Günter Timm, vielen Hamburgern als niederdeutscher Plauderer bekannt, hat auch eine Kinovergangenheit. In unserem Interview befragte Eggert Woost ihn nach seinen Erfahrungen, die er über Jahrzehnte nebenberuflich in der Filmvorführkabine gemacht hat.
Erblich vorbelastet. Mein Vater war Filmvorführer und ich hatte darüber hinaus eine angeborene Liebe für Film, Kino und alles, was damit zusammenhing.
Um zum Filmvorführer-Lehrgang zugelassen zu werden, mußte man zwei Jahre volontiert haben in einem Lichtspielhaus. Das habe ich auch gemacht, im Zentralkino in der Eimsbüttler Chaussee und Fiefstücken in Winterhude. Dann wurde man zugelassen zum Filmvorführer-Lehrgang, der vier oder sechs Wochen dauerte. Die Schule war in der Dammtorstraße, oberhalb vom „Waterloo"-Kino. In der Ausbildung kamen wir auch nach Rahlstedt in die Studios und haben erlebt, wie und mit welchen Tricks beim Film gearbeitet wird. Rückpro-Wand und all diese Dinge. Damals mußte man die Filmvorführerprüfung noch mit allen Schikanen ablegen. Das Feuerwehramt prüfte, ob man in den Sicherheitsbestimmungen bewandert war. Da musste man wissen, wie hoch und wie tief die Stufen im Kino sein dürfen, wenn es zum Rang hochgeht, Und viele andere Dinge, die man in der Praxis bestimmt nicht gebraucht hat.
Nein, hauptamtlicher Filmvorführer war ich zu keiner Zeit. Ich hatte Elektriker gelernt, später noch Meß- und Regeltechniker. Aber es waren etliche Jahre nebenbei als Vorführer. Also: Nach Feierabend gleich ab ins Kino. Dann war man erst um Mitternacht zuhause. Sonnabends noch die Spätvorstellungen. Man war jung, man hatte auch sonnabends mal was vor, wenn die Spätvorstellung endlich zuende war. Und so hat man sich Tricks ausgedacht, um die letzte Vorführung abzukürzen. Zu früh überblendet zum Beispiel.
Das ist ja bei der Spätvorstellung nicht ganz so kritisch. Ob da die Postkutsche von links nach rechts oder von rechts nach links fährt oder früher umkippt als vorgesehen, fällt ja bei Western gar nicht auf. Aber einmal hatte jemand seine Freunde mitgebracht und denen gesagt, im Film komme Schloß Sanssouci vor, und genau das hatte ich weggekniffen. Da gab's natürlich Ärger. Damals wurden noch Reklamedias vorweg gezeigt. Erst Musik im hell erleuchteten Kino, dann langsam Licht aus, Vorhang auf, Dia-Reklame mit untermalender Musik. Die Dias wurden meist von den umliegenden Geschäftsleuten geliefert und die mussten dafür bezahlen. Die normale Standzeit war 30 Sekunden. Wenn man nun angefangen hat, mit der Zeit zu sparen, hat man die Dias wie mit dem Maschinengewehr durchgenudelt. Aber es gab Geschäftsleute, die mit der Stoppuhr im Kino saßen. Und so hatte man wieder Ärger.
Der Nitrofilm lief damals aus. Man kriegte immer freitags, wenn Programmwechsel war, vom Verleiher den großen Kasten mit den Filmrollen. Manchmal lag ein großer Zettel darauf: „Achtung Filmvorführer - Nitrofilm!". Einen Filmbrand hätte ich nicht gern miterleben mögen. Von meinem Vater hatte ich es mal gehört, auch von anderen. Das Feuer entwickelt sich explosionsartig. Dann kann man nur noch sagen, rette sich, wer kann. Den brennenden Nitrofilm kann man ins Wasser schmeißen, der brennt unter Wasser weiter.
Einmal in der „Alsterburg" an der Alsterkrugchaussee, das war so ein kleines 400-Platz-Kino. Willy Fritsch wohnte an der Bebelallee, der war regelmäßig Gast bei uns. Einmal in der Pause ist der Geschäftsführer vor das Publikum getreten und hat gesagt: „Jetzt kommt ein Film mit dem berühmten Willy Fritsch und wir freuen uns, ihn hier heute als Gast zu haben". Da ist der Fritsch wütend aufgestanden und nach Hause gegangen.
Einmal hatte ich einen Kulturfilm aufgespalten. Irgendwo war die Perforation eingerissen, eine Hälfte lief nach außen und hat sich auf dem Boden aufgetürmt. Die andere Hälfte ist weiter in die Spule gelaufen - aber erst nach dem Bildfenster, sonst hätte ich's ja gemerkt. Ich war beim anderen Projektor zugange und hab' rausgeguckt, ob alles läuft. Man kennt ja jedes Geräusch in der Projektionskammer. Nun hatte ich so ein Zirpen gehört. Nachdem es nicht aufhörte, guckte ich nochmal rüber und sah dann den großen Haufen Film da. Der halbe Kulturfilm war im Eimer. Den habe ich abgeschnitten und den Rest noch vorgeführt. Und meinem Vertreter, der am nächsten Tag kam, einen Zettel geschrieben: „Hör zu, das und das ist mir passiert". Und als ich übernächsten Tag wiederkam, lag ein neuer Zettel da: „Ich hab' den Rest um die Ecke gebracht."
Kleine Pannen kamen ja immer mal wieder vor. Der Kohlevorschub wurde elektrisch betrieben...
Nein, aber man konnte mit der Hand eingreifen und nachstellen. Wenn die Kohlen zusammengebrannt waren, mußte man aufpassen, daß der Lichtbogen nicht abriß. Denn dann wurde es duster. Filmriß
war ja auch so eine heikle Sache...
Bei Klebestellen, natürlich. Aber auch durch Perforationsschäden. Wenn man überblendete, mußte man den zweiten Projektor mit Gefühl anfahren, sonst konnte der Film leicht reißen. Das war nicht so schlimm, man konnte ja gleich wieder starten. Aber wenn er mittendrin riß, war es schon ekelhafter: Die halbvolle Spule raus, eine andere nehmen und wieder neu einfädeln. Durch die Umlenkrollen war das umständlich. Es gab damals eine Art Ehrenkodex. Wenn man Mist gebaut hatte, wackelte zwar nicht das Zertifikat, aber man bekam doch einen schlechten Ruf.
Wenn man was kaputtgefahren hatte, hat das die Versicherung bezahlt, wenn man nachweisen konnte, daß der Film überaltert war.
Ich weiß von einem Kollegen, der hatte den „Hauptmann von Köpenick" gespielt und dabei hinterm Bildfenster einen Span in der Umlenkmechanik. Der Span hat einen halben Millimeter von der Schicht des Films abgeschabt. Somit war jetzt mitten im Film ein halber Meter breiter, weißer Streifen auf der Leinwand. Also, der Film war hin. Oder was noch toller war, in den „Allee-Lichtspielen" in Mona, wo jetzt das Kindertheater ist, standen zwei alte Projektoren, die waren nicht verankert, warum weiß der Teufel. Man mußte den Film genau reinfummeln und oben die Klappe einrasten lassen. Wenn man das vergaß, sprang einem die Spule auf den Kopf. Nun hatte der Vorführer wohl gar zu sehr gedrückt und den ganzen Projektor umgeschmissen. Gegen den zweiten, und der ist noch mit umgekippt. Das war damals eine „Sensation" in Fachkreisen.
Interessant war in den fünfziger Jahren der Kampf gegen das Fernsehen. Alles, was in den USA gegen das Fernsehen unternommen wurde, kam ja auch zu uns. Und so begann ein Tohuwabohu mit der Filmtechnik. Erst hatten wir das Normalformat, über viele Jahre. Dann kam das sogenannte Breitwandformat, das sieht man heute noch im Fernsehen bei den alten Breitwandfilmen. Da hat man oben und unten einen breiten Balken auf dem Bildschirm. Den hatte man natürlich im Kino nicht. Im Kino wurde ein anderes Bildfenster eingesetzt und ein anderes Objektiv genommen. Die Leinwände in den modernen Kinos wurden immer breiter, 20 Meter. Dann kam CinemaScope, da wurden wieder neue Bildfenster eingelegt, und dazu kam der Anamorphot, das war so ein dickes Objektiv. Alles neue Dinge, mit denen man gewaltige Bilder erzeugte, wo man hin und her gucken mußte wie auf dem Tennisplatz. Damit wollte man dem lauernden Fernsehen Paroli bieten. Manchmal war die Wochenschau auf normalem Film, die Voranzeigen für das nächste Programm auf Breitwand und der Hauptfilm in CinemaScope. Da durften Sie in Sekundenschnelle das Bildfenster und das Objektiv wechseln. Nachher kam noch der Vierkanalton mit mehreren Lautsprechern hinter der Leinwand und im Kinoraum selbst die sogenannten Effektlautsprecher. Hinter der Leinwand lief der Ton mit den Personen hin und her und die Geräusche erschienen irgendwo mitten im Kino. Das war akustisch schon ein Mordsding.
Zur Wochenschau ist anzumerken: Die großen Kinos spielten die Erstaufführung. Dann kamen die mittleren Kinos, die kriegten die Wochenschau, wenn sie schon ein halbes Jahr alt war. Und die kleineren noch später. Das hing alles von der Filmmiete ab.
Haargenau, ja. Ich war 'ne Zeit lang in der „Alsterburg", das war eins von den kleinen Kinos. Die hatten nicht nur die alten Filme, weil die die billigsten waren, sondern die tauschten auch noch mit einem günstig gelegenen Nachbarkino die Wochenschau. Wir hatten sie mit dem „Apollo-Kino" in der Alsterkrugchaussee zusammen.
Das kann ich Ihnen sagen! Das „Apollo" hatte eine frühere Anfangszeit als wir.
Es gab diverse Projektoren: Zeiss-Ikon, die berühmten Ememanns; Bauer; Philips; Ascania; Friesike & Höpfner und andere noch. Als Filmvorführer kannte man sie alle. Einmal durch die Ausbildung oder aus Büchern. Das ganze Getriebe der Maschinen lief in Öl. Und dieses Öl mußte regelmäßig gewechselt werden. Der Theaterbesitzer mußte die Wartungsarbeiten vergeben, oder, da ich Techniker war, mir die Wartung übertragen. So habe ich also auch die Projektoren von innen kennengelernt, was ganz interessant war und extra honoriert wurde.
Gespannt war man jede Woche, wenn ein neuer Film kam: Wie lang ist er, wieviel Akte? Fünf! Ach, wie kurz. Damals, die „Glenn-Miller-Story" hatte zehn Akte, also Überlänge. Da gab es veränderte Anfangszeiten, höhere Eintrittspreise und für den Vorführer mehr Geld. Hatte er aber sechs oder sieben Akte, so galt das noch nicht als Überlänge. Da sprang nichts bei raus, nur späterer Feierabend.
Noch ein denkwürdiges Ereignis. Einmal lag oben in der Filmkiste ein großer Hinweiszettel: „Achtung, Filmvorführer. Im 3. Akt ist 15 Minuten kein Ton!" Das war „Rififi", der Trick mit dem Schirm, damit nur kein Krümelchen runterfällt, weil der Raum mit akustischen Sensoren gesichert war. Und da war nun 'ne Viertelstunde absolut ohne Ton. Ohne diesen Hinweis wäre bestimmt jeder Filmvorführer in Panik geraten. Und er hätte nicht mal was machen können.
Ja. Natürlich. Anfangs hatten wir ja noch den Lichtton, der empfindlicher war gegen mechanische Einwirkungen. Das wurde nachher mit dem Magnetton doch viel besser, aber auch umständlicher. Da waren ja keine Projektoren, die auf diese neuen Verfahren eingerichtet waren, es wurde alles nachgerüstet. Der Theaterbesitzer kaufte nicht gleich einen neuen Projektor. Dafür gab es Zusatzgeräte. Allein diese Magnettoneinrichtung war ein kompliziertes Gerät, das da zusätzlich angebaut wurde, mit einem Dutzend Umlenkrollen, wegen der Tonberuhigung. Es wurde immer komplizierter.
Der Film „Vom Winde verweht", der wurde Mitte der fünfziger Jahre im „Esplanade-Kino" gespielt, wohl fast 80 Wochen. Am Ende gab es darüber eine Rundfunkreportage. Der Kinobesitzer erzählte, wieviele Filmkopien, wieviel Meter Kohle verbraucht worden waren. Er schilderte, wie viele Platzanweiserinnen total entnervt davongelaufen sind. Schließlich wurde der Filmvorführer gefragt, wie ihm denn der Film gefallen habe. Darauf die filmvorführertypische Antwort: „Keine Ahnung, ich habe den Film nicht gesehen". Und da wundert man sich, wenn die Filmvorführer alle ein bisschen als „g'spinnert" hingestellt wurden. Normalerweise hat jeder Filmvorführer jeden Film gekannt, bis auf die Szenen im Überblendungsbereich.
Im Freundes- und Familienkreis war man immer interessanter Gesprächspartner, konnte man doch seinen erstaunten Zuhörern erzählen, mit welchen Tricks im Film gearbeitet wurde. Rückpro-Wand, besondere Stunts oder auch Regiefehler. Cäsar mit Armbanduhr oder so etwas. Selbstverständlich galt man auch als Synchronspezialist; man wußte, welcher deutsche Schauspieler James Stewart, Burt Lancaster oder James Mason seine Stimme geliehen hatte.
Wenn weniger als fünf Leute im Kino waren, fiel die Vorstellung aus. Da hat man natürlich kurz vor Beginn zur Luke rausgeguckt: Vier Leute, also kannst' gleich nach Hause gehen. Aber eine Minute vor acht kam dann der fünfte.
Ein oder zweimal in der Woche war Filmwechsel. Wenn man den Film ausgepackt hat, waren die Rollen auf Bobby's gerollt. Man mußte sie in eine Steckspule tun und von Hand umspulen. Es war lange Zeit verboten, elektrisch umzuspulen. Man hat den Film durch die Hand laufen lassen, um einen Eindruck zu bekommen. Ruppelt er, hat er Perforationsschäden? Dann weiß man schon, ob man sich auf Filmrisse einzustellen hat und liegt auf der Lauer. Oder: Da fehlen Zacken, die schneid' ich raus, bevor man nachher Ärger hat. Eine Kerbe macht man nur, wenn ein Riß in der Perforation ist, damit er nicht weiter reißt. Aber wenn nun schon mehrere Perforationslöcher nebeneinander beschädigt sind, schneidet man die Bilder lieber ganz raus und flickt wieder zusammen.
Bildstrichverstellung. Man hat den Film eingelegt, genau ins Bildfenster. Nun hatten aber die Transportrollen, die mit ihren Zacken in die Perforation griffen, so ihre Tücken. Es kam vor, daß man beim Anfahren des Films plötzlich feststellen mußte, dass man einen Balken im Bildfenster hatte. Da gab's ja die manuelle Bildstrichverstellung, um ihn wieder rauszubringen. Aber wenn man vorm Einlegen des Films die Bildstrichverstellung nicht genau auf Mitte gebracht hatte, konnte man sich auf den Kopf stellen, den Balken bekam man nicht mehr raus, weil man am Anschlag war. Also konnte man wieder anhalten und hatte wieder eine Panne zu verzeichnen. Die Bogenlampen waren Kohle-Lampen mit Kohlestäbchen, die horizontal aufeinander zugeführt wurden. Manchmal auch im kleinen Winkel zueinander, je nach Bauart der Projektoren. Man startete die Bogenlampe bei Beginn manuell und fuhr die beiden Stäbe wieder auseinander, damit der richtige Abstand entstand und somit die volle Lichtintensität. Später wurden die Kohlen automatisch nachgeführt. Es gab verschiedene Kohlen, die Beck-Kohle und die Rein-Kohle. Die Rein-Kohle war ein einfacher Kohlestab, damit hatte es mal angefangen. In der Beck-Kohle waren Salze und alle möglichen Zusätze drin, um die Lichtintensität zu erhöhen. Damit war nun die Festigkeit nicht mehr gewährleistet und deshalb mußte sie einen leicht verbrennbaren, aber Stabilität bringenden Kupfermantel haben. Dann kam die Xenonlampe. Das war ein unter hohem Druck mit Gas gefüllter Glaskörper, kugel- oder eiförmig. Die hatten einen Vorteil, man brauchte nicht mehr auf die Kohle zu achten. Aber die Dinger waren maximal für ein Theater bis zu 500 Personen zugelassen. Bei einer entsprechenden Leinwand - sonst waren sie nicht hell genug. Im Vorführraum ist das Rauchen verboten. Wenn man da nun vier Stunden oder länger im Vorführraum stand, hatte man den Aschenbecher im Lampengehäuse des Projektors stehen und schon mal eine geraucht, obwohl man immer mit Kontrollen rechnen mußte. Die Kontrolleure vom Feuerwehramt guckten nicht nur, ob man raucht, sondern vor allem, ob man alle Sicherheitsvorschriften befolgt. Ob die Filme auch wirklich in dem Eichenschrank aufbewahrt sind, in den sie sofort nach dem Umspulen wieder rein mußten...
Der Schieber mußte von selbst wieder runterfallen. Ob man alle diese Dinge befolgte, dazu kam der Kontrolleur. Wenn er sich unten an der Kasse meldete, hatte die Kassiererin einen Druckknopf unter der Theke und die hat dann dreimal geklingelt: „Gefahr im Verzuge". Zigarette aus und schnell umgucken, alles in Ordnung? Aber es gab auch so raffinierte Kontrolleure, die wußten genau, wo der Notausgang vom Filmvorführraum ist, also kamen sie über die Stahltreppe und standen plötzlich da.
Ist Ihnen aufgefallen, wie oft ich in unserem Gespräch das Wort "damals" benutzt habe? Das ist typisch für mich, damals war die Welt noch in Ordnung in jeder, in fast jeder Beziehung, und ganz besonders im Kino!
Ich könnte noch viel mehr erzählen, obwohl das nun vierzig Jahre zurückliegt. Vierzig Jahre, und ich muß sagen: Es war in jeder Beziehung die schönste Zeit, die ich mir vorstellen kann. Kinomäßig gesehen, beruflich gesehen. Man war jung und man war reich, weil man die Jugend hatte. Das Glas war noch randvoll. Also, die fünfziger Jahre waren für mich die besten meines ganzen Lebens.