Sammlungen

Zwei Hamburger Filmarchitekten:

Ein Schritt hin zum Fabelhaften

 

Von Felix Grassmann

 

Selten nur fällt der Blick auf die deutsche Filmarchitektur der 1950er Jahre, einer Zeit, in der die künstlichen Welten des Ateliers noch die deutschen Filme prägten. Gerade die Ausstattung und die Dekorationen im Film der 1950er Jahre spiegeln die Sehnsüchte des damaligen Publikums und unterstreichen die Bedeutung der Filmstudios als „Traumfabrik“. Hier wurden die Errungenschaften des Wirtschaftswunders auf Zelluloid gebannt und der aufblühenden Konsumgesellschaft ein Denkmal gesetzt.

Die Filmarchitekten Herbert Kirchhoff und Albrecht Becker haben mit ihren Filmbauten sämtliche Höhen und Tiefen des deutschen Nachkriegsfilms durchmessen. Trümmerfilme wie „Arche Nora“ mit ihrer kargen Ausstattung stehen opulenten Historiendramen wie dem „Schinderhannes“ mit Curd Jürgens gegenüber, einem zuckersüßen Revuefilm wie „Die Dritte von rechts“ folgt ein realistisches Melodram wie „Nasser Asphalt“. Ihre Namen finden sich im Zusammenhang mit großen und wichtigen Filmen der 1950er und 1960er Jahre, aber auch kleine und eher unbedeutende Filme wurden von ihnen betreut. Insgesamt haben sie an die 70 Kinoproduktionen gemeinsam ausgestattet.

1957 bekamen sie für „Der Hauptmann von Köpenick“ ihren ersten Bundesfilmpreis für die beste Filmarchitektur. Kirchhoff und Becker hatten es geschafft, mit ihren Bauten die Atmosphäre des alten Kaiserreichs zu neuem Leben zu erwecken. Heinz Rühmann als ewiger Zuchthäusler irrt zwischen wilhelminischen Amts- und Wohnstuben, feuchten Gefängniszellen und dem übertrieben prunkvollen Köpenicker Rathaus hin und her, auf der Suche nach seinem Platz im Leben. Die aufwendigen Studiobauten wurden mit Außenaufnahmen wilhelminischer Gebäude in Hamburg ergänzt. So wurde das Altonaer Rathaus zum Bahnhof und das Finanzamt Hamburg-Schlump zum Köpenicker Rathaus. Der Film brach sämtliche Zuschauerrekorde und war 1956/57 der erfolgreichste Film in Deutschland, noch vor „Sissi, die junge Kaiserin“. Zudem wurde der „Hauptmann von Köpenick“ als erster deutscher Film überhaupt für den Oscar nominiert. 1960 folgte der nächste Bundesfilmpreis für die beste Architektur: „Das Glas Wasser“, eine Komödie, die im 18. Jahrhundert vor stilisierten theaterhaften Kulissen spielt, zeigt Gustav Gründgens in seiner letzten Filmrolle als charmanten Intriganten am englischen Hof.

Neben Helmut Käutner, mit dem sie bei „Der Hauptmann von Köpenick“ und „Das Glas Wasser“ zusammenarbeiteten, schufen sie auch die Dekorationen für Werke von namhaften deutschen Nachkriegsregisseuren wie Wolfgang Staudte und Fritz Kortner. Ebenso arbeiteten sie für die erfolgreichen Schlager- und Revuefilmspezialisten Geza von Cziffra und Georg Jacoby. Dazu gehören auch die fantasievolle Dekorationen für einige Musikfilme, in denen sich Marika Rökk austoben konnte: „Nachts im Grünen Kakadu“, „Bühne frei für Marika“ und „Die Nacht vor der Premiere“. Aus dem Nichts hat Kirchhoff als Chefarchitekt zusammen mit Becker für die REAL-Film-Produzenten Walter Koppel und Gyula Trebitsch innerhalb weniger Jahre einen der größten und modernsten Studiobetriebe in der Bundesrepublik aufgebaut. Noch heute bilden diese Ateliers den Kern von Studio Hamburg, der bevorzugten Produktionsstätte des Norddeutschen Rundfunks.

In den sechziger Jahren wurde dann das Fernsehen für Kirchhoff und Becker zum Hauptarbeitgeber. Die REAL-Film Studios waren inzwischen mehrheitlich in den Besitz des Norddeutschen Rundfunks übergegangen. Mit dem NDRFernsehspiel- Leiter Egon Monk begann hier ihre zweite Karriere. Mit Monk verband Kirchhoff ein gemeinsamer Bezugspunkt: Das Theater Bertolt Brechts. Monk war in den 1950er Jahren Assistent bei Brecht gewesen und Kirchhoff hatte in den dreißiger Jahren mit Brechts Bühnenbildner Caspar Neher zusammengearbeitet. Vor diesem gemeinsamen Hintergrund prägten sie viele Jahre die Produktionen des NDR-Fernsehspiels. Angefangen mit der Verfilmung des Brecht-Stückes „Das Leben des Galilei“ über den viel diskutierten Fernsehfilm „Schlachtvieh“, der von Eingeschlossenen in einem Eisenbahnwagen erzählt, bis zu „Ein Tag“ über das Leben in einem Konzentrationslager, wurden hier die Grundlagen für den politisch engagierten Fernsehfilm gelegt, der später auch als „Hamburger Schule“ bezeichnet wurde.

Welches kreative Potential das Fernsehen damals freilegte, zeigt ein Experimentalfilm, den Kirchhoff 1965 zusammen mit dem Komponisten Mauricio Kagel realisierte. Kagel, einer der wichtigsten modernen Komponisten in Deutschland, hatte enge Verbindungen zur Kunstszene in Köln. Im Rahmen der Fluxusbewegung veranstaltete er verschiedene „Happenings“ und brachte einige seiner Kompositionen als Theaterstücke auf die Bühne, von denen er manche auch verfilmte. In Kagels Film „Antithese“ verschachtelte Kirchhoff eine fast unüberschaubare Menge von Radios, Transistoren und anderen elektrischen Geräten zu einem Labyrinth, durch das ein Techniker in weißem Kittel irrt. Überall finden sich kleine Knöpfe, Hebel und Regler, die Geräusche erzeugen. Zuerst leise, dann immer lauter, nahm diese abstrakte Klangkomposition infernalische Ausmaße an, bis dieses fragile Gebäude aus selbstgebastelten elektronischen Musikinstrumenten mit einem ohrenbetäubenden Getöse letztlich in sich zusammenstürzte.

Schließlich entwarf Kirchhoff in den 1970er Jahren, als ihm die Filmindustrie schon lange keine Arbeitsmöglichkeiten mehr bieten konnte, zusammen mit dem Grafiker Otl Aicher die Studiodekorationen für das neue Erscheinungsbild des ZDF, das von den Kulissen für die Programmansage über die Nachrichtensendung „heute“, „das aktuelle sportstudio“ und „die hitparade“ bis hin zur Kultursendung „aspekte“ sämtliche Sendeformate umfasste. Bei einem so vielfältigen Werk kann man von einem bestimmten Stil oder einer typischen Handschrift kaum sprechen. Vielmehr ist es die durchgehende Qualität ihrer Arbeit, die beeindruckend ist. Denn auch bei eher mittelmäßigen Filmen sind die Dekorationen immer von ungewöhnlicher Originalität. Diese suggestive Wirkung der Filmbauten erhob Herbert Kirchhoff zum Prinzip. „Ich habe immer den Superrealismus von einst vermieden und meine Bauten aus einer überhöhten Sicht angelegt. Abstrahiert, wenn man so will.“ („Hamburger Abendblatt“, 5. Mai 1981, anlässlich des 70. Geburtstages von H. Kirchhoff). Denn, „meines Erachtens verkennt man allzusehr die Wirkungen des sogenannten Realismus. Man überschätzt sie und man unterschätzt das Publikum. Denn in Wirklichkeit handelt es sich doch nur um einen Pseudorealismus. Es ist ja doch alles nicht echt, nicht so echt, wie man es vortäuschen möchte. Warum also nicht einen Schritt in die entgegengesetzte Richtung tun - zum Fabelhaften?“ (Zitat aus: „Welt am Sonntag“, 10. Mai 1959).

Voraussichtlich im Herbst dieses Jahres wird unter dem Titel „Tanzende Sterne und Nasser Asphalt“ (Hrsg. Christoph Winkler u. Johanna von Rauch) im Verlag Dölling und Galitz eine umfangreiche Publikation über die Filmarchitekten Kirchhoff und Becker erscheinen.