Sammlungen

Hamburger Filmproduktionen:

Die Deutsche Dokumentarfilm Gesellschaft

Von Lisa Joos

Der Berliner Optiker und Filmkaufmann Heinrich Klemme, der bei der TOBIS eine umfassende Ausbildung erhalten hatte, gründete I943 in Hamburg zusammen mit Jan Thilo Haux, Rudolf Kipp und anderen Geschäftspartnern die „Herstellungsgruppe Atlantis", die sich bald in „Deutsche Dokumentarfilm Gesellschaft" umbenannte und bis zu ihrem Konkurs 1949/50 etwa ein halbes Dutzend Kulturfilme herstellte, zu denen auch das in Zusammenarbeit mit Bürgermeister Max Brauer produzierte Werk „Hamburg glaubt an seine Zukunft" gehört. Weniger bekannt dürfte sein, dass Klemme nach dem Konkurs den Geschäftsbetrieb selbst weiterführte und mit Volker von Collande I952 die Tochterfirma „Deutsche Spielfilm Gesellschaft" gründete, die mit „Ich warte auf Dich" und „Die spanische Fliege" dann sogar Unterhaltungsfilme in die Kinos brachte. Als sein Lebenswerk betrachtete Klemme, der zeitweise auch Herstellungsleiter bei der UFA-Fernsehproduktion war, jedoch den Dokumentarfilm „Die Pamir", den er selbst als Regisseur betreute und der zwei Jahre nach der dramatischen Schiffskatastrophe in die Kinos kam. Der vorliegende Beitrag ist ein Auszug aus einer Diplomarbeit, die im vergangenen Jahr im Rahmen der Ordnung des schriftlichen Nachlasses von Klemme im Staatsarchiv durch eine Studentin entstand.

 

Heinrich Fritz Horst Klemme wurde am 28. Januar 1920 als einziger Sohn einer Fabrikantenfamilie in Berlin-Friedenau geboren. Klemme besuchte ' ein Berliner Realgymnasium, das er im März I936 mit der Mittleren Reife abschloss.Von Mai I936 bis Dezember I939 machte er in Berlin bei den Askania-Werken eine Ausbildung zum Augenoptiken Anfang 1940 studierte er für kurze Zeit an der Ingenieursschule Gauss in Berlin, da er wegen eines Hüftleidens zunächst vom Wehrdienst befreit war Später wurde er jedoch für den Dienst beim Nationalsozialistischen Kraftfahrzeug Korps (NSKK) verpflichtet.

 

Lehrzeit bei TOBIS

Bei der TOBIS-Filmkunst GmbH (vormals Tonbild-Syndicat AG) in Berlin-Johannisthal, einer halbstaatlichen Filmproduktions-Firma, arbeitete Klemme zwischen 1939 und 1941 als Mechaniker im Bildprüfraum. Sehr bald wirkte er dort allerdings auch als Assistent und Kameramann bei der Produktion von zwölf Spielfilmen und diversen Kurzfilmen mit. Seine Lehrmeister waren u.a. die renommierten Kameramänner Eugen Klagemann und Eduard Winterstein. Zu dieser Zeit arbeiteten bei der TOBIS auch Jan Thilo Haux, der später Kameramann bei der .Tagesschau" wurde (siehe auch „Hamburger Flimmern" Nr 8, S. 2-5) und RudoIfWerner Kipp, mit dem Klemme später die „Deutsche Dokumentarfilm Gesellschaft" gründete.

 

Gemeinsam gründeten Klemme, Kipp und Haux bereits 1943 die „Herstellungsgruppe Atlantis", die sich auf dokumentarische Kurzfilme spezialisierte. Als erstes Werk entstand 1942 im Auftrag des Vereins Seglerhaus am Wannsee anlässlich des 75jährigen Vereinsjubiläums „Der Segler". Klemme war für Buch, Regie und Herstellungsleitung zuständig, Kipp für Kamera und den Schnitt. 1943 entstand der Landschaftsfilm „Frühling im Kynast" und 1944 realisierte man schließlich „Das Gesicht des Krieges", ein Porträt über den Kriegsmaler Prof. Franz Eichhorst.

 

Gründung der Herstellungsgruppe Atlantis

Die „Herstellungsgruppe Atlantis" wurde auf Anregung von Kipp gegründet. Es gab eine klare Aufgabenteilung, der zufolge Haux zuständig für die Organisation, wie z.B. Transporte, Reisen und Überwindung kriegsbedingter Schwierigkeiten war; während Klemme sich für die Aufnahmeleitung, wie z.B. Disposition, Beschaffung von Ateliers und Rohfilm verantwortlich zeichnete. Kipp als Spezialist für Kameraführung und Schnitt, der sich zur Gründungzeit als Kriegsberichterstatter an ständig wechselnden Orten befand, bezeichnete sich selbst gerne als den Kopf des Ganzen und schickte fast wöchentlich Mitteilungen mit Ideen an die nicht im Kriegseinsatz befindlichen Mitarbeiter Haux und Klemme.

 

Neben der künstlerischen Ausbildung legte Klemme viel Wert auf kaufmännisches Wissen. Nachdem die Herstellungsgruppe Atlantis 1944 ihre Produktion einstellen musste, arbeitete Klemme für ein halbes Jahr als Produktionsassistent bei der Kosmos-Film der Familie Borgstädt in Hamburg-Wandsbek. Diese Tätigkeit endete infolge der totalen Mobilisierung kurz vor Kriegsende, bei der dann auch Klemme noch eingezogen wurde.

 

So erfolgte Anfang 1945 auch offiziell die Trennung von Kipp, Klemme und Haux. Jeder sollte nun zunächst für sich planen und bei eigenen Projekten gegebenenfalls die Hilfe und Unterstützung der anderen in Anspruch nehmen.

 

Um die „Durststrecke" nach Kriegsende zu überstehen, befasste Klemme sich zunächst mit der Reorganisation und dem Wiederaufbau von kleinen Betrieben in Berlin, überwiegend im Feuerungs- und Schornsteinbau, bevor er bei der Berliner Photo-Gesellschaft mbH anheuerte, die auch als Hegewald Film GmbH firmierte.

 

Schon im Sommer 1945 entwickelte Kipp den Plan, erneut eine Produktionsgesellschaft mit dem Namen „Atlantis-Film" zu gründen. Zunächst mussten jedoch alle auf die Lizensierung der Alliierten warten. Solange sie noch keine Genehmigung für den Betrieb einer eigenen Firma hatten, arbeiteten Kipp und Klemme bei der „Jungen Film Union" von Rolf Meyer gleichsam als selbstständige Produktionsgruppe.

 

Neustart mit der „Deutschen Dokumentarfilm Gesellschaft"

Nachdem Kipp im September 1947 von der British Film Section (BFS) und der Kulturbehörde Hamburg die Filmlizenz erteilt wurde, wurde am 4. März 1948 die Eintragung der „Deutschen Dokumentarfilm Gesellschaft mbH" in das Handelsregister beantragt, die am 17. März unter der Nummer B 4825 erfolgte. Im Gesellschaftervertrag wurden als Geschäftsführer Rudolf Werner Kipp, Filmhersteller und Heinrich Klemme, als Produktionsleiter aufgeführt. Das Stammkapital der Gesellschaft wurde auf 20.000 Reichsmark festgelegt, die Geschäftsanschrift lautete Hohenzollernring 16 in Hamburg-Altona.

 

Die Firma wollte sich mit ihrer Arbeit einerseits von der Wochenschau-Reportage, andererseits von Kunstfilmen abgrenzen und das „Innere von realen Vorgängen und Ereignissen wahrheitsgetreu sichtbar machen". Kipp, der wie üblich der kreative Leiter der Firma war orientierte sich an seinem Vorbild, dem Engländer John Grierson, der als Begründer der Dokumentarfilm-Bewegung angesehen wird. Die Zeitschrift „Film-Express Woche" beschreibt sehr schön die Firmenphilosophie der Deutschen Dokumentarfilm Gesellschaft: „'Der Dokumentarfilm ist ein glaubwürdiger Bericht des aktuellen Zeitgeschehens und ein Versuch, mit der Kamera eine wahre, aber nichtsdestoweniger dramatisierte Version des Lebens zu geben.' Nach diesen klassisch zu nennenden Richtlinien arbeitet auch die Deutsche Dokumentarfilm Gesellschaft in Hamburg-Altona. Die künstlerische Leitung hat Rudolf-Werner Kipp. Für die Geschäfts- und Produktionsleitung ist Heinrich Klemme verantwortlich. Kipp und Klemme sind beide erst 29 Jahre alt, aber schon erfahrene .Filmhasen'. Sie bemühen sich, möglichst alles selbst zu machen. Sie schreiben Drehbücher führen Regie und stehen an der Kamera."

 

Der wichtigste Auftraggeber der neugegründeten Firma war anfangs die British Film Section (BFS). Für die Filmproduktion wurde rasch einen fester Mitarbeiterstamm aufgebaut: An der Kamera standen Rudolf Kipp, Erich Stoll, Hans Böcker und Herbert Körösi. Aufnahmeleiter waren Joachim Eichelbaum, der Cousin Klemmes, und Wolfgang Luppa. Als Schnittmeister wurde Marcel Cleinow beschäftigt. Und Klemme schließlich war wieder für die Produktionsleitung verantwortlich. Zudem wurde ein für die damalige Zeit beachtlicher Fuhrpark unterhalten.

 

Nach dem Ausscheiden Kipps aus der Firma, versuchte Klemme die Lizenz auf Wochenschauherstellung zu erweitern, um das Auftragsgebiet der Firma etwas zu vergrößern. Klemme ließ nichts unversucht, um die Auftragslage für die Firma zu verbessern, doch leider ohne größeren Erfolg. Am 2. Mai 1949 trat Kipp als Geschäftsführer der Firma zurück und Klemme wurde alleinzeichnungsberechtigter Geschäftsführer Kipp als Lizenzträger und Hersteller aller Filme der Firma, war ab diesem Zeitpunkt nur noch freier Mitarbeiter Tatsächlich wurden in den Jahren 1948/49 nur 6 Filme fertiggestellt.

 

„Lebensadern"

Der erste hieß „Lebensadern" und war ein BFSAuftragsfilm, der den Wiederaufbau der Verkehrswege, Straßen, Schienen und Brücken in den ersten Nachkriegsjahren vornehmlich in der britischen Besatzungszone zeigte. Den Verleih teilten sich die Willy Karp Film GmbH, Düsseldorf, und der Norddeutsche Filmverleih Adolf Bejöhr; Hamburg. Rudolf Kipp war für Buch, Kamera und Regie verantwortlich, die Musik schrieb Franz Josef Breuer Im August 1948 wurde der Film auf der Biennale in Venedig gezeigt, später auch auf den Filmfestspielen in Edinburgh. Er wurde vom internationalen Publikum mit großem Interesse verfolgt und erhielt gute Kritiken.

 

„Die Bergung der New York"

Dieser Film war ebenfalls ein BFS-Auftragsfilm und dokumentierte die aufwendigen Bergungsarbeiten des gleichnamigen HAPAG-Dampfers in der Ostsee. Die „New York" war in den letzten Kriegsmonaten nach einem Bombenangriff im Kieler Hafen gesunken. Sie sollte zum Verschrotten nach England geschleppt werden. Rudolf Kipp zeichnete wieder für Buch und Gestaltung verantwortlich, Erich Bender schrieb die Musik. Die Uraufführung erfolgte auf den Internationalen Kulturfilmtagen in Hamburg, die vom 8. bis 15. Mai I949 im „Urania"-Kino in der Fehlandtstraße stattfanden. Die Presse lobte, es sei „eine spannende, lebendige Reportage" entstanden, die Anerkennung verdiene. Der britische Filmexperte H. H. Wollenberg kritisierte die überalterte Konzeption der meisten in Hamburg gezeigten Dokumentarfilme und hob als eine der wenigen Ausnahmen den Bergungsfilm hervor: „Filme wie diese sind ein Versprechen, dass eine neue Generation deutscher Kulturfilmleute den Anschluss an die geistigen und sozialen Fragen unserer Zeit sucht und auch erreichen wird."

 

„Nahrung aus dem Meer"

Danach entstand als drittes Werk ein BFS-Auftragsfilm, welcher die Hochseefischerei mit Aufnahmen von Fangmethoden aus dem Nordpolarmeer und den Heringsgebieten der Nordsee dokumentierte. Bei der Produktion dieses Filmes wirkte zum ersten Mal der Kameramann Hans Böcker mit. Er hatte gehört, dass die Gesellschaft einen Kameramann suchte und da er Kipp aus dem Krieg kannte - sie waren beide Kriegsberichterstatter der Marine gewesen - fuhr er nach Hamburg, bewarb sich und wurde ab diesem Zeitpunkt in den festen Mitarbeiterstamm der Deutschen Dokumentarfilm Gesellschaft übernommen.

 

„Asylrecht"

Ein Werk, das auch heute nichts von seiner Nachhaltigkeit verloren hat, ist ohne Frage die BFS-Auftragsarbeit „Asylrecht". Indirekt kann man es zur Gruppe der sogenannten „Re-Education"-Filme zählen, die von den Alliierten gezielt zur Entnazifizierung und Umerziehung des deutschen Volkes produziert wurden. Hier ging es jedoch vielmehr um das als Konsequenz aus dem 2. Weltkrieg und seinen Vertreibungen resultierende Flüchtlingsproblem. In dem knapp 45-minütigen Werk wird zunächst der große Andrang an der sogenannten „grünen Grenze" gezeigt und die Unterbringungsprobleme, die es in der britischen Zone gab. Dann wird die Betreuung der Flüchtlinge im Durchgangslager und die Weiterleitung in andere Lager dokumentiert. Es wird nicht verschwiegen, dass die Aufnahme von zahlreichen Flüchtlingen verweigert und sie wieder zurückgeschickt wurden. Eine Szene zeigt sogar, wie die Westzonenpolizei Flüchtlinge an die Ordnungshüter der Ostzone übergibt. Die Bilder des Films machen die Not und das Elend der Flüchtlinge sehr deutlich. Die Aufnahmen für den Film entstanden im Herbst und Winter I948 vorwiegend in Schleswig-Holstein. Kipp bemühte sich bei den Aufnahmen um absolute Sachlichkeit. Keine Szene sollte gestellt wirken. So wurden in den Flüchtlingslagern die stationär eingerichteten Scheinwerfer über Tage hinweg brennen gelassen, um die dort lebenden Menschen daran zu gewöhnen. Sie verloren das Interesse an den Filmarbeiten und Kipp hatte so die Möglichkeit, wirklich authentische Aufnahmen zu machen. Gelegentlich wurden auch versteckte Kameras installiert, so dass die Möglichkeit bestand, unbemerkt Großaufnahmen von Gesichtern zu machen. Ursprünglich wurde der Film für die Flüchtlingskonferenz des Weltkirchenrates in Auftrag gegeben. Auf dieser Konferenz wurde er im Februar 1949 uraufgeführt. Er sollte internationale Aufmerksamkeit für das deutsche Flüchtlingsproblem wecken und somit für die deutsche Flüchtlingshilfe werben. Es wurden drei Sprachfassungen in deutsch, englisch und französisch angefertigt und er wurde in Deutschland, England, Norwegen, Schweden, Brasilien, Südafrika, Australien und in der Schweiz gezeigt. In die USA wurden sogar I20 Kopien verkauft. Während der Film im Ausland großen Anklang fand, gab es in Deutschland Probleme, Filmverleiher und Kinobesitzer zu finden, die ihn zeigen wollten. So berichteten z.B. die „Nürnberger Nachrichten", dass nach Ansicht der deutschen Filmverleiher „das Publikum keine Flüchtlinge im Kino sehen wolle". So wurde der Film fast ausschließlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Sonderveranstaltungen gezeigt.

 

Auch die britische Besatzungsmacht wollte plötzlich den Film, an dessen Herstellung sie ja eigentlich durch die BFS direkt beteiligt war, im Sommer 1949 verbieten. In der Presse wurde vermutet, dass die bereits bestehenden Spannungen zwischen der sowjetisch besetzten Zone und den westlichen Alliierten „nicht noch mehr vergrößert" werden sollten.Trotz aller Schwierigkeiten gelangte der Film im September I949 schließlich doch noch auf der Biennale in Venedig zur Aufführung, wo er eine Sonderauszeichnung erhielt. Die britische Filmakademie wertete ihn als einen der besten sechs Dokumentarfilme des Jahres und kurz darauf wurde er auf dem Oberhausener Filmfest als bester Dokumentarfilm der letzten 10 Jahre ausgezeichnet.

 

„Hamburg glaubt an seine Zukunft"

Ebenfalls I949 entstand der Kurzfilm „Hamburg glaubt an seine Zukunft", der den Wiederaufbau und Aufstieg der Hansestadt dokumentiert. Im Vergleich zu „Asylrecht" fand er weitaus mehr Anklang, da er nicht das Elend zeigte, das der Krieg hinterlassen hatte, sondern mehr den Blick nach vorn, in eine bessere Zukunft. Somit entsprach er mehr dem Zeitgeist und der Aufbruchsstimmung. Auftraggeber war der Hamburger Senat, das Drehbuch schrieb Heinrich Braune, der zu diesem Zeitpunkt Chefredakteur des „Hamburger Echos" war und wenig später die „Hamburger Morgenpost" gründete. Der Film wurde als gut gelungenes Zeitdokument beurteilt. Das Fachorgan „Film-Echo" hob hervor dass er „auf jedes Pathos und jedes falsche Versprechen" verzichte und betone, dass „es sich nach dem hoffnungs- und aussichtsvollen Beginnen wieder zu leben lohne". Es wurden aber auch kritische Stimmen laut, die ihn als „Selbstpropaganda des Senats" bezeichneten, zumal er wenige Wochen vor der Bürgerschaftswahl als Beiprogrammfilm in die Kinos kam.

 

„Totofieber"

„Totofieber" war das letzte Werk, dass von der Firma realisiert werden konnte. Es war kein Auftragsfilm, sondern eine Eigeninitiative. Kipp beschrieb ihn als das „erste Dokumentar-Lustspiel überhaupt". Das von Hanno und Rudolf Kipp gemeinsam verfasste Buch dokumentierte die Leidenschaft der Deutschen, Fußballwetten abzuschließen und Toto zu spielen. Neben Kipp und Böcker waren zwei weitere Kameramänner im Einsatz, als Sportsprecher fungierte Herbert Zimmermann. Werner Bochmann, der später auch „Die Pamir" musikalisch untermalen sollte, schrieb eine passende Partitur Doch „Totofieber" wurde nie aufgeführt, da seine Produktion in den Zeitraum des Konkurses der Firma fiel und sich der ursprünglich vorgesehene Atlas-Filmverleih zurückzog.

 

Der Konkurs

Im Januar 1949 gab es eine Veränderung der Firmenstruktur, bei welcher einer der Teilhaber ausschied. Durch die Währungsreform änderten sich zudem die ökonomischen Rahmenbedingungen. Außerdem fiel durch die Gründung der beiden Staaten BRD und DDR der wichtigste Auftraggeben die British Film Section, weg. Hinzu kam noch, dass die Situation für Kulturfilme allgemein ungünstig war Im August I948 wurde der Vorführzwang für das Vorprogramm aufgehoben; stattdessen wurden nun verstärkt lukrative Werbefilme gezeigt. Dadurch fiel es den Produzenten schwer Verleiher für ihre Dokumentarfilme zu finden, weil diese wiederum kaum noch Abnehmer unter den Kinobesitzern hatten. Nachdem sich das Gericht von der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung des Unternehmens überzeugt hatte, wurde am 28. Dezember 1949 das Konkursverfahren eröffnet. Anfang des Jahres 1950 fand der Konkurs der „Deutschen Dokumentarfilm Gesellschaft" bundesweit Aufmerksamkeit. So bedauerte z. B. der „Kulturfilm-Spiegel", dass „diese Produktion, die eine Reihe bester Filme hergestellt hat und zum Zeitpunkte der Konkurserklärung mehrere Filme in Arbeit hatte, wegen Mangels an Eigenkapital scheitern musste".Am 27. Februar 1950 wurde das Inventar der Firma versteigert und am 5. Juli 1951 wurde die Firma endgültig aus dem Handelsregister gelöscht.

 

Kipp arbeitete nach dem Konkurs zunächst als freier Kameramann für den NWDR, wo sein Freund Svoboda die Tagesschau aufbaute und für die Filmabteilung der Firma Wilkens-Werbung, bevor er Anfang der 50er Jahre seine eigene Firma, die „Rudolf W. Kipp Filmproduktion (R.K.F.)" gründete, die bis zu seinem Tode am 15. Januar 1990 bestand. Mit Klemme blieb er in unregelmäßigem Kontakt und ab und zu nahm Klemme auch Dienstleistungen von Kipp und seiner Firma in den folgenden Jahren in Anspruch.

 

Neubeginn unter altem Namen

Klemme hingegen machte sich als Filmkaufmann selbstständig und gründete im März 1950 die Firma „Heinrich Klemme - Filmproduktion, Filmsynchronisation", die am 23. Dezember 1950 unter der Nummer A 55066 in das Handelsregister eingetragen wurde. Gegenstand des Unternehmens war die Herstellung und Synchronisation von Filmen sowie Großhandel mit Kino-Rohfilmen und photographischen Artikeln. Er wechselte auch den Firmensitz und gab als Adresse nun Bei der Rolandsmühle 7, Hamburg-Altona, an. Einer Handelsregistereintragung vom Sommer 1951 ist zu entnehmen, dass am 10. Juli 1951 der Dramaturg Rudolf Beck als persönlich haftender Gesellschafter in die Firma eintrat, die nunmehr eine oHG war und wieder den Namen „Deutsche Dokumentarfilm Gesellschaft" (DEDOG) trug. Klemme hatte sich also wieder einen kreativen Partner an die Seite gestellt und betätigte sich selbst als Produzent und Kaufmann. Wenn kein Auftrag vorlag, arbeitete Klemme auch als freiberuflicher Produktionsleiter bei anderen Firmen. So übernahm er in dem Jahr für einige Zeit auch den Aufbau und die Leitung der Abteilung Betriebswerbung der Hamburger Kammerspiele.

 

Klemme wollte mit seiner Firma nicht mehr nur Beiprogrammfilme drehen, sondern sein Produktionsvolumen auf abendfüllende Dokumentarfilme ausdehnen. Kurzfilme wollte er nur noch als gelegentliche Auftragsarbeiten produzieren, um finanzielle Risiken möglichst auszuschließen. Dieses Vorhaben begründete er damit, dass sich seiner Meinung nach der Publikumsgeschmack vom „Spielfilm mit Traumfabrik-Tendenzen zum Spielfilm auf dokumentarischer Basis" zugewendet hatte.

 

„Pulsschlag der Zeit"

I950 entstand „Pulsschlag der Zeit" für die renommierte Hamburger Buchdruckerei Auerdruck, die auch die Zeitung „Hamburger Echo" verlegte. Vermutlich hat auch Heinrich Braune, der Drehbuchautor von „Hamburg glaubt an seine Zukunft", als ehemaliger „Echo"-Redakteur als Fürsprecher für dieses neue Projekt fungiert. Der Film dokumentierte jedenfalls umfassend die Herstellung einer Tageszeitung und ermöglichte auch Laien einen Einblick in die komplizierten arbeitstechnischen Vorgänge. Klemme trat erstmals als Regisseur in Erscheinung.

 

„Sächsisches Gold"

Auch für dieses Werk, das im selben Jahr entstand, wurden alte Kontakte reaktiviert. Im Auftrag der „Jungen Film Union" von Rolf Meyer behandelte der Kulturfilm die Neuansiedlung des alten sächsischen Gewerbes, der Feinstrumpfindustrie, in Westdeutschland und führte in einer kurzen Rückschau dem Kinopublikum vor Augen, welche große wirtschaftliche Bedeutung diese Branche im Exportbereich hatte. Zudem sollte propagiert werden, dass der Nylonfaden qualitativ mindestens ebenso wie herkömmliches Garn verarbeitet werden konnte. Für das Drehbuch und die Kamera war Kipp zuständig, der eigens von Klemme unter Vertrag genommen wurde. Die Aufnahmen wurden in der Nordwestdeutschen Strumpffabrik GmbH, Menden/Westfalen, gemacht. Der Film sollte als Beiprogrammfilm im Kino laufen und so eine möglichst große Zahl an Zuschauern erreichen.

 

„Neues Beginnen"

1951 erhielt Klemme den Auftrag der Arbeiterwohlfahrt (AWO), unter dem Titel „Neues Beginnen" ihre Tätigkeit zu veranschaulichen und gleichzeitig für sie zu werben. Die während des 3. Reiches verbotene Organisation sollte nun umfassend vorgestellt und ein Überblick über das Schaffen und die verschiedenen Aufgaben gegeben werden. Der Film war nicht zur öffentlichen Vorführung gedacht und wurde hauptsächlich bei Versammlungen, Tagungen und Werbeveranstaltungen der AWO gezeigt. Rudolf Beck, Dramaturg und damaliger Geschäftspartner von Klemme, gestaltete den Drehplan und die Texte für den Kommentar zu diesem Film. Klemme war wie üblich für das Organisatorische verantwortlich; die Kamera führte Hans Böcker. Gedreht wurde der Film bundesweit in verschiedenen Einrichtungen
der AWO.

 

Gründung der Tochterfirma „Deutsche Spielfilm Gesellschaft"

Am 27. Mai I952 gründeten Heinrich Klemme und Volker von Collande die „Deutsche Spielfilm Gesellschaft mbH". Es ist anzunehmen, dass Klemme mit der Arbeit seiner bisherigen Firma nicht ausgelastet war und deshalb alles unternahm, um das Geschäft weiter anzukurbeln. Da Anfang der 1950er Jahre in Deutschland die Zeit des Kinobooms war, weitete er sein Produktionsgebiet nun auf Spielfilme aus. Mit dem Schauspieler und Regisseur Collande, den er bereits von derTOBIS kannte, hatte er sich wieder einmal einen künstlerisch agierenden Teilhaber an die Seite gestellt. Klemme selbst blieb für das Kaufmännische zuständig. Zunächst residierte die Firma mitten in der Innenstadt in einem kleinen Büro in der Ferdinandstrasse 61.

 

In den folgenden Jahren konnte die „Deutsche Spielfilm Gesellschaft" schließlich nur zwei Unterhaltungsfilme realisieren, die zudem keine großen Erfolge wurden. Infolgedessen erlangte die Firma auch nie große Bedeutung oder Bekanntheit in der deutschen Filmlandschaft. Neben der Herstellung von Spielfilmen sah die Firma es als ihre Aufgabe an, Stoffe zu entwickeln, um daraus selbst Filme drehen zu können oder sie gegebenenfalls auch an andere Firmen weiter zu verkaufen. Interessant ist auch ein Blick auf mehrere dicke Akten im Nachlass, welche insgesamt 54 Projekte dokumentieren, die nie realisiert wurden.

 

Das gescheiterte Winnetou-Projekt

Bereits 1953/54, also fast zehn Jahre bevor Horst Wendlandt 1962 den ersten Karl-May-Film produzierte, interessierten sich Klemme und Collande für diese Wildwest-Romane. Als sie den Stoff dem Panorama-Filmverleih anboten, wurden sie jedoch mit Bemerkung abgewiesen, dass „in heutiger Zeit mit Karl-May Verfilmungen kein Geschäft zu machen sei" und man es anderen Verleihern überlasse wolle, als erste in dieser Hinsicht Erfahrungen zu sammeln. Der riesige Erfolg der Karl-May-Filme in den 1960er Jahren sollte jedoch diese Einschätzung widerlegen. Kurioserweise hatte auch die Deutsche Spielfilm Gesellschaft den ,.Schatz im Silbersee", der bekanntlich 1962 als erster Winnetou-Film von Dr. Harald Reinl realisiert wurde, ursprünglich zur Verfilmung ausgewählt. Der Arbeitstitel hieß „Winnetou am Silbersee" und Klemme und Collande erwarben im Frühjahr 1953 die Verfilmungsrechte vom Karl-May-Verlag in Bamberg. Geplant war eine A r t Jugendfilm. Man wollte „einen in Deutschland gedrehten Karl May nicht als bewusste Konkurrenz gegen amerikanische Wild-West-Filme" produzieren und „vom grausamen Realismus der Amerikaner" sei in für die Jugend geeigneter Weise Abstand zu nehmen. Vielmehr müsse „auf die in unserem Land bevorzugten Akzente wie Romantik, Herz, Sentiment und Psychologie für die Jugend" eingegangen werden, fordert eine Aktennotiz. Für die Ausstattung des Films sollten - hier dachte man wieder kostenbewusst – deutsche Indianer- und Cowboy-Clubs, die unter dem Protektorat der amerikanischen Besatzungsarmee gegründet worden waren, eingespannt werden.

 

Der erste Spielfilm: „Ich warte auf Dich"

Collande besaß aus seiner TOBIS-Zeit Drehbücher; die teils unverwirklicht geblieben waren. Unter diesen Drehbüchern befand sich auch eines, das nicht nur den Titel öfters gewechselt hatte, sondern auch immer wieder von ihm umgearbeitet worden war: Mal hieß es „Mädels von heute", dann „Schule des Lebens"; später bekam es schließlich den offiziellen Arbeitstitel „Barbara". Offenbar schien das Thema als zu heikel für eine Umsetzung in der Kriegszeit, denn es ging um ein junges Mädchen, das im Urlaub auf einer einsamen Insel einen Mann kennen lernt, eine Nacht mit ihm verbringt und, als sie ihm ein Jahr später als Lehrer wiederbegeghet, ihm ihre Schwangerschaft verschweigt. Man könnte meinen, Collande hätte aus dem Stoff einen gesellschaftskritischen Film gemacht, um auf das Problem der unehelichen Mutterschaft aufzugreifen und es aus der „sündigen Nische" hervorzuholen, zumal der Film auf einer wahren Begebenheit beruht, wie Collande gerne betonte. Er war auf die Geschichte in den frühen 40er Jahren durch eine Zeitungsnotiz aufmerksam geworden. Die Einzelheiten recherchierte er in den Akten der Berliner Jugendfürsorge. Nur endete dort die Geschichte nicht wie im Film mit einem Happy End, sondern mit dem Selbstmord des Mädchens, das in der Gesellschaft kein Verständnis fand. Collande arbeitete elf Jahre am Drehbuch, bis es endlich seinen Vorstellungen entsprach.

 

Der Film hätte durchaus gesellschaftskritisch werden können. Doch es entstand eine A r t Liebesdrama mit unsäglich kitschigen Szenen, die zudem an unpassenden Stellen mit humoresken und musikalischen Einlagen versehen waren. So z.B. eine Szene in der Entbindungsklinik, in welcher eine der Primanerinnen das Lied „Träume sanft und schlafe süß" singt. Die Filmkritiker waren sich darüber einig, dass das Thema zwar interessant und aktuell sei, die Story jedoch zu konstruiert und unrealistisch wirke. Die Handlung wurde als „dramaturgisch nicht sehr geschickt angelegt", „verwirrend", „von unlogischen Banalitäten übersättigt" oder „aus Denkfehlern und vertrackten Zufällen bestehend" bezeichnet.

 

Übereinstimmend wurde der Vorwurf geäußert, das Thema wäre zu locker behandelt und der Realität nicht gerecht. Der fatale Hang Collandes, der auch selbst in einer Rolle als Kinderarzt im Film mitspielte, zu seichter Unterhaltung, war unverkennbar

 

Ärger gab es mit der Kirche und der Freiwilligen Selbstkontrolle. Die katholische Filmkommission riet im „film-dienst" von einem Besuchs des Films sogar ausdrücklich ab: „In diesem Film stimmt nichts. Angefangen beim völlig verzeichneten Schulmilieu bis zum romantischen Augenaufschlag der Heldin reiht man Lüge um Lüge. Es liegt auf der Hand, dass wir vor solcher Schönfärberei vor allem die Jugend bewahrt wissen möchten." Die FSK gab den Film erst ab 16 Jahren frei und beanstandete ein Aushangfoto, auf dem die Hauptakteurin zwar mit ihrem Kind, aber ohne Ehering zu sehen war Das wurde als unsittlich und skandalös betrachtet und so wurde schnell ein Ring hineinretuschiert - auch wenn es eigentlich der Handlung widersprach, denn die Schülerin war ja laut Drehbuch überhaupt nicht verheiratet!

 

Der zweite Film: „Die spanische Fliege"

Schon 19 I 3 hatten Franz Arnold und Ernst Bach den Schwank „Die spanische Fliege" verfasst, ein in den folgenden Jahrzehnten häufig gespieltes Theaterstück. Die Handlung dreht sich um den unehelichen Sohn der „spanischen Fliege", einer jungen Tänzerin, die einmal in Daxburg Station gemacht hatte. Vier ehrenwerte Bürger der Stadt zahlten seitdem – ohne von einander zu wissen - heimlich Alimente. Der Inhaltsangabe kann man bereits entnehmen, dass der Film eine typische Komödie der 1950er Jahre war: Seichte Unterhaltung mit vielen eher trivialen Gags wie z.B. zusammenbrechenden Stühlen. Im Herbst I952 hatte Klemme die Verfilmungsrechte des Stücks für die Dauer von acht Jahren vom Rechteinhaber Ahn & Simröck erworben. Mit den Schauspielern Joe Stöckel, Rudolf Platte und Elisabeth Flickenschi Idt standen bekannte Namen auf der Besetzungsliste, wodurch die Kosten des Films auch insgesamt höher lagen als bei „Ich warte auf Dich". Gedreht werden sollte wieder in den Filmateliers Göttingen; Schwierigkeiten gab es jedoch erneut bei der Finanzierung durch Bürgschaften. Als endlich genügend Geld zur Verfügung stand, konnten Ende 1954 die Dreharbeiten beginnen; bereits im Frühjahr 1955 fand dann die Uraufführung statt.

 

Der Film wurde in Co-Produktion mit der „Viktor von Struve Filmproduktion GmbH & Co." hergestellt. Erneut gab es Probleme mit der Freigabe des Films durch die FSK, die folgendes Urteil abgab: „Der Film zersetzt auf nicht verantwortbare Weise moralische Maßstäbe. Es kann nicht anerkannt werden, dass die vordergründige Komik der Handlung die sittliche Fragwürdigkeit des Ganzen isoliere, denn hier fehlt die Distanz der Ironie oder der Groteske, die der Zweideutigkeit die Schärfe nimmt. Der Einwand der überstimmten Minderheit richtet sich vor allem gegen den Dialog, bzw. gegen die Verbindung von dialogischer Zweideutigkeit mit senilen Reaktionen lächerlicher Spießer die eben nicht durch Ironie entlarvt sind. So ist eine entsittlichende Wirkung anzunehmen, die hier nicht etwa am Erotischen schlechthin hängt, sondern an der Entwertung des Erotischen zum Tummelplatz von Zweideutigkeiten, die nicht durch witzige Formulierungen erträglich werden."

 

Um die Freigabe des Films doch noch zu ermöglichen, machte die FSK es zur Voraussetzung, dass einige Szenen herausgeschnitten wurden. Nach anfänglichem Protest beugten sich Klemme und Boese. Auch etliche Kritiker lehnten den Film ab, wenngleich es auch viele Rezensenten gab, die ihn als gelungenen, lustigen und unterhaltsamen leichten Schwank ansahen.

 

Nicht verwunderlich, dass der Konflikt mit der katholischen Kirche in diesem Fall sogar noch stärker als bei „Ich warte auf Dich" war Die katholische Filmkommission bewertete den Film mit der Note 4, wie sie es seit ihrem Bestehen erst einmal getan hatte - und zwar bei „Die Sünderin" von Willi Forst, der damals großes Aufsehen erregte, da die Hauptdarstellerin Hildegard Knef einen kurzen Augenblick lang nackt zu sehen ist. Der „film-dienst", das Organ der katholischen Filmkommission schrieb zum Film: „Niedriger Filmschwank, der unter Carl Boeses Regie alles nur Mögliche tut, um das derbe Volksstück über die vier schlechten Gewissen durch grobe Zweideutigkeiten in Situationskomik und Dialog zu übertreffen, ohne sein plattes Spiel mit dem Schmuddeligen durch wahre Ironie oder echte Groteske zu entwirklichen. Es muss hier einmal ganz offen gefragt werden, wie es zuging, dass auch diese traurige Leistung des deutschen Filmlustspiels, deren man sich tatsächlich schämen muss, durch die Zusage einer staatlichen Bundesbürgschaft finanziell ermöglicht wurde. [...] Hier ist jene Grenze überschritten, die zwischen derVerletzung des guten Geschmacks und der Verletzung des sittlichen Empfindens besteht. [...] An solchen Filmen sollte man nicht achselzuckend vorübergehen, man muss ihre Gesinnung schärfstens anprangern."

 

Ein Ausflug in die Fernsehwelt

Nachdem ihrer eigenen Firma mit beiden Spielfilmen der große Erfolg verwehrt geblieben war und da auch durch das Einsetzen der Kinokrise I956 an weitere Produktionen nicht mehr zu denken war, mussten Klemme und Collande sich beruflich neu orientieren. So kam es, dass beide zur gerade wieder neugegründeten UFA nach Berlin wechselten. Collande baute dort ab Januar 1957 eine Nachwuchsschule auf, was er bereits während seiner Zeit bei derTOBIS getan hatte. Hier hielt er Ausschau nach Nachwuchsschauspielern und bildete sie aus. Nebenher führte er bei einigen Fernsehfilmproduktionen Regie. Klemme arbeitete bei der UFA hauptsächlich als Herstellungsleiter bei der Fernsehfilmproduktion.

 

Betrachtet man den Mitarbeiterstab dieser Fernsehabteilung genauer, dann fällt auf, dass viele bekannte Namen aus der Zeit der alten Deutschen Dokumentarfilm Gesellschaft darunter sind. Mit Hartmut Grund hatten Klemme und Collande bereits mehrfach zu tun gehabt, wenn es um Drehbücher ging, und mit dem Filmarchitekten Gabriel Pellon arbeiteten Klemme und Collande bereits bei der Produktion von „Ich warte auf Dich" zusammen. Doch das Nachrichtenmagazin „Spiegel" zog I959 über den Versuch der UFA, das aufstrebende deutsche Fernsehen mit eigens hergestellten Kurzspielfilmen zu beliefern, eine katastrophale Bilanz: „Von den sechs UFA-Fernsehfilmen, zu denen sich die deutschen Fernsehchefs auf ihrer Programmkonferenz im Mai I957 in Baden-Baden entschlossen hatten, fiel einer mit dem Titel „Der blinde Passagier" wegen des „Pamir'-Untergangs unter den Tisch. Ein zweiter - „Grenzfall Bacall" - wurde von Bonn zwei Tage vor der Sendung weggewinkt, weil er angeblich die Belgier gekränkt haben würde. Einen dritten - „Blätter im Wind" - umrankte man wegen völligen Versagens mit einer zusätzlichen Rahmenhandlung, in der als Mime Frankfurts Marathoncharmeur Kulenkampff einsprang und sogleich mitversagte. Die übrigen drei UFA-Erzeugnisse - „Ali der Meisterdieb", „Cardillac" vom Bayrischen Rundfunk und „Mylord weiß sich zu helfen" vom Hamburger Fernsehen – entstellten durch unedle Einfalt je eine Stunde das Fernsehbild des deutschen Heimgeräts und wurden nicht mehr gesehen, was zu Dank verpflichtet. Kurz: Es war [...] eine dilettantische Stoppelei [...] der UFA, deren Schiefgang die anderen Fernsehanstalten auch bewogen hatte, hinsichtlich ihres Programms auf die UFA nicht länger zu bauen." Abschließend lässt sich festhalten, dass der Versuch der UFA, spezielle Filme für das Fernsehen zu drehen, sicherlich eine gute Idee war, die jedoch durch die größtenteils dilletantische Stoffauswahl und ungünstige Begleitumstände nicht erfolgreich umgesetzt werden konnte. Diese Misserfolge dürfte ein Grund dafür gewesen sein, dass die UFA ihre Fernsehaktivitäten Anfang der 1960er Jahre vollständig einstellte.

 

Der Fußballfilm „Hinein!"

Nachdem auch der I958 produzierte vierteilige Kriminalfilm - „Gesucht wird Mörder X" – nicht den gewünschten Erfolg hatte, sah sich der heftig kritisierte Volker von Collande veranlasst, die UFA zu verlassen und nach München zur RIVA-Film zu gehen. Heinrich Klemme hingegen blieb zunächst als Produktionsleiter bei der UFA und realisierte mit einigen Mitarbeitern der Fernsehabteilung noch eine Dokumentation über die Fußballweltmeisterschaft I958 in Schweden - die dann unter dem Titel „Hinein!" ausschließlich in den Kinos gezeigt wurde.

 

Am 7. Mai I958 schloss die UFA mit der schwedischen Fußballvereinigung und der Weltfußballorganisation FIFA einen Vertrag über das Recht, die Fußballweltmeisterschaft 1958 in Bild.Ton und Fernsehen, senden zu dürfen. Daraufhin bildete die UFA eine Herstellungsgruppe, für welche die SVENSK Filmindustri dem UFA-Filmteam die technische Ausrüstung zur Verfügung stellte.

 

Die UFA verpflichtete für dieses Projekt 30 Sportkameramänner und als Regisseur den Sportfunk-Reporter Sammy Drechsel. Klemme war Leiter dieser Herstellungsgruppe. Als Sprecher wurden die beiden beliebten Fußball-Kommentatoren Herbert Zimmermann und Heribert Meisel verpflichtet. Sepp Herbergen Trainer der deutschen Nationalmannschaft, stellte sich dem Filmteam als fachlicher Berater zur Verfügung. Der Film porträtiert die einzelnen Mannschaften, die Städte in denen die Spiele stattfanden, zeigt Trainingsarbeit, Zuschaueremotionen und natürlich hauptsächlich die einzelnen Spiele.

 

Der „Pamir"-Film

Bereits seit I954 hatte Klemme die Idee, einen Film über das Segelschulschiff „Pamir" zu machen. Die Seefahrt hatte ihn schon immer interessiert. Es sollte auch das einzige Werk werden, für dessen Produktion, Gestaltung und Regie Klemme allein verantwortlich war Nach dem aufsehenerregenden Untergang der „Pamir" I957 sah Klemme eine große Marktchance für einen derartigen Film und konkretisierte seine Pläne. Ziel sollte es sein, mit diesem auf einer der letzten Reisen der Pamir vor ihrem Untergang gedrehten Material einen Dokumentarbericht über die letzten Großsegler zu gestalten.

 

Das Kernstück des Films bildeten die Aufnahmen des ehemaligen UFA-Kameramannes Willy P Bloch, die nach der Wieder-Indienststellung I952 entstanden. Er hatte als Pressevertreter an einer Reise nach Rio de Janeiro teilgenommen. Bloch drehte im direkten Auftrag der Schliewen-Reederei vonwiegend Szenen vom Leben an Deck, vom Landgang in Rio und zahlreiche Außenaufnahmen vom Schiff selbst. Allerdings gibt es von Bloch keine Sturmaufnahmen, weil e r - wie Zeitzeugen berichten - häufig seekrank in seiner Kajüte lag. Daher fanden später bereits I930 von Heinrich Hauser auf der Pamir gemachte Sturmaufnahmen Verwendung, die einfach mit dem anderen Material zusammengeschnitten wurden. Da trotz allem Blochs Material nicht für einen abendfüllenden Film ausreichte, verwendete Klemme weitere Aufnahmen von der Kadettenausbildung und vom Abwracken ausgemusterter Segelschiffe, welche er durch eigene Nachforschungen in Filmarchiven und bei der Wochenschau ausfindig machte.

 

Von der Idee Klemmes 1954, diesen Film zu machen, bis zur letztendlichen Realisierung 1958/59, vergingen vier Jahre.Teilweise lag es wohl an den Rechten für das Material, teilweise an der Finanzierung des Projekts und auch an Klemme selbst, der zu der Zeit eigentlich bei der UFA als Herstellungsleiter arbeitete. Bei der UFA musste er die Erklärung abgeben, dass seine beiden Firmen während seiner Tätigkeit für seinen neuen Arbeitgeber ruhen würden. Doch dann stellte ihn die UFA kurzfristig doch zur Produktion seines eigenen Films frei. Auch die Klärung der Rechte verkomplizierte sich, nachdem die Reederei Schliewen 1954 Konkurs angemeldet hatte. Hinzu kamen noch Finanzierungsschwierigkeiten, da eine Bundesbürgschaft verwehrt blieb. Außerdem war es schwierig, einen Filmverleih zu finden. All diese Faktoren erklären, warum der Film schließlich erst so spät in die Kinos kam.

 

Ende I958 begann die Produktion, nachdem die EUROPA-Film GmbH Interesse am Verleih signalisiert hatte und die AB SVENSK Filmindustri als Herstellungspartner gewonnen werden konnte. Klemme nutzte die schwedischen Ateliers für Nachvertonungs- und Synchronisationsarbeiten, um verschiedene Sprachfassungen herzustellen. Er hatte die Kontakte zur Firma während seines Schwedenaufenthaltes 1958 geknüpft. Der Film kostete insgesamt 199.680,- DM. Die fachliche Beratung übernahm Kapitän Helmut Grubbe, der früher bei der Schliewen-Reederei als Inspekteur für Segelschifffahrt gearbeitet hatte. Für die musikalische Untermalung des Films beauftragte Klemme den Komponisten Werner Bochmann, mit dem Klemme bereits bei dem Film ,,Die spanischen Fliege" zusammengearbeitet hatte.

 

Nach der FSK-Freigabe im Juni und diversen Presseund Sondervorführungen wurde der Film schließlich im Herbst I959 im Hamburger,,Urania-Kino" in der Fehlandtstraße uraufgeführt. Er lief in Verbindung mit dem schwedischen Beiprogrammfilm „Menschen einer Großstadt" von Arne Sucksdorff. Wegen einer Verweigerung eines Prädikats der Filmbewertungsstelle in Wiesbaden, die für die Auswertung des Films wegen der damit verbundenen Steuerersparnis für die Kinobetreiber wichtig gewesen wäre, hatte sich der Filmstart noch einmal von September auf November verzögert. Dass der Film nun erst über 2 Jahre nach Untergang des Segelschulschiffes in die Kinos kam, war vermutlich auch einer der Gründe, dass er nicht sofort den großen Erfolg erzielte, den sich Klemme erhofft hatte. Zudem kam der Film fast gleichzeitig mit dem Breitwand-Farbspektakel „Windjammer" in die Kinos, der mit mehreren Kameras gleichzeitig aufgenommen, die Reise eines norwegischen Segelschiffes zeigte. Dabei erhielt Klemmes Film die besseren Kritiken: „Es ist erstaunlich, dass es in diesen 2428 Metern keine toten und langweiligen Stellen gibt. Dem Gestalter und vor allem wohl der Cutterin, ist es gelungen, die Filmstreifen so aneinander zufügen, dass die Spannung des Zuschauers nicht nur wachgehalten, sondern bis zum Schluss immer wieder gesteigert wird. Dieser Film wird wohl jeden Sportsegler begeistern, denn es ist ein Stück seiner Welt, die hier lebendig wird. Dieses Spiel von Wind, Wogen und jungen Menschen auf der Leinwand macht jeden glücklich, der noch empfänglich ist für die Schönheit und Gewalt der Natur, für das Atmen des Meeres und das Rauschen der See", hieß es fast prosaisch in einer zeitgenössischen Presserezension. Da mutete es fast tragisch an, das eine andere Zeitung folgende Feststellung machte: „Der Film „Windjammer", ein operettenhaftes Schaustück aus der Segelschiffahrt mit nur wenig windjammermäßigen Motiven hat in Hamburg wochenlang vor ausverkauftem Haus gespielt. Der Film „Pamir" hingegen, ein Film, der echte Seemannschaft in einer selten gezeigten Realität wiedergibt, bei dem man mit freudigem Herzen beim Verlassen des Filmtheaters sagen konnte, noch einmal dabei gewesen zu sein, spielte dagegen nur eine sehr kurze Zeit. Am Bußtagvormittag war das Filmtheater nur halb besetzt."

 

Durch geschickte Schmalfilmauswertung und mehr oder weniger regelmäßigen Einsatz bei maritimen Filmfestivals und Sonderveranstaltungen erfuhr der Film „Die Pamir" jedoch in den nächsten Jahrzehnten eine immer größere Beliebtheit. Anfang der 1990er Jahre erfolgte eine Videoauswertung über die Zeitschrift „Yacht" und den Delius & Klasing Verlag, die noch immer mit großem Erfolg fortgesetzt wird. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren gelang Klemme mit dem Film vermutlich der größte Erfolg seiner Karriere als Produzent.