Längst sind die Zeiten vorbei, daß die Schulen in Hamburg im Rufe stehen, technikfeindlich zu sein. Das 20. Jahrhundert hat für Schule, Unterricht und Erziehung gewaltige Veränderungen gebracht - nicht zuletzt unter dem Einfluß der Medien. Wurde der Unterricht zu Beginn des Jahrhunderts noch von Tafel, Kreide und Schwamm sowie Büchern, Bildtafeln und anderen Anschauungsobjekten beherrscht, so halten am Ende des Jahrhunderts Multimedia und Telekommunikation Einzug in die Klassenräume. Vier Entwicklungsphasen dazwischen, jeweils etwa ein Vierteljahrhundert umfassend, sollen hier kurz aus Hamburger Perspektive dargestellt werden.
Die erste Phase der Nutzung der neuen technischen Medien wurde entscheidend geprägt vom persönlichen Engagement interesierter Pädagogen: Sie griffen zum Lichtbild und zum Film, um “Realität” in die Schule zu holen, nicht so wie sie sich Didaktiker ausgedacht hatten, sondern so wie sie wirklich ist: “Die Projektion von Lichtbildern muß als ein ganz vorzügliches Veranschaulichungsmittel Eingang in unseren Volksschulen finden”, hieß es 1906 in der Hamburger Schulzeitung.
Vom Kinofilm der ersten Jahre fühlten sich allerdings viele Lehrer und Lehrerinnen bedroht: So lautete der Titel eines Vortrags, den ein Hamburger Lehrer am 9. Januar 1907 hielt: “Wie schützen wir die Kinder vor dem schädlichen Einfluß der Theater der lebenden Photographien?” In der anschließenden Diskussion wurde allerdings auch festgestellt, daß die Filme “ihr Gutes haben können”. Es wurde eine Kommission eingesetzt, die vorhandene Filmstreifen begutachten und eine Auswahl geeigneter Filme treffen sollte. Von 200 Titeln konnten jedoch nur 30 als “im guten Sinne belehrend” passieren, darunter “Nordseefischerei” und “Kaiser Wilhelm in Wien”.
Aus dieser Kommissionsarbeit entstand ein enger Zusammenhalt interessierter Lehrer, der zwei Jahre später - im Auftrag der Oberschulbehörde - als “Ausschuß für Kinemathographie” zu einer ständigen Einrichtung wurde und in Zusammenarbeit mit der Polizei Kinovorstellungen für Kinder überprüfte und empfahl. Es kam sogar zu Absprachen über eigene Programme für Schulen. Zu den eifrigsten Mitarbeitern gehörten Ferdinand Frohböse und Charles Möller. Noch vor dem ersten Weltkrieg hieß es weitschauend in der Fachzeitschrift “Film und Lichtbild”: “Die Schule der Zukunft wird ihren Projektionssaal haben, und in 20 Jahren wird jede größere Stadt ihre Filmbibliotheken besitzen.” Im Laufe des Krieges kamen jedoch die meisten Anstrengungen zum Erliegen.
Auch nach Kriegsende und Revolution zeigen staatliche Stellen noch wenig Interesse an den “neuen” Medien. Immerhin wird Frohböse als Lehrer beurlaubt und erhält im neuen Gebäude der Oberschulbehörde in der Dammtorstraße einen winzigen Raum, um dort ein Lichtbilder- und Filmarchiv für die Hamburger Schulen einzurichten. Schulgeeignete Projektionsgeräte gibt es zwar prinzipiell, die Ausstattung der Schulen hängt jedoch sehr von einzelnen Lehrern ab. Erst 1928 wird das Staatliche Lichtbildamt geschaffen; es soll eine „Stehbild- und Lehrfilmsammlung für den Verleih zu Bildungszwecken“ aufbauen, geeignete Apparate für die Projektion prüfen und verleihen, die Leiter von Lichtbildveranstaltungen ausbilden, sowie eigene „Stehbilder und Laufbilder für Lehr- und Bildungszwecke“ herstellen. Im Archiv des Landesmedienzentrums befinden sich noch Hunderte der alten Lichtbildreihen mit Tausenden von großformatigen Dias.
Die zweite Phase wird von der Vereinheitlichung des Unterrichtsfilmwesens bestimmt. Schon in den 20er Jahren waren Lehrfilme produziert worden, die über den Bilderbühnenbund deutsche Städte verliehen wurden; in einigen Ländern gab es bereits Landesbildstellen. Erst mit der Entwicklung des 16mm-Filmformats um 1930 konnte jedoch der Durchbruch zur Nutzung des Films in der Schule gelingen: Das Material war billiger, und die Projektoren waren von jedermann zu bedienen. Die Gründung einer Reichsstelle für den Unterrichtsfilm 1934 in Berlin führte zur Bildung von Landesbildstellen in allen Ländern, in Hamburg zur Landesbildstelle Hansa, die auch Bremen und Lübeck umfaßte.
Alle Schüler in Hamburg mußten im Vierteljahr 20 Reichspfennig bezahlen; davon wurden die Schulen in den folgenden Jahren mit Projektoren augestattet und davon wurde von der Reichsstelle kurze stumme Unterrichtsfilme und Lichtbildreihen produziert. Bis zum Kriegsende waren es mehr als 300 Filme, deren Kopien an die Landes-, Stadtund Kreisbildstellen verteilt wurden. Zum größten Teil können sie im Archiv des Landesmedienzentrums besichtigt werden.
Frohböse wird von Otto Herrmann als Leiter der Landesbildstelle abgelöst, die zunächst in die Tesdorpfstraße, 1936 dann in die Rothenbaumchaussee 19 umzieht, wo sie bis 1969 bleibt. Herrmann ist auch Leiter der im selben Haus residierenden Gaufilmstelle, die für die eigentliche “nationale Schulfilmpropaganda” zuständig ist. Die stummen Unterrichtsfilme sind propagandistisch so wenig belastet, daß die englische Besatzungsmacht nach dem Krieg nur wenige Titel aussortiert (z.B. “Ein Kampftag an der Westfront”) oder von NS-Symbolen befreien muß. Die meisten Filme können, mit einem neuen Vorspann versehen, weiterhin in der Schule gezeigt werden. Bei der Umarbeitung sind vor allem nach Hamburg gekommene ehemalige Mitarbeiter der Reichstelle (die in “Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht/RWU” umbenannt worden war) beteiligt. Sie gehen 1950 nach München, als dort von den Bundesländern das Nachfolge-Institut FWU gegründet wurde. Im selben Jahr wird der Fotograf Fritz Kempe Direktor der Landesbildstelle Hamburg und löst Hans Bredereke ab, der die Landesbildstelle in den Nachkriegsjahren vorübergehend geleitet hatte.
Die dritte Phase wird durch die Weiterentwicklung des Films und die Vervielfältigung der Medien bestimmt. Erst kommt der Ton, dann kommt auch die Farbe zum Unterrichtsfilm. Entsprechend wird die Ausstattung der Schulen mit Tonfilmprojektoren verbessert. Neben den klassischen Unterrichtsfilmen für Biologie und Geographie werden immer mehr Filme für andere Fächer wie Geschichte, Sozialkunde und auch zur Medienerziehung produziert und verteilt. Außer vom FWU erhalten die Landesbildstellen auch von anderen Einrichtungen wie der Bundes- und den Landeszentralen für politische Bildung wichtige Filme, auch bedeutende Spielfilme. Für Hamburger Schulen und für die Jugendbildung werden Filmveranstaltungen organisiert. Eine große Bedeutung bekommen filmkundliche Fortbildungsveranstaltungen für Lehrer zur sinnvollen Nutzung von Filmen für Unterricht und Erziehung.
Zu den klassischen visuellen kamen akustische Medien: Neben der Schallplatte setzte sich immer stärker (vor allem für den Deutsch- und Musikunterricht) das Tonband durch. Außerdem wurde von Hamburger Schulen sehr stark der Schulfunk des NWDR (später NDR) genutzt; sie wurden mit Empfangsanlagen ausgestattet, und bei Neubauten wurde darauf geachtet, daß alle Klassenräume mit Lautsprechern ausgestattet werden.
Die sprunghafte Vermehrung der Medienarten setzte jedoch erst mit dem Bildungsboom und der “technologischen Wende” in den 60er Jahren ein. Zunächst war es der Super-8-Film (stumm und vertont), der als ein besonders leicht handhabbares Medium galt; eine weitere Erleichterung stellte der Kassettenrekorder dar, der sehr schnell das schwere Tonbandgerät ablöste. Eine reizvolle Kombination stellte die Tonbildreihe dar. Anfang der 70er Jahre wurden die Hamburger Schulen reichlich mit Overheadprojektoren ausgestattet, die endlich die Wandtafel ablösen sollten, für die aber auch eigene Medien (“Arbeitstransparente”) hergestellt wurden.
Nach ersten Versuchen in den frühen 60er Jahren vereinbarten NDR, Radio Bremen und die norddeutschen Länder die Ausstrahlung eines regelmäßigen Schulfernsehens, zunächst für Arbeitslehre, Englisch, Mathematik und Politische Bildung. Nach dem 20jährigen Siegeszug des Fernsehens in die deutschen Wohnstuben zog es auch in die Schulen ein. Anfangs waren es in Hamburg nur 20 Versuchsschulen; 1975 gab es immerhin schon mehr als 200 Fernsehempfänger in Hamburger Schulen. Die Verwendungsmöglichkeiten waren allerdings dadurch eingeschränkt, daß es an Geräten zur Aufzeichnung der Schulfernsehsendungen fehlte: Videorekorder waren noch sehr teuer und unzuverlässig. Letztlich konnte sich das Schulfernsehen im Schulalltag nicht durchsetzen. (Anfang der 90er Jahre stellte es der NDR ein, da die Länder zu einer finanziellen Beteiligung nicht bereit waren.)
Medienerziehung erhielt in dieser Zeit an Hamburger Schulen einen immer größeren Stellenwert: Im Mittelpunkt der kritischen Auseinandersetzungen im Politik-, Deutsch- und Kunstunterricht standen die manipulativen Wirkungen der Medien, der Zeitungen wie des Fernsehens. Gegenüber dem prinzipiellen Verdammungsurteil über die Medien setzte sich jedoch allmählich eine Haltung durch, die die Medienbedürfnisse gerade von Kindern und Jugendlichen ernst nahm. Dazu trug wesentlich Walter Tügel bei, der Fritz Kempe 1974 als Direktor der Landesbildstelle ablöste.
Die vierte Phase begann vor etwa 20 Jahren: Um 1980 setzte sich bei der Videoaufzeichnung das VHS-System durch, Videotheken schossen wie Pilze aus dem Boden und versorgten das Publikum mit Filmen, die im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht und auch im Kino nur unter Ausschluß der Jugendlichen gezeigt wurden. Einen weiteren Entwicklungsschub erhielt die Medienstruktur in Deutschland durch die Etablierung des privaten Rundfunks Ende der 80er Jahre. Mit der Aussicht auf 30 Kanäle und noch viel mehr schien das Medienangebot ins Unendliche zu wachsen. Tatsächlich stiegen die Mediennutzungszeiten, auch und gerade bei Kindern und Jugendlichen, allerdings nicht in dem befürchteten Umfang. In den Schulen setzte die Entwicklung mit Verzögerung ein; es brauchte etwa ein Jahrzehnt, bis alle Schulen in Hamburg mindestens einen Videorekorder hatten. Der klassische Film wurde immer mehr vom Video verdrängt, und es ist wohl abzusehen, wann nur noch Spezialisten die alte Technik bedienen können.
Von der elektronischen Speicherung der bewegten Bilder war es dann nur noch ein kleiner Schritt bis zur Digitalisierung. Seit Mitte der 80er Jahre beginnt der Computer auch die Schulen zu erobern. Zunächst wurde er für den Informatik-Unterricht und die Informationstechnische Grundbildung genutzt. Inzwischen ist er zu einem neuen Medium geworden: Er dient der Präsentation multimedialer Anwendungen und ermöglicht die weltweite Telekommunikation (“Internet”).
Rasant haben die Hamburger Schulen die neuen Informationstechniken für sich nutzbar gemacht: Alle Sekundarschulen haben mindestens einen Computer-Raum, seit dem Vorhaben Schulen ans Netz von 1996/97 verfügen sie über mindestens einen Multimedia-Rechner und einen Internet-Zugang. In laufenden Jahr werden mehr als 200 Hamburger Schulen mit der nötigen Technik und Kompetenz für die Einrichtung eines lokalen Netzes (“Intranet”) ausgestattet.
Klassische und neue Medien verschmelzen miteinander. Konsequenterweise ist daher auch die Betreuung einer zunehmend integrierten Medienerziehung zentralisiert worden: Die Landesbildstelle ist 1997 zum Landesmedienzentrum weiterentwickelt worden. Es soll dazu beitragen, das immer wichtiger werdende Ziel der Vermittlung von Medienkompetenz in der Schule zu erreichen.