtungen benutzt worden sein. Ihr Vorteil bestand in billig anzufertigenden Filmkopien mit Bild und Ton. Nachteil war natürlich die Tatsache, dass Lichtton nach der Aufzeichnung weder korrigier- noch überspielbar war. Zwar haben wir europäischen Sammler nun Gewißheit, daß es von dieser Kamera mehr als einen Prototypen im Prospekt gegeben hat. Aber mit der Gewißheit geht auch der Frust einher, diesem Biest bei der geringen Stückzahl und scheinbar nur in Japan erfolgtem Verkauf vergeblich hinterherzujagen.
Ins JCII-Museum kam auch Shigeo Mizukawa, der Mann, der zwei Drittel aller Single-8-Kameras für FUJI designt hat. Von ihm stammen Aussagen, deren Wert bei Nicht-Sammlern nur unverständiges Kopfschütteln hervorrufen werden. Deshalb geht an solche Menschen die Anregung, diese Textpassage zu überspringen.
Nicht die später als erste Single-8-Kamera verkaufte FUJICA P1, sondern die C100 wurde von Mizukawa zuerst entworfen. Das rote Holzmodell besitzt der Designer heute noch; es trägt die Bezeichnung „C000". Diese Kamera erschien später in vier Farben: schwarz, dunkelrot, dunkelblau und in creme. Lange wurde experimentiert, um Kunststoff-Färbungen zu finden, die kein Licht in den Kassettenraum fallen ließen. Die spätere P300 mit 3-fach-Zoom trägt als Designmodell zunächst die Bezeichnung „PZ" („Z" für „Zoom"). Und die von Mizukawa entwickelte XL-Kamera PX300 (später „ZX300" genannt) sowie die Systemfilmkamera ZC1000 waren mit silbernem Gehäuse geplant. Aber da 1973 bei Kleinbild-Spiegelreflexkameras schwarze Gehäuse in Mode gekommen waren, entschied sich die Marketing-Abteilung ebenfalls für schwarz. Die ZC1000 war zunächst mit einem austauschbaren Motor für hohe Filmgeschwindigkeit (bis 72 Bilder/sec.) geplant. Später fand sich eine Motorkonstruktion, die alle Geschwindigkeiten ermöglichte.
Zum Kreis der Filmbegeisterten stieß auch Takashi Hibi, heute Ehrenmitglied der Eastman Society. Der gewiß Achtzigjährige war früher in vielen Gremien, die JCII-Standards koordiniert haben. Er kennt die Foto- und Filmbranche sehr genau, ist aber ein Fuchs, dem wenig zu entlocken ist. Denn, so seine Devise, was früher nur wenige wußten, muß auch heute geschützt bleiben - sonst wäre es ja kein Geheimnis mehr. „Tricky-Hibi" erinnert sich dennoch öffentlich, daß im Werk „FUJI Optical" von 1.050 Mitarbeitern Mitte der siebziger Jahre rund 250 permanent mit der Produktion von Single-8-Kameras beschäftigt waren. Etwa 750 Arbeiter aus anderen FUJI-Werken haben Teile zugeliefert. Größter japanischer Filmgeräteproduzent war die Firma ELMO in Nagoya mit 1.200 Beschäftigten.
Dorthin wollte ich auf meiner Reise natürlich auch noch. Wie ehedem im Stadtteil Mizuho-ku sitzt dasverzweigte Werksgelände von ELMO, durchzogen von quadratisch angelegten Straßen, die man offen durchschlendern kann. Heute arbeiten hier noch 600 Menschen, außerdem 200 Teilzeitkräfte, wie Europa-Marketing-Manager Kenichi Noda erklärte. Gegründet wurde die Firma 1921, um Projektoren herzustellen. Im ELMO-eigenen Museum findet sich noch ein Holzprojektor von 1928, der bei Münzeinwurf einen Streifen vorführt.
Schon Mitte der siebziger Jahre hat ELMO die Produktion von Single-8-Kameras aufgegeben, weil das Unternehmen vor allem vom Export lebte. Und da gingen Super-8-Geräte nun mal besser. Am Schluß der Schmalfilmära stand eine Kooperation mit AGFA: das „Family-System". Basis war eine Kamera mit zwei Knöpfen: einen zum Filmen, einen, um Einzelbilder zu belichten. Der von AGFA dafür gebaute Bildschirm-Projektor führt die Filme vor und stoppt immer dann, wie bei einem Dia, wenn nur ein Einzelbild belichtet wurde. Nach fünf Sekunden setzt das Gerät die Projektion fort. Der Trick funktioniert durch eine Leuchtdiode in der Kamera, die neben der Perforation eine Marke einbelichtet, so daß der Projektor erkennen kann, wann er stehen bleiben muß. Während AGFA und ELMO in den achtziger Jahren getrennte Super-8-Kameras für dieses System bauten, wurde der Projektor nur bei AGFA hergestellt und für den japanischen Markt mit einem ELMO-Emblem geliefert. Doch zu einer Weiterentwicklung kam es nicht mehr, denn Video war auf dem Vormarsch.
Heute gehört ELMO zur TOSHIBA-Gruppe, fertigt neben Teilen für diverse TOSHIBA-Geräte, unter eigenem Namen Overhead-Projektoren, CCD-Minikameras und Rundmagazin-Diaprojektoren. Auch ein 16mm-Filmprojektor wird noch immer produziert. An 8mm-Filmgeräte erinnert nur noch eine hauseigene Reparaturabteilung für hochwertige Tonfilmprojektoren.
Daß ich nun gar nicht vom fantastisch vielfältigen Essen, von klitzekleinen Hotelzimmern, von unterirdischen Einkaufszentren, von Shinkansen-Schnellzügen, die alle fünf Minuten fahren, und vom fürchterlich oberflächlichen japanischen Fernsehprogramm berichtet habe, wird mir der geneigte Leser ob der Datenflut zum Thema Single-8 gewiß nachsehen...