Jeder Fernsehkonsument weiß heute, dass die „Tagesschau“ der ARD aus Hamburg kommt. Kaum ein Kinogänger der 1950er, 60er und 70er Jahre wird jedoch gewusst haben, dass die damals gezeigten deutschen Wochenschauen in Hamburg produziert wurden. Der Entstehungsort blieb anonym. Wer jedoch regelmäßig die Wochenschauen aus Hamburg sah, wird gemerkt haben, dass auffällig häufig Berichte aus und über Hamburg gezeigt wurden, und zwar nicht nur, wenn es die „Aktualität“ gebot, sondern gerade, wenn es „nur“ um den banalen Alltag ging. Dies „Überangebot“, von dem Hamburg heute noch profitiert, wenn es um historische Darstellungen im Film geht, wird hier im Überblick dargestellt.
Hamburg hatte sich Ende der 40er Jahre bereits zum wichtigsten Erscheinungsort überregionaler Zeitungen und Zeitschriften in der gerade geschaffenen Bundesrepublik Deutschland entwickelt: „Die Welt“ machte mit ihrem Namen anderen seriösen Blättern, die sich etwa auf „Frankfurt“ oder „Süddeutschland“ beriefen, den ersten Platz streitig; das Groschenblatt „Bild“ war die erste deutsche Boulevardzeitung. In Hamburg erschienen das Politmagazin „Spiegel“, die „Zeit“ für die gehobenen Stände und die Illustrierte „Stern“ für die Sensationshungrigen.
Diese geballte Kompetenz der Aufbereitung von Nachrichten und Ereignissen für ein Massenpublikum wird mit dazu beigetragen haben, auch Redaktion und Produktion der deutschen Wochenschau in Hamburg zu installieren. In den Nachkriegsjahren hatten zunächst auf Reeducation getrimmte Wochenschauen der Siegermächte (in den Westzonen „Welt im Film“ sowie „Blick in die Welt", in der Ostzone „Der Augenzeuge“)
Mit der Wiedererringung staatlicher Souveränität in Westdeutschland ergab sich die Möglichkeit und Notwendigkeit einer eigenen deutschen Wochenschau. Im Dezember 1949 kam es in Hamburg zu Gründung der Firma „Neue Deutsche Wochenschau Gesellschaft mbh“. Ein Kredit der Hamburgischen Landesbank ermöglichte die Aufnahme der Produktion. Für zehn Jahre war das ehemalige Warburg-Haus in der Heil-wigstraße das Domizil der Wochenschau-Macher. Anfang Februar 1950 wurde die erste Ausgabe an die Kinos ausgeliefert.
In Hamburg wurde nun Woche für Woche eine Aktualitätenschau für ein Millionenpublikum ausgewählt, geschnitten, vertont und getextet. Sie dauerte zehn bis 15 Minuten und enthielt jeweils bis zu einem Dutzend Sujets. Bei der Mischung der Themen versuchte man, dem Geschmack und den Erwartungen der Kinozuschauer zu entsprechen. Ende der 50er Jahre, als erst eine Million Fernsehapparate in den westdeutschen Haushalten standen, war das Interesse an einer aktuellen Berichterstattung groß: Acht von zehn Kinogängern hätten damals ungern die Wochenschau verpasst. In vielen Kinos, vor allem in den Vorstädten und in der Provinz, wurden jedoch aus Kostengründen meistens veraltete Ausgaben gezeigt; daraus resultierte die Notwendigkeit von „zeitlosen“ Storys.
Das Mischungsverhältnis veränderte sich über die Jahre, im Kern galt jedoch für jede Ausgabe: Der Sport hatte den größten Anteil, mit der Zeit jedoch rückläufig. Einen ähnlichen Umfang hatten politische Ereignisse, mehr als im Inland die im Ausland. An dritter Stelle kamen Allerweltsthemen aus der Welt von Kultur, Unterhaltung und der technischen Wunderdinge; der Unterhaltungsteil nahm, in Konkurrenz zum Fernsehen, mit den Jahren beträchtlich zu.
Die Wochenschau lebte natürlich nicht nur von eigenen Berichten ihrer Kameraleute und Korrespondenten, sondern auch vom Austausch von Filmmaterialien mit Partnern im Ausland. Auslandsreisen von Wochenschau-Equipes waren zwar beliebt, kamen aber meistens nur bei Staatsbesuchen deutscher Spitzenpolitiker im Ausland zustande. Viele Beiträge waren durch aktuelle Ereignisse bestimmt (Krieg in Korea, Aufstände im sowjetischen Machtbereich, neue Präsidenten, Atombombenversuche, Naturkatastrophen, internationale Sportwettkämpfe, die Wahl der Miss Universum usw.). Daneben aber sollten die Sorgen des Alltags mit möglichst amüsanten, skurrilen und exotischen Geschichten aus deutschen Landen verscheucht werden.
Es ist nicht verwunderlich, dass hierbei Hamburg eine Spitzenstellung einnahm: Die Hafenstadt hatte auf diesem Felde viel zu bieten, die Themen lagen auf der Straße, häufig genug auf der Reeperbahn, und so mancher Dreh konnte kurzfristig arrangiert werden. Sicher wurden manche Beiträge auf Halde produziert, um sie bei Bedarf zur Auflockerung einer allzu trockenen Wochenschau-Ausgabe zu nutzen. Es liegt bislang keine vollständige Übersicht aller Wochenschau-Beiträge mit Hamburg-Bezug vor (das Archiv ist nicht nach Städte-Namen sortiert), aber es ist nicht übertrieben, die gesamte Zahl innerhalb des guten Vierteljahrhunderts der deutschen Wochenschauen auf mehrere hundert zu schätzen.
Hamburg war nicht die Hauptstadt der Bundesrepublik, auch nicht die heimliche, aber lieferte doch die Kulisse für so manche politische Demonstration: Bundesparteitage (z.B. der SPD 1950, der FDP 1964) und Kirchentage (z.B. 1953) wurden hier abgehalten. Wochenschau-Kameras waren auch dabei, also im Oktober 1962 der „Spiegel“ von der Polizei durchsucht, Augstein verhaftet und Monate später aus der U-Haft entlassen wurde. Wenn es 1966 zu Gegendemonstrationen gegen die NPD kam, fanden sie beispielhaft in Hamburg statt. Bei bundesweiten Ereignissen waren selbstverständlich auch immer einige Einstellungen aus Hamburg vertreten, z.B. bei den 1.-Mai-Feiern oder großen Streiks.
Die Wochenschau-Kameras waren natürlich immer präsent, wenn Spitzenpolitiker aus Bonn in Hamburg zu Gast waren: Bundeskanzler Adenauer, die Bundespräsidenten Heuss und Lübke. Auch für die Prominenz der Weltpolitik führte bei ihren Deutschland-Besuchen kein Weg an Hamburg vorbei: 1954 ist der Kaiser von Äthiopien, Heile Selassie, an der Elbe zu sehen, ein Jahr später der Schah von Persien mit seiner Kaiserin Soraya. Der französische Staatspräsident fuhr 1962 durch Hamburg, die britische Königin Elizabeth II. 1965. Fast noch mehr Staub wirbelten die Beatles 1966 bei ihrem Auftritt in Hamburg auf, wo sie ihre ersten Sporen verdient hatten; Schlag auf Schlag kamen 1967/68 die Bee Gees, die Rattles und der Modeschwarm Twiggy.
Einen breiten Raum nahm, wie schon gesagt, der Sport ein: Wichtige Länderspiele fanden im Volksparkstadion statt, z.B. 1963 gegen Brasilien (1:2); der HSV war immer wieder in den deutschen Kinos zu sehen, z.B. wenn er 1964 gegen den 1. FC Nürnberg unentschieden spielte, oder 1965 gegen den 1. FC Köln und Bayern München gewann. Uwe Seelers Abschiedsspiel fand im Mai 1972 unter dem Objektiv einer Wochenschau-Kamera statt. Noch bedeutsamer für die Repräsentanz der Stadt waren singuläre Sportereignisse, die nur in Hamburg stattfanden: Zum ersten Mal gab es 1952 Berichte über das Springderby in Flottbek und das schon vom Kaiser vor dem ersten Weltkrieg besuchte traditionsreiche Rennderby auf der Horner Rennbahn; fast regelmäßig wurde in den folgenden Jahren darüber berichtet. Hamburg war überdies der Austragungsort für Boxkämpfe, Turnfeste, Kanumeisterschaften, Windhundrennen u.v.a.
Die Silhouette der Hamburger Türme kam ganz sicher ins Bild, wenn über Stapelläufe, große Schiffe und den weltweiten Handel berichtet wurde: Unter der Marke der jeweils „größten Schiffe der Welt“ ging es häufig nicht, ob nun 1953 die „Tina Onassis“ für Griechenland oder 1954 der größte Tanker für Saudi-Arabien. Immer wenn ein Flugzeugträger aus den USA oder ein Atom-U-Boot aus Großbritannien an der Überseebrücke festmachten, kam auch Deutschlands größter Hafen in den Blick. Ein Bericht war es auch Wert, wenn das Segelschulschiff „Pamir“ auf große Fahrt ging, von der niemand wusste, dass sie nicht zurückkehren würde. Ausgebrannt kam im Oktober 1965 die „Hanseatic“ aus New York zurück. Der Besuch der „Queen Elisabeth II.“ im Hamburger Hafen war schon im Juli 1972 ein Großereignis. Die zukunftweisende neue Transporttechnik mit dem Container präsentierte sich 1968 in Hamburg.
Als Heimathafen der Lufthansa wurde Hamburg-Fuhlsbüttel in ganz Deutschland bekannt: Es zeigten sich die schmucken Stewardessen und 1955 die ersten Flieger vor dem Flug nach Frankfurt/Main. Der Geburtstag „Zehn Jahre Lufthansa“ wurde 1965 angemessen begangen. Im März 1970 landete hier zum ersten Mal auf deutschem Boden ein Jumbo-Jet, einen Monat später eine russische Tupolew 134 und 1977 das französische Überschallflugzeug Concorde. Im Juli 1973 konnte der erste aus Toulouse eingetroffene Airbus A-300 von den Hamburgern bewundert werden; drei Jahre später wurde die erste Maschine an die Lufthansa übergeben. Als in den 80er Jahren die Wochenschau nur noch als „Deutschlandspiegel“ für das Ausland erschien, war die Airbus-Produktion in Finkenwerder ein häufiges Thema.
Hamburgs Amüsiermeile Reeperbahn war ein Klischee, an dem die Wochenschau nicht vorbei konnte: Da gab es „Razzia auf St. Pauli“ (1963) oder den „Terror in St. Pauli“ (1964). Aber man bemühte sich um eine Diversifizierung der Unterhaltungsbranche: Es gab ja noch den größten Jahrmarkt Nordeuropas, den „Hamburger Dom“ (zahlreiche Berichte), es gab Modenschauen, Zirkus- und Zauberkünstler, Filmpremieren, Musicals, Hagenbeck, Volkstänze, Protest- und Folksänger, Lyrik- und Flohmärkte, Theater für Kinder und Fotoausstellungen.
Wie sehr Hamburg in der Wochenschau „überrepräsentiert“ war, wird erst deutlich, wenn man sich all jene Berichte vor Augen führt, die einen äußeren Anlass so richtig nicht erkennen lassen. Ihr Erscheinen lässt sich erklären aus den dramaturgischen Bedürfnissen der Wochenschau („etwas zum Schmunzeln oder etwas Herzergreifendes“), dem abwechslungsreichen Welthafen- und Großstadtmilieu und der räumlichen Nähe zwischen Dreh- und Produktionsort.
Im Schnelldurchgang soll wenigstens stichwortartig aufgeführt werden, was Hamburg der Wochenschau Wert gewesen ist und was heute die Wochenschau so wertvoll für Hamburg macht. In den frühen 50er Jahren sind es durchweg Themen mit einem pädagogischen Bezug: „Spielautomaten“ werden als Verführer kenntlich gemacht. Zur Frage „Todesstrafe?“ dürfen sich Hamburger ablehnend äußern. Auch der „Tierschutz“ und die „Polizei als Freund Helfer“ lassen ebenso wie die „Antilärmstory“ den erhobenen Zeigefinger spüren. Das Feuerschiff „Elbe 1“ soll Weihnachten 1954 deutlich machen, dass es Menschen gibt, die die Pflichterfüllung über das Bedürfnis nach ruhigen Feiertagen stellen.
Hamburg bietet auch den Stoff für so manche Lebenshilfe: Im neugebauten Europa-Kolleg werden 1957 ausländische Studenten beobachtet, wie sie lesend und diskutierend ihren Studien nachgehen. Im Hamburger Arbeitsamt wird vorgeführt, wie Jugendliche ihre beruflichen Neigungen testen und schließlich einen Lehrvertrag ausfüllen. Ein ganz besonderes Engagement zeigen 1959 junge Hamburger, die an verschiedenen Stellen mit Hilfe des „neuen Mediums“ Tonbandgerät Interviews machen, zur Attraktivität des Berufs eines Flugzeugbauers, zur Teenager-Mode, zur Wahl einer Miss Hamburg und zum Rauchen: „Ja, wenn ich ehrlich bin, rauche ich bisher nur als Angabe, aber ich bin jetzt auf dem besten Wege, es mir abzugewöhnen.“
In den 60er Jahren ist immer stärker eine Zweiteilung zu spüren: Einerseits macht sich der Drang nach mehr „Spaß im Leben“ breit: Es werden „Modetänze im Starclub“ vorgeführt, festliche Filmpremieren begangen, Wintervergnügungen gehuldigt. Ein Tätowierer, ein Polizeihund und ein „Verein kochender Männer“ zeigen ihre Kunst. Andererseits verlangt eine zunehmende gesellschaftliche Unrast eine stärkere Berücksichtigung politischer Themen: Da geht es bereits 1963 um „Stadtstreicher“; auf der Moorweide vor dem Dammtor wird eine dem Londoner Hyde-Park nachempfundene „Meckerwiese“ eingerichtet; das Bäderschiff „Helgoland“ wird von Hamburg aus 1966 als Lazarettschiff ins vietnamesische Kriegsgebiet geschickt. Im selben Jahr kommen junge Russen auf Besuch nach Hamburg und dabei in die Wochenschau. Franzosen und Polen können sicher sein: Wenn sie eine „Woche“ in Hamburg feiern, sind sie in der Wochenschau in der ganzen Bundesrepublik zu sehen.
Die erste Studenten-Demonstration ist schon Mitte 1965 in Hamburg zu erleben. In den folgenden Jahren wird es mehr als genug davon geben. Sie sind auch als Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit gedacht. Die Wochenschau überschlägt sich allerdings bei der Berichterstattung nicht, jedenfalls wenn es um die im Vergleich zu Berlin und Frankfurt etwas gemäßigteren Verhältnisse in Hamburg geht. Hier versucht man es Anfang 1970 lieber mit einer für die Wochenschau-Kamera arrangierten Trend-Studie: „Gesucht Typ 1970“. Sechs junge Leute stehen auf einem Podest vor dem Kaufhof in Positur und lassen sich von Passanten begutachten.
Den Spagat zwischen den Erwartungen der Kinos und an eine aktuelle Berichterstattung, wie sie von den elektronischen Medien vorexerziert wird, erträgt die Wochenschau nicht mehr. Einige Jahre versucht sie sich noch mit harmlosen Alltagsthemen wie „Mehr Spaß in der Freizeit“ (1971), mit peinlichen Werbeberichten über Prominente („Gunter Sachs in Hamburg-Pöseldorf“) und mit Musical-Einspielungen: „Helden“ von Udo Jürgens im Operetten-Haus (1973).
Mit großer Anerkennung soll jedoch noch erwähnt werden, dass es der Wochenschau gelungen ist, zu zwei Hamburger „Großereignissen“ umfangreiche Filme zu gestalten: zur Großen Flut von 1962 und zum Bau des zweiten Elbtunnels zwischen 1967 und 1976. Zur aktuellen Berichterstattung konnten ja immer nur kurze Schnitte verwendet werden, meistens nur wenige Sekunden lang. Das schien die naturgegebene Hektik des Mediums zu verlangen und sollte den Sehgewohnheiten der Zuschauer entsprechen. Unter Rückgriff auf die Restmaterialien ließen sich jedoch Dokumentationen schaffen, die eindrucksvoll unter Beweis stellten, dass die Kameraleute der deutschen Wochenschau einen scharfen und mitfühlenden Blick für die Menschen und ihre Schicksale hatten.
Es ist zu wünschen, dass nach den weit gediehenen Vorarbeiten möglichst bald eine systematische Gesamtübersicht zur Berichterstattung der Wochenschau über Hamburg zwischen 1950 und den 70er Jahren fertig gestellt wird.
Sehr dankbar bin ich Wilfried Wedde, dem Leiter des Archivs der Deutschen Wochenschau, der Einblick gewährte in die bisherige Erfassung der Hamburg-Berichte und mit weiteren Hinweisen half. Einen guten Einblick in die Arbeit der Wochenschau und ihre Organisation bieten zwei neuere Veröffentlichungen und zwei Internetseiten:
Uta Schwarz:
Wochenschau, westdeutsche Identität und Geschlecht in den
50er Jahren. Frankfurt/Main 2002
Jürgen Voigt:
Die Kino-Wochenschau. Medium eines bewegten Jahrhunderts.
Gelsenkirchen 2004