2002 ist es soweit. Dann wird es viele Gelegenheiten geben, sich an die Anfänge des Fernsehens im modernen Deutschland zu erinnern: Sondersendungen werden gezeigt, Gala-Abende veranstaltet und bedeutende Reden über das Fernsehen als Mittler und Faktor der öffentlichen und veröffentlichten Meinung gehalten. Einer der von Anfang an dabei war, ist Carsten Diercks (80 Jahre am 8.8.2001), der als Kameramann am 25.12.1952, dem ersten Sendetag, für die Bilder aus dem Hochhausbunker am Heiligengeistfeld verantwortlich war. Er hat nun seine Erinnerungen in einem beachtenswerten und reich bebilderten Buch zusammengetragen.
Der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) in Hamburg war in den ersten Jahren allein verantwortlich für das Fernsehsignal: zunächst für wenige Zuschauer, doch keiner konnte damals ahnen, welche rasante Entwicklung das Medium nehmen würde. Mit dem Fernsehen kam die Welt in die Stube der deutschen Bundesbürger, die nach der Katastrophe des Krieges die Informationen begierig aufnahmen, um sich ein neues Bild von der Welt zu machen.
Die Drehreisen führten die Teams des NWDR und Carsten Diercks damals zunächst in die unmittelbare Umgebung (Lüneburger Heide), dann ins europäische Ausland, und bald schon nach Afrika, Nordund Südamerika, in den Orient und nach Asien sowie Australien. Mehr als 50 mal konnte Carsten Diercks im Laufe seines Berufslebens - zunächst als Kameramann, dann als Regisseur und Realisator - den Erdball umrunden, um immer wieder neue Ton- und Bildaufnahmen für das Medium zu produzieren. Viele Autoren, u.a. Ernst Schnabel, Max Rehbein, Rüdiger Proske, schufen mit ihm eindrucksvolle Dokumentationen, die die Zuschauer begeisterten. Zahlreiche Sendungen wurden bei nationalen und internationalen Wettbewerben preisgekrönt.
Nicht das fiktionale Fernsehen stand im Mittelpunkt des Interesses, es waren vielmehr die Dokumentationen, die zur Hauptsendezeit höchste Bewertungen erhielten. „Das Lebendige will ich sehen“ und „genau belegen“ – dieser aus dem Geist der authentischen Wirklichkeit geborene Realismusbegriff beherrschte die Produktionsform.
Dass die Programmgeschichte im Wesentlichen von neuen Technologien beherrscht wurde, zeigen die Aufzeichnungen von Carsten Diercks, denn neue filmtechnische Verfahren bestimmten die Entwicklung der Programmformen: die 16mm-Schmalfilmkamera, die Nickel-Cadmium-Akkus bei den Tongeräten, die Steenbeck-Schneidetische, das Filmnegativ TRI-X, ganz zu schweigen von der Einführung des Pilottons – Jahre vor den Amerikanern –, wodurch die „entfesselte Kamera“ und somit ein neuer Stil der filmischen Wirklichkeit ohne verkabeltes Tonband möglich wurde.
Für alle, die sich für die Entwicklung des Fernsehens aus der Perspektive eines Pioniers dieses Mediums interessieren, ist das Buch ein großer Gewinn.
Carsten Diercks : Die Welt kommt in die Stube. Es begann 1952: die Anfänge des Fernseh-Dokumentarfilms im NWDR/ARD. Hamburg 2001. Kostenlos erhältlich bei der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg, Große Bleichen 23, 20345 Hamburg, Tel. 040 – 42831-2143.