Als der Schauspieler Heinz Rühmann 1994 im Alter von 92 Jahren starb, ließ er eine berufliche Laufbahn hinter sich, die fast alle Epochen des deutschen Films überspannte. In einem Film aber wuchs er über viele seiner anderen Rollen hinaus, zeigte er, was darstellerisch wirklich in ihm steckte:
1956 wurde er unter der Regie von Helmut Käutner zum legendären „Hauptmann von Köpenick", jenem arbeitslosen Schuster Wilhelm Voigt, der sich eine beim Trödler erstandene Hauptmannsuniform anzog und am 16. Oktober 1906 das Rathaus von Köpenick im Handstreich besetzte.
Doch zunächst ein Blick auf seine früheren Werke. Nach seinem Theaterdebüt in Breslau hatte er zunächst in einigen unbedeutenden Stummfilmen mitgewirkt, bis 1930 mit dem tönenden Lustspiel „Die Drei von der Tankstelle" sein Durchbruch zum Kinostar erfolgte. Dieser Film gehörte zur Gattung der sogenannten „Depressionskomödie", einer leichten, beschwingten Art von Kinounterhaltung aus der frühen deutschen Tonfilmära von 1930-33, die dem Publikum helfen wollte, die Alltagssorgen in schwerer Zeit für die Dauer des Theaterbesuchs zu vergessen. Fortan spielte Rühmann überwiegend den meist unschuldig in komische Verwicklungen geratenden kleinen Mann, der sich mit seinem keck-forschen Auftreten durchzusetzen weiß, letztlich sein Ziel erreicht und von der angebeteten Dame erhört wird. Bis heute immer wieder aufgeführt und gerne gesehen ist „Die Feuerzangenbowle" von 1944. Angeregt durch diesen gehaltvollen Trank, der bekanntlich sämtliche Organe unterhalb des Kehlkopfs anzuregen vermag, ersinnen einige ältere Herren die heiter-nostalgische Geschichte des von Rühmann gespielten Primaners Pfeiffer (mit drei F!), der noch einmal die Schulbank drücken darf.
Nach 1945 brach eine weniger zackige Epoche an und Rühmann besann sich auf die rührseligen Seiten der von ihm repräsentierten Gestalten. So spielte er dann unverdrossen den braven, vom Schicksal nicht immer mit Samthandschuhen angefassten deutschen Kleinbürger, der nicht verzagt und brav seinen Weg geht. Im Grunde waren diese Figuren alles kleine „Rühmänner", aber das Publikum wollte es wohl so; denn schließlich wurde der Mime auf diese Weise zum populärsten Star des deutschen Kinos.
Als Vorlage zum Film „Der Hauptmann von Köpenick" diente Carl Zuckmayers Tragikkomödie von 1930, doch das Leben selber hatte die wahre Geschichte geliefert. Dieser Wilhelm Voigt war schon in jungen Jahren mit dem strengen Gesetz des preußischen Staates in Konflikt geraten. Zunächst kommt er wegen Posturkundenfälschung, dann wegen Passvergehens hinter Gitter. Im Zuchthaus erlernt er das Schuhmacherhandwerk, das ihm helfen soll, nach der Entlassung beruflich Fuß zu fassen. Doch der Vorbestrafte gerät in den Strudel einer ausufernden Bürokratie, die ihn wissen lässt, dass es ohne Papiere keine Arbeit und ohne Arbeit keine Papiere gibt. Voigt verzweifelt an der ebenso korrekten wie bornierten Obrigkeit seiner Heimat und will nun ins Ausland, doch braucht er dazu einen Pass. Diesen möchte ersieh nachts auf einem Potsdamer Polizeirevier aneignen, wobei er allerdings gefasst wird, um anschließend erneut ins Zuchthaus zu wandern. Dort fällt ihm ein Buch aus der offensichtlich vaterländisch bestückten Gefängnisbibliothek in die Hände, dessen Inhalt ihn spontan fesselt.
Es handelt sich um „Die Preußische Felddienstordnung", die er immer wieder studiert und bald auswendig kann. Nach Verbüßung seiner Strafe sieht sich Voigt wieder mit den kaltherzigen Paragraphen der Staatsgewalt konfrontiert, die ihm schließlich einen Ausweisungsbefehl zustellt. Der verzweifelte Schuster erwirbt einem spontanen Entschluss folgend eine alte Militäruniform, mit deren Hilfe sich der bisherige Zivilist in der Abgeschiedenheit einerToilette auf dem Schlesischen Bahnhof von Berlin in einen Hauptmann verwandelt.
Plötzlich eröffnen sich dem unscheinbaren Schuster Wilhelm Voigt, der bisher immer nur Pech im Leben hatte, ungeahnte Möglichkeiten. Im kaiserlichen Deutschland jener Zeit nämlich gilt die Uniform etwas, er ist plötzlich jemand und Soldaten salutieren vor ihm. Er stellt eine kleine, vorbeimarschierende Militärtruppe unter sein Kommando, fährt per Eisenbahn nach Köpenick und besetzt mit seinen Mannen das dortige Rathaus. Ein Lehrsatz aus der Preußischen Felddienstordnung besagt: „Der Offizier wird allein durch seine Rangabzeichen legitimiert. Ein Kommando unter Gewehr verleiht ihm absolute Gewalt." Dieser Maxime folgend gelingt Voigt der Coup mühelos; alle vom Bürgermeister und Stadtkämmerer bis zum lokalen Ordnungshüter parieren gehorsamst und kuschen strammstehend vor dem Uniformträger. Diesem aber steht der Sinn nur nach der Passabteilung, doch muss er feststellen, dass es in Köpenick ein solches Amt nicht gibt. Daher beschlagnahmt er kurz entschlossen die Stadtkasse mit 4042 Mark und 50 Rennigen, verlässt den Schauplatz seines Husarenstreichs und verwandelt sich wieder in einen schlichten Zivilisten.
Die Geschichte vom „Hauptmann von Köpenick" verbreitet sich wie ein Lauffeuer, das ganze Land lacht darüber, wie sich die autoritätshörigen Staatsdiener von einem unechten Hauptmann haben foppen lassen. Voigt stellt sich daraufhin freiwillig, wird vom Kaiser („Majestät haben gelacht!") begnadigt und zum Helden seiner Zeit. So jedenfalls hat Zuckmayer die vom Leben vorgezeichnete Geschichte auf Bühne und Leinwand gebracht.
Bereits 1931 war die Geschichte des „Hauptmanns von Köpenick" unter der Regie von Richard Oswald erfolgreich verfilmt worden. Damals spielte Max Adalbert die Titelrolle, doch als Heinz Rühmann ein Vierteljahrhundert später in die Hauptmannsuniform schlüpfte, wurde die erste Filmfassung deutlich übertroffen. Der in sattem Eastmancolor gedrehte Streifen überzeugte zudem durch die übrigen Darsteller, allen voran Martin Held, der in der Rolle des übertölpelten Bürgermeisters von Köpenick glänzte. Weiter wurde die stimmige, dichte Milieuzeichnung von der Kritik gelobt und dazu trugen nicht nur die aufwendigen Studiobauten, sondern auch einige sorgfältig ausgewählte „Locations" für die Außenaufnahmen bei. Diese konnte man allerdings nicht an den Originalschauplätzen drehen, denn Köpenick gehörte 1956 zum östlichen Teil Berlins, wo Leute das Sagen hatten, die ideologisch anders ausgerichtet waren als die Filmschaffenden der damaligen Bundesrepublik. Daher suchte man gleich in Hamburg, wo auch die Studioaufnahmen entstanden, nach einer passenden Umgebung. Es gab vor Ort genügend „wilhelminisch" aussehende Bauten und so wurde die Frontseite des ehemaligen Altonaer Rathauses (heute Bezirksamt Altona) für den Film zum Bahnhof umfunktioniert. Hier zieht sich der falsche Hauptmann seine Uniform an und als er das Gebäude verlässt, schwenkt die Kamera symbolträchtig hinauf zum Denkmal einer berittenen Herrschergestalt. Das besagte Rathaus liegt am Platz der Republik, nicht weit vom Bahnhof Altona, und diesem Drehort zufolge handelt es sich eigentlich um den „Hauptmann von Altona".
Als Rathaus von Köpenick musste das Finanzamt Hamburg-Schlump herhalten, dessen strenge Backsteinfassade dem Amtssitz eines Bürgermeisters in wilhelminischer Zeit durchaus angemessen ist. Vor diesem Gebäude lässt der falsche Hauptmann seine kleine Truppe aufmarschieren, um dann das Stadtoberhaupt nebst seinem Kämmerer zu verhaften und die eingelagerten Finanzen an sich zu nehmen. Die arretierten Personen werden anschließend durch eine Seitentür, die noch heute in der Monetastraße zu finden ist, abgeführt und mit Kutschen abtransportiert. Danach hat der „Hauptmann von Köpenick-Altona" seine Arbeit getan, er kann gehen.