Sammlungen

Nach dem Tod von Hellmuth Costard:

Was bleibt?

Von Heiner Roß

Er war der Mitbegründer des „Anderen Kinos“, der „Hamburger Filmmacher Cooperative“ und wohl gleichzeitig einer der ambitioniertesten Experimentalfilmer der letzten Jahrzehnte: Hellmuth Costard. Großes Aufsehen erregten 1968 die Auseinandersetzungen um seinen provokanten Kurzfilm „Besonders wertvoll“, der schon in das Programm des Oberhausener Filmfestivals aufgenommen worden war, dann aber von der Festivalleitung im letzten Moment wegen seines vermeintlich „pornographischen Inhalts“ wieder zurückgezogen wurde.

Dieser Kurzfilm kritisierte auf unkonventionelle Art und Weise die verkrusteten Strukturen der filmischen Nachwuchsförderung (u.a. zitierte ein „sprechender Penis“ Passagen aus dem Filmförderungsgesetz) und vertrat damit Positionen einer jüngeren Generation von Filmemachern, die sich gegenüber den Unterzeichnern des Oberhausener Manifests von 1962 („Der alte Film ist tot, wir glauben an den neuen!“) absetzen wollten. Vertreter der künstlerischen Avantgarde sprachen aufgrund der Filmabsetzung von „politischer Zensur“ und waren allgemein begeistert von Costards Werken, die sich nicht nur an die Sinne, sondern auch an den Kopf wendeten. In den folgenden Jahren schuf Hellmuth Costard dann als Regisseur u.a. die Filme „Die Unterdrückung der Frauen ist vor allem an dem Verhalten der Frauen selber zu erkennen“, „Die Postkarte“ (beide 1969), „Fußball wie noch nie“ (1970), „Der Elefantenfilm“ (1971), „Ein Nachmittag mit Onkel Robert“ (1975), „Der kleine Godard an das Kuratorium junger deutscher Film“ (1976), „Witzleben“ (1981), „Echtzeit“ (1983), „Krieg um Zeit (1985) und den Fernsehfilm „Aufstand der Dinge“ (1993).

Seinen 60. Geburtstag hat Costard nicht mehr erlebt, am 12. Juni 2000 starb er während der Endfertigung zu seinem Film „Vladimir Günstig – eine trojanische Affäre“. Ein Film wie sein Leben – bis zum letzten Augenblick verstrickt in die Auseinandersetzung mit neuester Öko-Technik (die von Costard entwickelte, effektive und kostengünstige Sun-Maschine spielt eine zentrale Rolle) und den neuen Videotechniken, die ein neues „Filmen“ [es gibt noch keinen eigenständigen, allgemein gültigen Begriff für diese Tätigkeit!], Schneiden und Produzieren ermöglicht.

Costards Freunde veranstalteten ein Abschiedsfest, das Kino Arsenal (Berlin) einen Abend, das Müchner Filmmuseum, die Kinemathek Karlsruhe (DAS KINO) und das Hamburger METROPOLIS widmeten ihm eine Hommage. Die Hamburger verwirklichten eine von Costard entwickelte und nie realisierte Filmreihe RIGOROSER FILM an fünf Tagen im November 2000, dem 60. Geburtstag von Hellmuth Costard.

Das darf nicht alles gewesen sein, was uns mit Hellmuth Costard, seinem Leben und Werk verbindet. Doch gleichzeitig müssen wir erkennen, dass es gar nicht möglich ist, das filmische Werk Hellmuth Costards aufzuführen, denn es gibt von vielen Arbeiten keine aufführfähigen Filmkopien oder andere, adäquat projizierbaren Bildträger.

 

Was ist geschehen?

Kein Filmarchiv der Bundesrepublik Deutschland hat die Arbeiten von Hellmuth Costard systematisch gesammelt, gesichert und gepflegt. Niemand hält das Oeuvre Costard zur Besichtigung bereit. Noch nicht einmal ein richtiges Gesamt-Werk-Verzeichnis existiert. Nur vage Listen, vom Münchner Filmmuseum, der Kinemathek Hamburg e.V. und dem langjährigen Costard-Kameramann Bernd Upnmoor erstellt, immer und immer wieder ergänzt mit „neuen“ Fundstücken, Entdeckungen und Nachrichten von Filmen, die Hellmuth Costard gemacht hat, haben soll, an denen er beteiligt war oder sein könnte.

Hellmut Costard war ein ungewöhnlich kreativer Filmer, Denker, Bastler und auch Chaot und Inspirator. Auf keinen Fall war er aber ein Chronist seiner Arbeiten und seiner Selbst. Der unermüdliche Bernd Upnmoor, der engagierte Enthusiast Volker Reißmann (Verein Filmund Fernsehmuseum Hamburg e.V.), das Staatsarchiv selber und auch die Kinemathek Hamburg e.V. haben sich verbündet, um sehr große Teile des Nachlasses von Hellmuth Costard aus verschiedenen Lagern nach Hamburg zu holen und zunächst einmal – grob sortiert – mit Depositalvertrag im Staatsarchiv einzulagern. Schon die flüchtige Beschäftigung mit diesen großen Mengen (55 Regalmeter = ca. 6,5 Kubikmeter) offenbart dem Interessierten die Vielseitigkeit der Tätigkeiten von Hellmuth Costard und seine große Mühe, das Chaos zu bewahren und zu sichern.

Sehr früh hat Bernd Upnmoor ein Konzept entwickelt, die Hinterlassenschaft Costards auf dem neuesten Stand der Bildtechnik zu sichern und zu editieren: In einer vielteiligen DVD-Edition sollen die Filme, die Drehbücher, Texte, Kritiken, Anträge, Preise, Protokolle, Fotos, Briefe, Arbeitsfassungen, TV- Filme, Unterrichtsfilme, Super- 8 Filme und Beiträge von Freunden und Forschern zusammengetragen werden.

Für diese Idee konnte Bernd Upnmoor neben der Hamburger Kulturbehörde, dem Verein CineGraph e.V., die Kinemathek Hamburg e.V. und das Film- und Fernsehmuseum Hamburg e.V. gewinnen, die recht bald hoffentlich beginnen, sich ans Werk zu machen. Die „traditionellen“ Filmarchive werden sich sicherlich auf die eine oder andere Weise beteiligen, doch wird hier ein Weg beschritten, den diese noch nicht kennen: die Digitalisierung eines Werkes vor ihrem Verfall, vor dem Verfallsdatum von Filmkopien, dass das einzige Kriterium für das „öffentliche“ Interesse an der Sicherung eines Lebenswerkes zu sein scheint. Hoffentlich sind bis dahin die Kopien nicht tatsächlich verfallen. Denn auch Filmkopien sterben.