Sammlungen

Ein Visionär auf dem Weg zur totalen Illusion:

Adalbert Baltes

Von Volker Reißmann

Unter den vielen Industrie- und Werbefilmern, die sich nach dem 2. Weltkrieg in Hamburg ansiedelten, nahm Franz Emil Adalbert Baltes, der heute nahezu völlig in Vergessenheit geraten ist, eine Sonderrolle ein. Er entwickelte eine besondere Vorliebe für die optische Seite der Kinematografie und experimentierte immer wieder mit neuen Aufnahmeverfahren. Eine besondere technische Leistung gelang ihm mit dem Cinetarium, in dem der alte Traum einer Rundum-Filmprojektion verwirklicht wurde. Aus heutiger Perspektive ist es jedoch nicht ganz einfach, Baltes Leben und Wirken umfassend zu rekonstruieren. Bekannt ist, dass er einige Jahre Mitglied in der „Deutschen Kinotechnischen Gesellschaft e.V.“ war und seine besondere Leidenschaft neben dem Film auch der Malerei galt. Zeitzeugen erinnern sich an ihn als einen umtriebigen, leicht korpulenten Mann, der aufgrund einer Beinamputation im 2. Weltkrieg ein Holzbein trug und immer „auf der Suche nach etwas ganz Neuem“ war. Über zahlreiche Umwege, u.a. über die Kinemathek Hamburg, gelangte ein Teil seines schriftlichen Nachlasses schließlich 2001 in das Staatsarchiv Hamburg. Dieser bestand aus zwei Leitz-Aktenordnern, die unzählige Manuskripte und Exposés für zahllose Werbe-, Kultur- und Industriefilme enthielten – jeweils sauber mit Schreibmaschine getippt und zumeist mit zwei, drei oder mehr Durchschlägen abgeheftet.

 

Geboren wurde Adalbert Baltes am 27. Juli 1916 als Sohn des aus Bittburg stammenden katholischen Landwirtes Emil Baltes und dessen Frau Wilhelmina (geborene Scheuer) in Wiesbaden. Nach dem Realgymnasium und Studienjahren an der Folkwangschule in Essen sowie der Reimann-Schule in Berlin, wurde er 1939 kurz nach Beginn des 2. Weltkrieges eingezogen. Dieser Umstand durchkreuzte zunächst seine Pläne, in der Filmindustrie in Berlin Fuß zu fassen. 1941 wurde er verwundet und aus der Wehrmacht entlassen und beginn im selben Jahr seine Tätigkeit als Dramaturg bei der UFA, Abteilung Wirtschafts- und Werbefilm. Ebenfalls 1941 heiratete Baltes in Münster/Westfalen seine Frau Charlotte (geb. Koch), 1942 kam seine erste Tochter Barbara in Berlin zur Welt. Nach Kriegsende kehrte er wieder nach Wiesbaden zurück und hielt sich mit dem Anfertigen von Porträts für die amerikanischen Streitkräfte mühsam über Wasser.

 

Wann genau die in seiner Vita angegebenen Studienaufenthalte in Japan, den USA und Kanada stattfanden, lässt sich zeitlich leider nicht mehr verifizieren. Bereits 1947 soll er jedenfalls nach Hamburg gegangen sein, um sich als Assistent für die neugegründete Filmproduktion von Heinz Rühmann zu bewerben. Offiziell meldete er sich allerdings erst am 21. Januar 1949 bei der Hamburger Meldebehörde an. Er mietete ein Zimmer in der Johnsallee im Stadtteil Rotherbaum nahe des Universitätsviertels. Hintergrund war vermutlich die Tatsache, dass die langsam wieder aufblühende Filmwirtschaft in der britischen Besatzungszone zu jener Zeit ihren Schwerpunkt in Hamburg hatte. Seinen Wunsch, als „Filmschriftsteller“ bzw. Dramaturg zu arbeiten, konnte auch bald durch einen ersten Auftrag von den Alster-Film-Studios der Familie Breckwoldt verwirklichen: Er schrieb das Manuskript für den Kulturfilm „Zwischen Strom und Meer“, den er auch gleich als Regisseur realisierte. Dieser knapp halbstündige Schwarz-weiß-Film, der wohl leider als verschollen gelten muss, erlebte am 5. März 1950 in Cuxhaven seiner Uraufführung. Die eigentlich nur als Synchronstudio tätige Alster-Film unternahm mit diesem Werk kurzzeitig einen Ausflug ins Geschäft mit Beiprogramm-Filmen, der sich aber für die Firma nicht rentieren sollte und somit auch für Baltes keine weiteren Aufträge nach sich zog. Wenig später schrieb er für den Regisseur Ulrich K.T. Schulz und die mit ihm verbundene Roto-Film das Drehbuch für den 13-minütigen Kurzfilm „Das ist meine Welt“, das ursprünglich den Arbeitstitel „Tiergärten der Nordsee“ trug. Am 1. Dezember 1951 wurde dieser Kurzfilm uraufgeführt. Aus der Zeit als Dramaturg bei der Roto-Film stammt auch ein neunseitiger Aufsatz mit dem Titel „Der werbende Kurzfilm“, in dem sich Baltes über die Suggestivkräfte des Mediums und die Chancen für seinen Einsatz als Werbemittel Gedanken machte.

 

Wenig später gründete Baltes seine eigene Produktionsfirma, die „Industrie- und Wirtschaftsfilm Adalbert Baltes“ mit Sitz in der St. Benedictstraße. Am 31. Dezember 1953 wurde seine zweite Tochter Sylvia Monica geboren. Nur wenige Produktionen, die Baltes mit seiner kleinen Firma in der Folgezeit herstellte, sind heute noch im Landesfilmarchiv Hamburg überliefert. In zwei von ihm als „Hamburger Filmspiegel (1) + (2)“ im Jahre 1955 wohl als Referenz zusammengestellten Kompilationen seiner Werke finden sich Werbefilme für das Hausenfrauenblatt, Hören und Sehen, die Druckerei Broschek  Co., die Esso-Mineralölwerke, das Lederbekleidungs-Haus „Meyer-Schuchardt“, das Seidenhaus Brandt, das Musikgeschäft Steinway & Sons, die Elektro-Gemeinschaft, das Indanthren-Haus, das Möbelhaus Otto Nagel, das Restaurant „Am Kamin“, das „Café Keese“ auf der Reeperbahn, die Hamburger Kreditbank, das Autohaus J.A. Schlüter, die Firma „K-B-Express“ sowie für einzelne Produkte wie Fölsch Rum, Schuhpflege Yankee-Polish, Prang-Spirituosen und Opal-Strümpfe.

Mit den beiden Kultur-Kurzfilmen „Plastik im Freien“ (1953) und „Große Kunst auf kleinen Münzen“ (1955) bewies Baltes sein Talent, auch „richtige Kunst“ auf die Leinwand zu bannen: Beide Werke sind heute zusammen mit seinem 1958 entstandenen Kulturfilm „Meister der Romantik: Friedrich  Runge“ Bestandteil der Video- und Filmsammlung der Hamburger Kunsthalle („Plastik im Freien“ dokumentierte auf 35-mm-Material die gleichnamige, legendäre erste Ausstellung in der Nachkriegszeit zur Kunst im öffentlichen Raum in den Hamburger Alsterwiesen).

 

Als 1954 die ersten CinemaScope-Filme auch erfolgreich in Hamburger Kinos anliefen, begann Baltes sich rasch für die neue Aufnahmetechnik zu interessieren. Es gelang ihm, die Mittel für einige knapp 20-minütige Kulturfilme zusammenzutragen, die erstmals mit einer CinemaScope-Kamera und natürlich in Farbe gedreht wurde. Das erste Werk trug den Titel „Weiße Segel – Blaues Meer“ und widmete sich maritimen Motiven, während das zweite Werk den schlichten Titel „Hamburg“ trug und zehn Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges die wiederaufblühende Hafenmetropole zeigte. Zu den Dreharbeiten des zweiten Filmes lud Baltes am 17. Januar 1955 auch die Hamburger Presse und Fotografen ein und demonstrierte stolz zusammen mit dem Kameraassistenten Rolf-Dieter Parnow im Führerstand eines Triebwagens der Hamburger Hochbahn den Einsatz der neuen Technik. Am 27. März 1956 gelangte auch dieser Film endlich zum Kinoeinsatz, doch die große Zeit der Beiprogrammfilme war schon längst vorbei. Als auch die  Folgeproduktionen „Tor zur Welt“, „Pferdeland zwischen den Meeren“, „Das Lied der Schiffe“, „Von Meer zu Meer“ nicht mehr für prädikatwürdig erachtet wurden, stellte Baltes nach sechs Produktionen die Herstellung von CinemaScope-Filme wieder ein. Am 13. April 1957 meldete das Branchenorgan „Filmwoche“ in seiner Rubrik „Kulturfilm“ diese Nachricht, die damit begründet wurde, das Baltes Firma nach der Verweigerung eines Prädikates nicht mehr in der Lage sein, die finanziellen Ausfälle auszugleichen: „Baltes zieht es nach seinen gemachten Erfahrungen vor, das Risiko eines (immer noch) steuerschindenden Kulturfilmes mit den Sicherheitsgarantien von Werbefilmen für die Industrie zu vertauschen.“

 

In der Folgezeit versuchte sich Baltes demzufolge wieder als reiner Industrie- und Werbefilmer, verlor aber auch die Fortschritte der Kinotechnik nicht aus den Augen. Auf der Photokina 1958 in Köln präsentierte er stolz seine neueste Erfindung, das „kugelförmige Filmtheater Cinetarium“ mit Spiegelprojektion, wenig später auch mit einer Behelfskonstruktion der UFA-Handelsgesellschaft auf der Berlinale. Bei dieser Technik sollte der Projektor mittels Spiegeltechnik das Bild auf eine im Raum hängende, kuppelförmige Leinwand werfen. Das Wort „Cinetarium“, dass sich nicht im allgemeinen Sprachgebrauch durchsetzen konnte, erinnerte dabei an den Begriff „Planetarium und spielt auf eine Himmelsillusion an, die mit Hilfe der Projektion geschaffen werden sollte.

 

Die Zeitschrift „Kinotechnik“ berichtete in ihrem Jahrgang 1958, Heft 7, von Baltes Vision: „In einem Rund- oder Kugelbau erstreckt sich auf der gesamten Innenfläche eine Bildwand, die sich wie eine Glocke über die Zuschauer wölbt. Durch die Größe und Rundung der Bildwand, die den vollen Blickwinkel des Betrachters ausfüllt, entsteht eine pseudoplastische Wirkung, zumal sich das projizierte Bild fast bis auf den Fußboden herunter erstreckt. Keinerlei Bildbegrenzungen, die den Eindruck des unmittelbaren Erlebens stören, sind vorhanden. Um bei der Größe der Bildwand eine allgemeine Grundaufhellung des Raumes zu vermeiden, ist die gesamte Innenausstattung des Theaters in dunklen Farben gehalten. Die Anordnung der Sitze ist in diesem Rundbau ebenfalls kreisförmig. Die Reihen werden durch drei oder vier Gänge unterbrochen, die sich zum Kreismittelpunkt hin verjüngen. Der gesamte Zuschauerraum ist etwas erhöht, so dass die Betrachtung des Bildes durch hinzukommende Besucher nicht gestört wird. Der Theaterraum senkt sich zum Kreismittelpunkt muldenförmig. Jeder Sessel ist um 360 Grad drehbar, eine Feder im Fuß bringt ihn bei Nichtbenutzung in die Hauptblickrichtung zurück. Da der gesamte Zuschauerraum in drei Blocks mit mindestens zehn Reihen eingeteilt ist, lassen sich bei einem Durchmesser des Raumes von 30 m etwa 600 Zuschauer unterbringen. Die besten Sitzmöglichkeiten bieten sich von den Sitzplätzen, die sich in der Nähe der Kreismittelpunktes befinden.“

 

Im Folgenden wurde die Projektionstechnik beschrieben: „Die Bildwerfer sind in einem Raum angeordnet, der sich unmittelbar unter dem Kreismittelpunkt des Zuschauerraumes befindet. Über einen Spiegel am Projektor wird der über eine Spiegelkugel aufgenommene Film senkrecht nach oben projiziert und trifft auf eine im Theaterraum hängende gleichartige Spiegelkugel, die das Bild auf die umgebende Bildwand reflektiert. Musik und Sprache sind auf einem 35-mm-Magnetband mit sechs Tonspuren aufgezeichnet, das getrennt zum Film abläuft. Die Lautsprecher befinden sich hinter der Bildwand, unter den Sitzen und an der Decke. Sie können gegebenenfalls auch als Effektlautsprecher verwendet werden. Die Wiedergabe von Tonereignissen, die nicht unmittelbar zum Ablauf des Geschehens auf der Bildwand gehören, erfolgt über einen Lautsprecher, der sich innerhalb der Spiegelkugel befindet. Durch die Vielzahl der im Raum verteilten Lautsprecher ist der Zuschauer nicht nur vom Bild, sondern auch vom Ton umgeben. Da der Ton aus der Richtung kommt, wo er auf der Bildwand seine Ursache hat, unterstützt er die räumliche Wirkung des Gesamtgeschehens.“

Als kompliziert erwies sich die Aufnahmetechnik: Zunächst wurde eine normale 35-mm-Filmkamera (später war auch an dem Umstieg auf 70-mm-Film gedacht) verwendet, deren optische Achse musste jedoch senkrecht nach oben weisen, hin zu einer verspiegelten Kugel, auf deren Unterseite sich das Rundbild von 360-Grad spiegelte. Auf die Problematik von Abbildungsfehlern, die hauptsächlich Äquatorbereich der Kugel auftraten und durch die Verwendung besonders großer Kugeln, wurde in dem Bericht der Fachzeitschrift „Filmtechnik“ ebenfalls bereits hingewiesen. Der Beitrag schloss mit dem ehrlichen Fazit, dass noch mit Sicherheit gesagt werden könne, welcher Art die zukünftigen Cinetarium-Filme einmal sein würden: „Auf jeden Fall dürfte der Rundblickfilm“ eine behutsame Schnittfolge, lange Szenen und langsame Fahraufnahmen erfordern; vorerst werden deshalb wohl Themen, die in der Landschaft spielen, den Vorzug finden.“

 

In der Tat erwies sich die komplizierte Aufnahmetechnik als eines der großen Probleme des neuen Verfahrens. Hans Joachim Bunnenberg, seinerzeit einer der Kameratechniker bei Studio Hamburg, kann sich noch gut an die ersten Versuche von Baltes erinnern, auf dem Ateliergelände Ende der 1950er Jahre einen Musterfilm zu produzieren: „Es herrschte ein Riesenchaos. Überall lagen schrottähnliche Teile herum und mittendrin Baltes mit seiner kurios anmutenden Konstruktion, bei der er im Liegen direkt auf eine Spiegelkugel filmen musste. Ein Anblick, den ich bis heute nicht vergessen habe.“

 

Die späten fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts waren von immer neuen Verfahren geprägt, mit denen das Kino neue Zuschauer anlocken und sich von der aufkommenden Flimmerkiste Fernsehen absetzen wollte. Hinter den fantasievollen Namen wie CinemaScope und Panavision verbargen sich lediglich mit Anamorphot-Linsen aufgeblasene 35-mm-Filme. Auch mit doppelt so breiten 70-mm-Filmen experimentierte der ehemalige Broadway-Produzent Michael Todd; sie erforderten jedoch eine Umrüstung der Kinos mit größeren Leinwänden und neuen Projektoren. Projektionsverfahren wie Cinerama oder Cinemiracle arbeiteten gleich mit mehreren synchron laufenden Kameras und Projektoren, was ebenfalls eine kostenintensive Umrüstung der Kinos und ihre Projektionskabinen voraussetzte. Baltes Cinetarium-Kino jedoch hätte bei einem flächendeckenden Einsatz auch den kompletten Umbau der Zuschauerräume der Kinos bedingt und war dadurch eigentlich von vorneherein zum Scheitern verurteilt.

 

Am 4. März 1959 wurde im Handelsregister des Amtsgerichts Hamburg die „Cinetarium Film Baltes KG“ (HRA 61375) und die „Cinetarium Vertriebsgesellschaft Baltes KG“ (HRA 61376) eingetragen. Als stille Teilhaber fungierten Jean Baúchet, Kaufmann in Marrakesch/Marokko, und Lutz Warschauer, Kaufmann aus Hamburg. Mit hohem finanziellen Risiko und mehrjähriger Anlaufphase gelang des Baltes, ein mehr oder mobiles Kino als Cinetarium einzurichten, womit das Medium Film kurioserweise zu seinen Wurzeln als eine Art Jahrmarktvergnügen zurückkehrte, auch wenn es zumeist auf Messen und Ausstellungen zum Einsatz kam. Die optische Wirkung soll in der Tat beachtlich gewesen sein, allerdings vorzugsweise auf wenigen Plätzen in der Saalmitte und technische Schwierigkeiten wie Abbildungsfehler und groteske Verzerrungen konnten nie ganz ausgeräumt werden. Zudem gelang es Baltes nie, einen längeren Film mit Spielhandlung zu realisieren. Dies alles führte dazu, dass die Cinetarium-Technik nach einigen Jahren wieder mehr oder weniger sang- und klanglos verschwand. 1963 verkaufte Baltes die Technik nach Japan, tüftelte aber selbst noch unverdrossen an einer verbesserten Variante weiter und träumte immer wieder von einer Neuauflage. In Berlin gab es zeitweilig ein Kugelkino, dass auf dieser Technik basierte und in dem ein Werbefilm „Destination Berlin“ gespielt wurde, aber schon bald titelte eine ortsansässige Zeitung: „Keine Zukunft für das Kugelkino!“. Am 5. April 1966 bzw. 30. Juli 1968 erloschen schließlich beide Firmen offiziell im Hamburger Handelregister. Beim internationalen Pop- und Bluesfestival in Essen 1970 wurde die  Cinetariums-Technik schließlich noch einmal vorgeführt.

 

1971 drehte Baltes noch einmal für einen halbstündigen Kulturfilm „Hamburg – Gesichter ein Großstadt“, der mit anpreisendem Kommentar die Sehenswürdigkeiten Hamburgs in kurzen Einstellungen zeigte. Im gleichen Jahr plante er die „Expomagica 71“, eine Multi-Media-Schau im Haus der Glahé Internationale Messe- und Ausstellungs-Gesellschaft in der Herler Straße in Köln. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtete darüber wie folgt: „Mit optischen, akustischen und kinetischen Mitteln werden Filme und Dias so dargestellt, dass räumliche Dimensionen aufgehoben und die Bilder durch den Raum zu schweben scheinen. In seifenblasenähnlichen Kugeln zeigen sich beispielsweise in rascher Folge Gestalten, Köpfe und abstrakte Formen, sprechende Lippen bewegen sich zwischen Boden und Decke, und farbiges Licht tanzt musiksynchron an den Wänden.“ Dies alles sollte laut Zeitungsbericht dazu dienen, im Dienste der Wirtschaftswerbung Messen und Ausstellungen interessanter zu gestalten. In der „Kölner Rundschau“ beschrieb Baltes das Verfahren noch detaillierter: „Man könne sich eine Darbietung vorstellen, die mit filmischen Mitteln eine Südseeinsel in den Raum zaubert mit Bildprojektionen rundum, mit Meeresrauschen, mit Tropendüften, mit Höhensonne, die bräunt, mit Gewitterblitzen und Hula-Mädchen. Und dazu Informationen über Touristik und Verkauf von landesüblichen Spezialitäten: ‚So als ob Sie leibhaftig da wären’.“

 

1972 stellte Baltes laut der Illustrierten „stern“ den Plan vor, auf der Internationalen Gartenbau-Ausstellung (IGA) 1973 in Hamburg ein „Schwebe-Kino“ zu installieren. Die Besucher sollten an Gummiringe geschnallt werden, die an der Decke mit Förderbändern verbunden sein sollten; an die Wand projizierte Wolken sollten die Illusion des Fliegens und Schwebens hervorrufen. In vollem Umfange realisiert werden konnte diese Idee dann allerdings aus Kosten- und Sicherheitsgründen nicht, allerdings installierte Baltes erstmals einen Lichtgarten mit rotierenden, weißen geometrischen Objekten und Plastiken. Durch die Drehung der zum Teil verkanteten Körperflächen entstanden bei den Körpern und Plastiken Licht- und Bildüberschneidungen, Doppelbilder und andere überraschende, originelle Bild- und Farbeindrücke, die an das Magische grenzen und in das Reich der phantastischen Träume führen sollten. Diese Sonderschau zeigte im Vorprogramm das Wachsen, Blühen und Vergehen von Blumen im Zeitraffer und demonstrierte damit (laut Eigenwerbung) „die Vielseitigkeit einer modernen multimedialen Licht- und Tonschau“. In der Zeitschrift „amusement-INDUSTRIE“ erläuterte Baltes im gleichen Jahr in einem Interview  ausführlich seine Ideen und Konzepte für die „Phantastischen Freizeitcenter der Zukunft“.

 

Genauso verwegen war seine Idee, eine Art „Riesenkristall“ für den unbebauten Domplatz zu konstruieren, in dem ein Medienzentrum untergebracht werden sollte, wie das „Hamburger Abendblatt am 5./6. März 1977 berichtete. Bekanntermaßen wurde auch diese Vision später nie Realität.    

 

Auch Mitte der 1970er Jahren interessierte sich Baltes noch unverändert stark für neue Technologien und das räumliche Sehen. Für das Jahrbuch „Das neue Universum“ schrieb er den Beitrag „Das totale Fernsehen. SASO heißt das Zauberwort auf der Funkausstellung 1977“ und stellte das „Space And Smell TV-Outfit“ vor: Nachdem bereits Kabelfernsehen,  Bildschirmzeitungen und anderen interaktive Momente als Vorläufer des Internet erfunden worden waren, sollte nun auch eine Übertragung plastischer Bilder, einschließlich einer Art „Geruchsfernsehen“, etabliert werden.

 

Ungefähr zur gleichen Zeit bereitete Baltes Beiträge zur Ausstellung „Die Welt im Innern des Auges“ vor, die vom 29. August bis 26. September 1979 im Landesmuseum Volk und Wirtschaft vom Filminstitut Düsseldorf veranstaltet wurde. Als Vorbereitung für die Schaffung eines Düsseldorfer Filmmuseums wurde hier eine dreiteilige Ausstellung konzipiert, die zu einem Großteil mit Exponaten aus dem Fundus von Baltes bestückt war. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schrieb dazu: „Eine zentrale Position im geplanten Filmmuseum soll die Sammlung des Hamburger Erfinders Adalbert Baltes erhalten, dessen ‚magische Projektionen’ Lichtgärten, Geisterkabinette und schwebende Bilder in die Schlossräume zaubern sollen – getreu der Auffassung von Klaus Jaeger, dass Film in erster Linie ein Unterhaltungsmedium ist, das nicht zufällig seinen Ursprung auf dem Rummelplatz hatte.“ Am 29. August 1979 besuchte er auch selbst die Ausstellung und stellte seinen „dia-bestrahlten Lichtgarten“ zusammen mit dem Filminstitutsleiter Jaeger einem Reporter Düsseldorfer Zeitung „NRZ“ vor, der am nächsten begeistert von der „Zauberei in Adalberts Lichtgarten“ berichtete.

 

Wenig später übergab Baltes, bereits im Rentenalter, dann seine technischen Gerätschaften dem Förderverein zur Gründung eines Düsseldorfer Filmmuseums, seine Manuskripte vermachte er 1979 Heiner Ross von der Kinemathek Hamburg, nachdem Versuche, mit Hilfe der Kulturbehörde und des Hamburger Filmbüros Geld für eine Stiftung aufzutreiben, scheiterten. Seine immer tollkühneren Visionen galten in jener Zeit nicht selten als „absolut utopisch“, wovon sich Baltes aber offenkundig nicht beirren ließ: Er warb unermüdlich für seine Ideen, was vermutlich wiederum von vielen seiner Zeitgenossen am Ende als aufdringlich empfunden wurde.

 

Für eine der ersten Ausgaben der Filmzeitschrift „Cinema“ gab Baltes dann dem Verleger Dirk Manthey im März 1980 noch einmal ein letztes großes Interview über sein Rumdum-Kino. Einen „Pilger auf dem Pfad der totalen Illusion“ nannte ihn die Zeitschrift. Die Frage nach den Chancen seiner Erfindung beantwortete er wie folgt: „Das Fernsehen, auf seinen kleinen Bildschirm beschränkt, wird trotz Stereo-Ton und 3D-Bild, an dem ich übrigens mitgearbeitet habe, von diesem Kinoerlebnis früher oder später in den Hintergrund gedrängt – zumindest als Vermittler von Illusionen. Es wird auch nie das Gemeinschaftserlebnis eines Kinogeschehens ersetzen, ich denke daran, wie ein Kinopublikum auf bestimmte Gags reagiert: es lacht, klatscht oder ist entsetzt. Wenn jetzt noch der Geruchssinn und der Tatsinn in das Geschehen integriert werden, was technisch überhaupt kein Problem ist, wird man der totalen Illusion ganz nahe kommen.“ Auf die Frage, ob dies nicht einer Reizüberflutung gleichkomme und die Menschen sich daran gewöhnen könnten, antwortete er: „Es gibt immer Miesmacher, die den Fortschritt aufhalten wollen. Aber man wird sich nicht nur an das totale Kino gewöhnen wie an Eisenbahnen und Mondflüge, sondern es wird auch in der Freizeitindustrie als wichtiges Mittel gebraucht. Hoffentlich erlebt ich das noch!“. 

 

In den 1980er Jahre schon durch Krankheit an aktiver Arbeit gehindert, zog Baltes Ende 1990 mit seiner Frau Charlotte von Hamburg-Eppendorf ins Umland nach Uetersen, wo am 5. April 1992 verstarb. Der Nachwelt hinterließ er rund 50 Kultur-, Industrie- und Werbefilme, von denen allerdings nur noch ein Teil erhalten ist, zahlreiche Gerätschaften - und die Erkenntnis, dass man bei entsprechender Technik mit lebenden Bildern durchaus magische Zauberei veranstalten kann. Und vielleicht kann seine große Vision, mittels bestimmter Projektstechnik den Zuschauer sozusagen „mitten ins Geschehen“ zu befördern, wie sie heute bereits in ansatzweise in den so genannten IMAX-Kinos realisiert ist, eines Tages ja doch noch verwirklicht werden.