Sammlungen

Ende einer Epoche:

Der Schmalfilm vor dem Aus

Von Jürgen Lossau

Nüchtern betrachtet: das Ende ist nah. Vorbei sind die Zeiten, als man surrende Filmkameras während des Urlaubs neben sich erblickte. Heute regiert Video. Und trotzdem gibt es noch ein paar Unentwegte, die sich die Freude am chemischen Film nicht nehmen lassen wollen. Doch für sie wird es jetzt eng.

Mit dem 22. Dezember 1995 hat Agfa-Gevaert sein „Gera-Color“-Entwicklungslabor für Super-8-Kassetten geschlossen. Filme wurden vom Leverkusener Fotoriesen zuletzt mit dem Verfallsdatum 12/94 hergestellt. Auch der japanische Konkurrent Fuji hat sein technisch überlegenes Single-8-System einschlafen lassen, obwohl es bis zuletzt allein in Asien rund eine Million Nutzer gegeben haben soll. Die Filme tragen Haltbarkeitsprägungen bis 2/96 und werden bis Ende dieses Jahres bei Photex in Willich entwickelt.

Was bleibt, ist Kodak. Mit dem Kodachrome 40 und dem Ektachrome 160 kann vorläufig noch gerechnet werden. Auch Schwarz/Weiß-Material ist noch zu haben. Dafür sorgt neben Kodak ebenso die Berliner Firma Andec, die selbst entwickelt. Kodak schickt inzwischen alle Streifen aus Europa ins Schweizer Super-8-Labor nach Lausanne - und es bimmelt schon das Totenglöckchen. Einzig unverdrossen: die Franzosen. Ihr 9,5mm Film, uralt und lang bewährt, kommt zu neuen Ehren. Selbst Kameras und Projektoren werden dafür noch hergestellt - zu Preisen, die sich ein normaler Amateur allerdings nie leisten könnte. Doch auch für den Super-8-Film gibt es noch neue Geräte - und die kommen ebenfalls aus Frankreich, von Beaulieu. Mit 5.000 bis 7.000 Mark teuer wie eh und je. Jetzt also, wo das Ende der Schmalfilm-Ära zum Greifen nahe ist, ein kurzer Rückblick auf die Zeit, in der laufende Bilder für den Amateur erschwinglich wurden.

 

Die „Erfinder“ des Schmalfilms:

Pathé 9,5mm

Umkehrfilm aus Frankreich

Nein, der gelbe Riese war einmal nicht der Erste. Kodaks „Schmalfilm“ (Doppel-8/Normal-8) und die entsprechenden Kameras kamen erst 1932 auf den Markt. Und da war die Firma Pathé Cinéma (zuvor: Pathé Frères) schon zehn Jahre mit „Pathé Baby“ zugange. Durch einen kleinen Projektor lief ein 8,5 Meter langer Film mit Mittenperforation. Kurze Streifen mit Spielhandlung konnten geliehen oder gekauft werden. Im Dezember 1923 kam dann die erste Pathé Kamera mit 9,5mm-Material auf den Markt. 10 Meter Film liefen in nicht mal zwei Minuten am Bildfenster vorbei. Und damit der Amateur wirklich alles selber machen konnte, gab es auch gleich Entwicklungsdosen für den Umkehrfilm zu kaufen. 

 

Der „Boom“ des Schmalfilms:

Kodaks 8mm Film

Nachdem 1928 der farbige Kinofilm Einzug ins Leben der reichen 16mm-Amateure hielt, dauerte es nicht mehr lange, bis Kodak ein Format ersann, das Filmen auch für die Masse attraktiv machen sollte. Mit der Cine-Kodak Eight-20 konnte erstmals doppelseitig perforierter Film auf offener Spule durch die Kamera gejagt werden. Nach der Belichtung wurde die Spule umgedreht, um die andere Hälfte des 16mm-Films zu nutzen. Bei der Entwicklung schnitt man schließlich den Film in der Mitte auseinander und fügte die zwei Teile zu einem zusammen. So konnten 50-feet bei 16 Bildern in der Sekunde am Ende vier Minuten lang im Projektor betrachtet werden. Andere Firmen - wie Blaupunkt, Agfa oder Siemens & Halske - boten den Film vorkonfektioniert (also schon von 16mm auf 8mm getrennt) in Metall-Wechselkassetten an. So konnte die Handhabung vereinfacht werden.

Über dreißig Jahre lang bestimmte der Normal-8- Film, wegen des Trennvorgangs auch Doppel-8 genannt, die Welt der Amateure. 1960 versuchte die amerikanische Firma Fairchild sogar, diesem Film die Töne beizubringen. Mit einer Magnetpiste bespurtes Doppel-8-Material wurde nach der Belichtung an einem Tonkopf vorbeigeführt. Die recht kleine Kamera enthielt im Lieferumfang ein schweres Handmikrofon.

 

Der Film kam in die Kassette:

Kodak startet Super-8

Weil Normal-8 eigentlich nur eine Billig-Geburt war - nämlich halbierter, in der Mitte aufgetrennter 16mm-Film - war das Format mit allerlei Krankheiten behaftet. Riesige Perforationslöcher im Vergleich zum kleinen Filmbild, dicker Bildstrich, kein rechter Platz für eine Magnet-Tonspur. 1962 ging Eastman Kodak deshalb daran, einen neuen Standard zu setzen und die offenen Filmspulen in geschlossene, leicht in die Kameras einlegbare Plastik-Kassetten zu stecken. Im Mai 1965 kamen die 50 feet (15,2 Meter) fassenden Quadratkästchen auf den Markt. 50 % mehr Bildfläche standen dank kleiner Perforationslöcher mit Super-8 zur Verfügung. Das machte die Projektion größer, feinkörniger und brillianter. Aber die neuen Kassetten waren im wahrsten Sinne des Wortes „schief gewickelt“. Durch die abenteuerliche Anordnung der Spulen - nämlich nebeneinander - ließ sich das Material erst gar nicht, in späteren Jahren begrenzt, zurückspulen. Filmeffekte wie Doppelbelichtungen oder Rückwärtsdrehen blieben unmöglich.

Doch Kodak setzte den Standard durch. Und schob 1973 die „Ektasound-Kameras“ nach - jetzt konnte der Schmalfilmer synchron auf der Magnetpiste des Films (0,8mm Randspur) alle Töne zum Bild aufzeichnen. Um die ruckartige Bewegung am Bildfenster, wo in Sekundenbruchteilen Einzelbilder belichtet werden müssen, in eine für die Tonaufzeichnung fließende Bewegung am Tonkopf umzuwandeln, erdachte man einen Kniff. Der Tonkopf wurde 18 Bilder nach der Belichtung angeordnet. So bleibt Zeit, den Film mittels Andruckrolle von der ruckartigen in die kontinuierliche Bewegung zu bringen. Doch das Verfahren hat einen gewichtigen Nachteil: wer den Film schneiden will, kann nie Bild und Ton gleichzeitig kappen, weil die zueinandergehörenden Ereignisse ja 18 Bilder versetzt sind...

zu besten Zeiten - in den späten siebziger Jahren - waren 40 Film-Materialien und über 200 Stummsowie Tonfilmkameras auf dem Markt. Doch Mitte der achtziger Jahre starben nach und nach alle großen Marken, denn Video begann seinen Siegeszug. Zuerst erwischte es den weltgrößten Projektoren- Hersteller Eumig in Österreich. Über 5.000 Mitarbeiter - und damit die größte Firma des Landes - blieben auf der Strecke. Nach dem deutschen Projektoren-Hersteller Noris wurden auch die legendären Marken Bauer und Braun Nizo eingestellt. Bauers Versuch, in letzter Minute auf Video umzuschwenken und dafür den Foto-Handel zu erwärmen, scheiterte. So kam es, daß Videokameras zur Domäne des HiFi-TV-Handels wurden.

 

Die grüne Konkurrenz aus Japan:

Das technisch überlegene Single-8-System

zeitgleich mit Super-8 stellte die japanische Firma Fuji 1965 auf der IPEX-Ausstellung in New York die Single-8-Kassette mit 15 Metern Polyesterfilm vor. Das Filmformat war identisch, lediglich die Kassette war simpler - und damit schlicht besser als bei Kodaks umständlicher Super-8-Konstruktion. Beide Spulen sind bei Single 8 übereinander angeordnet, ganz wie in der Tonband-Kassette. Der Film läßt sich also zurückspulen. Das ist für Doppelbelichtungen und Überblendungen sehr wichtig. Außerdem wurde so Rückwärtsfilmen möglich. Besonders vorteilhaft: durch eine Aussparung der Kassette in der Höhe des Bildfensters kann eine kameraeigene Filmandruckplatte das Polyestermaterial gen Optik drücken und so für einen sauberen Bildstand sorgen. Diese Aufgabe übernimmt bei Super 8 ein unpräzises Plastikplättchen in jeder Kassette. Einziger Nachteil der hauchdünnen, reißfesten Fuji-Erfindung: das Polyester-Material läßt sich nur trocken mit Folien, nicht aber mit Kitt und Keilschliff, kleben.

Fuji selbst erklärt in einer Firmenbroschüre, die Single-8-Kassette sei eigentlich für den Normal-8- Film konstruiert worden. Zu den Olympischen Spielen im Oktober 1964 in Tokio sollte das System auf den Markt kommen. Doch Kodak vereitelte diesen Plan, indem man an der angebotenen Kooperation mit Fuji kein Interesse zeigte und stattdessen das 50% größere Bildformat Super-8 entwickelte. Als Fuji davon Wind bekam, überarbeitete man dort binnen zwölf Monaten alle Planungen und kam schließlich zur selben Zeit wie Kodak mit dem gleichen Filmformat wie Super-8, aber eben mit einer anderen Kassette auf den Weltmarkt.

Neben Fuji boten ab 1966 auch andere Japaner Single-8-Kameras an: Elmo, Canon, Konica und Yashica. Einzig Elmo machte bis in die achtziger Jahre mit - alle anderen Hersteller wurden von Kodak auf Super-8 eingeschworen. Und so blieb Fuji allein auf weiter Flur. Trotzdem filmten in Japan rund 80 % aller Schmalfilmfreunde mit diesem überlegenen System. Und selbst in Holland waren es immerhin 30 %!

Auch die deutsche Firma Agfa hat versucht, in den sechziger Jahren auf den Single-8-Zug aufzuspringen. Man bot Kassetten mit 10 Metern Acetatfilm an. Daran kann sich bei Agfa heute zwar keiner mehr erinnern, aber in meiner Sammlung ist ein solcher Film vorhanden. Das Experiment muß schnell wieder beendet worden sein - warum auch immer.