Von Till Heidenheim und Volker Reißmann
Im Mai 1946 überraschte die Zeitung „Hamburger Freie Presse“ ihre Leser mit der folgenden Meldung: „Der Traum von der Filmstadt Hamburg ist offenkundig doch mehr als ein bunter Luftballon; denn am Montag wurde im lenzlichen Ohlstedt das Alsterfilm~Atelier stimmungsvoll eingeweiht. Aus einem ehemaligen Gasthof entstand es, in besessener Arbeit einiger tüchtiger Filmtechniker und Kaufleute und unter wohlwollender Förderung der zuständigen Instanzen der Militärregierung. Allerdings werden in diesem gefälligen Atelier vorerst keine deutschen Filme hergestellt, sondern englische Filme vollsynchronisiert, dass heißt, es wird den englischen Schauspielern ein sinngerechter deutscher Text in den Mund gelegt...“.
Bis 1994 waren die ALSTER-FILM-STUDIOS führend auf dem Gebiet der Synchronisation und Endfertigung von Filmen, Fernsehserien und Werbespots. Die Techniker dieses Tonateliers spielten Ende der 1940er Jahre eine wichtige Vorreiterrolle beim Einsatz des Magnet-Tonaufnahmeverfahrens für Filmproduktionen in Deutschland. In den Tonateliers der Firma mit Sitz am Hamburger Stadtrand bekamen die ersten deutschen Nachkriegsproduktionen wie „Arche Nora“ und ,,In jenen Tagen“ genauso ihren letzten akustischen Schliff wie später die Kultfernsehserien „Bonanza“, „Columbo“ oder „Knight Rider“, deren deutsche Synchronfassungen hier entstanden.
Alles begann mit der Hinterlassenschaft des wohl merkwürdigsten Filmprojektes am Ende des Dritten Reiches, bei dem Reichspropagandaminister Goebbels angeblich sogar höchstpersönlich am Drehbuch mitschrieb: Die von der Berliner Produktionsfirma UFA für den letzten NS-Propagandafilm „Das Leben geht weiter“ unter der Regie von Wolfgang Liebeneiner zu einem Fliegerhorst in die Lüneburger Heide geschafften technischen Geräte überstanden den Krieg unbeschadet (ganz im Gegensatz zum eigentlichen Auf- nahmematerial des bei Kriegsende erst zu Zweidrittel fertiggestellten Films, welches mit Ausnahme weniger Standfotos - bis heute als verschollen gilt!). Unter den zurückgelassenen Gerätschaften befand sich auch eine komplette, voll funktionsfähige Licht-Tonapparatur.
Zusammen mit Projektoren, Bandspielern und Mikrofonen aus ehemaligen Bildstellen von Heer und Luftwaffe bildete sie den Grundstock für die am 1. Mai 1946 von der Britischen Militärregierung zugelassene „ALSTER FILM ATELIER BRECKWOLDT & CO.“ (Military Government Germany, Abteilung Information Control, Licence Nr. C 8 50 F). Diese Lizenz berechtigte Wilhelm Breckwoldt und Franz Wigankow mit sofortiger Wirkung, „ein Synchronisierungsatelier sowie einschlägige Nebenbetriebe“ zu errichten und betreiben (drei Monate später wurde das benachbarte ATLANTIK FILM KOPIERWERK gegründet, siehe dazu auch „Hamburger Flimmern“ Nr. 3).
Die Britische Militärregierung hatte ein großes Interesse daran, die Errichtung eines Betriebes zu fördern, da sie auch ihre eigenen Produktionen (wie die z.B. die Army-Monatsschau) nun in der von ihr besetzten Zone herstellen lassen konnte und damit den zeitaufwendigen Umweg über britische Kopier- und Vertonungswerke sparte. Zudem konnten die Briten ihre Filme dem deutschen Publikum „mundgerecht“ verkaufen und dadurch den Erfolg in deutschen Lichtspieltheatern wesentlich steigern.
Der am 1. Oktober 1905 in Hamburg geborene Wilhelm Breckwoldt hatte schon in der Vorkriegszeit sein kaufmännisches Talent erfolgreich unter Beweis gestellt, so als er sich beispielsweise 1927 knapp 1200 Reichsmark von einer Freundin lieh und mit einer Schreibmaschine seine ersten Exportgeschäfte nach Malta startete. Zu Beginn der 1970er Jahre war daraus ein weltumspannender Handelskonzern namens Breckwoldt-Gruppe (kurz: BREWO) geworden, zu dem nicht nur die ALSTER FILMINDUSTRIE GmbH und das ATLANTIK FILM KOPIERWERK Hamburg gehörten, sondem insbesondere auch Export-, Transit- und Reisegeschäfte aller Art mit 28 Niederlassungen in Afrika, Lateinamerika und dem pazifischen Raum (Breckwoldt selbst wurde 1965 Generalkonsul für den afrikanischen Staat Sierra Leone in Hamburg; zurückgezogen vom Geschäftsleben verstarb er am 12. November 1984 in Hamburg).
Unter großen technischen Schwierigkeiten und der Verpflichtung zur Einhaltung diverser strenger Gesetze, Vorschriften und Anordnungen der Alliierten Militärbehörden hatte noch im Mai 1946 die Arbeit im ersten Synchronisations-atelier der britischen Besatzungszone in Ohlstedt begonnen. Man baute den ehemaligen Tanzsaal eines Gasthofes zum Tonstudio um. Von Anfang an dabei war neben Breckwoldt, Bruno Jensen und Franz Wigankow auch der spätere Tonmeister Hans-Joachim Wulkow, der sich wie folgt erinnert:
„Mein Bruder hatte schon vor dem Kriege bei Borgstädt als Kameramann gearbeitet und zuvor bei der KOSMOS-Film an der Wandsbeker Chaussee. Ich habe dort auch zunächst für zwei oder drei Monate gearbeitet. Kurz darauf habe ich zusammen mit dem Ingenieur A. Reimer, den ich bei der KOSMOS kennengelernt hatte, bei „Radio-Lorenz“ am Steckelhörn angefangen, Radios für den Schwarzmarkt zu bauen, was zu der Zeit sehr lukrativ war. Dort erzählte mein Bruder von dem Gerücht, dass in Ohlstedt ein neuer Filmbetrieb aufgebaut werden sollte. Da habe ich mich auch gleich vorgestellt und Breckwoldt stellte mich als Laufbursche an. Der Elektromeister Richard Semler und die ehemaligen UFA-Mitarbeiter Arthur Schlecht und Werner Schlagge fingen zusammen mit mir an. Mein eigentlicher Lehrmeister aber war Robert Fehrmann. Improvisation war damals alles. Wir hatten aus anderen Quellen Plattenschneidegeräte, die wir dann zu einfachen Plattenspielern umfunktioniert haben, als Musikquelle. Ferner standen uns ein Mikrofon und ein umgebautes, kombiniertes Mischpult zur Verfügung. Es musste damals alles ‚live’, d.h. gleichzeitig gemacht werden. Der Sprecher stand im Studio, das Bild wurde mit einem Filmprojektor vorgeführt und es wurden Proben mit Geräuschen und gegebenenfalls auch Musik von zwei oder drei Schallplatten gemacht. Dann wurden die Platten synchron zum Bild abgespielt, der Sprecher bekam ein Zeichen, wann sein Sprecheinsatz erfolgen musste - und alles wurde gleichzeitig von der Licht-Tonkamera aufgenommen. Das funktionierte prima, nur durfte möglichst kein Fehler passieren, denn man konnte alles höchstens ein- bzw. zweimal machen, da mehr Tonspuren bei Lichtton ja nicht zur Verfügung standen. Und wenn etwas schiefging, musste man wieder von vorne beginnen, mit neuem Filmmaterial, und das war damals ja bekanntlich sehr teuer! Es war immer wieder spannend, etwas auszuprobieren, was eigentlich so bisher noch nicht gemacht worden war, wie zum Beispiel das Markieren von O-Tönen auf Schallplatten mittels eines Wachsstiftes, um sie zum exakt richtigen Zeitpunkt einzuspielen.
Wir waren immer froh, wenn uns so etwas perfekt glückte, wie z.B. bei den Aufnahmen von der Sprengung des Berliner Glockenturmes im Olympiastadion, wo wir die Detonation - dieses ‚krrrwummms’ - von einer Schallplatte nachträglich auf das Filmmaterial kopierten und keiner hat gemerkt, dass gar nicht die richtige Sprengung zu hören war. Viele Geräusche, die nicht auf Schallplatte vorrätig waren, haben wir übrigens selbst hergestellt...“.
Ein Werbefilm in eigener Sache zu Beginn der 1960er Jahre demonstriert, mit welchem Einfallsreichtum und lmprovisationstalent man das „Geräuschemachen“ bei der ALSTER betrieb: Wurde z.B. bei einer Filmszene das Stampfen von Militärstiefeln als Hintergrundgeräusch benötigt, kommandierte man einfach ein Dutzend Mitarbeiter auf den Firmenhof, die nun emsig bemüht waren, im Kreise vor dem aufgestellten Mikrofon mit ihrem Schuhwerk die benötigten O-Töne zu rekonstruieren. Um das charakteristische Knarren von Ruderblättern zu erzeugen, benutzte man einen alten, vierbeinigen Holzstuhl, den ein Mitarbeiter dann als „Wippe“ benutzte. Dass das „Klappern“ zum Handwerk bei der ALSTER gehörte, demonstrierten nicht zuletzt sehr eindrucksvoll zwei hohle Kokosnusshälften, die für die Erzeugung von „Pferdehuf-Geklappere“ benutzt wurden.
Die beschauliche Ruhe der Walddörfer erwies sich durchaus als Vorteil für das Synchronisationsgeschäft; nur der Umstand, dass das Tonatelier in der Einflugschneise des Flughafens Fuhlsbüttel lag und natürlich noch nicht schalldicht war, führte zeitweise zu dem Kuriosum, dass Mitarbeiter des Betriebes abwechselnd auf dem Dach Ausschau nach einfliegenden Maschinen halten mussten, damit die Synchronisation dann sofort gestoppt werden konnte. Das war noch zur Lichtton-aufnahmezeit und nur ein einziger Fehler oder ein landendes Flugzeug, und 300 Meter Tonnegativ im Format 35-mm waren unbrauchbar! Um dem abzuhelfen, wurden in den folgenden Jahren bei den ALSTER-FILM-STUDIOS die ersten Versuche unternommen, den Magnetton für die Filmaufnahme zu benutzen. Man baute ein altes Dora-Koffermagnetofon aus Wehrmachtsbeständen zu einem Magnetofon mit Hochfrequenz-Vormagnetisierung um.
Nach einigen Versuchen wurde, vielleicht sogar zum ersten Male in der Filmgeschichte, Ton für einen Film zuerst auf Magnetband aufgenommen. Heute noch ist weitgehend unbekannt, dass im Osten Hamburgs der möglicherweise erste Schritt zur später weltweit im Filmbereich verwendeten Tonaufnahmetechnik auf Magnetmaterial, Branchenjargon Senkelband (wegen der geringen Bandbreite von 1/4 Zoll bzw. 6,25 mm) unter der Leitung von Robert Fehrmann getan wurde. Diese allererste, inzwischen längst ausgemusterte Magnetofonanlage überlebte aller Verschrottungsversuche nur Dank der Initiative des Tonmeisters Hans-Joachim Wulkow, in dessen Keller sie heute ein ganz besonderes Museumsstück darstellt (und nun dankenswerterweise sogar unserem Museum übergeben werden soll!).
Man mag heute im Zeitalter von Computer- und Digitalsoundsystemen über die damalige Erfindung lächeln, aber man muss bedenken, dass es damals weder perforiertes Magnettonmaterial noch PERFO-Aufnahmemaschinen und -Bandspieler gab. Erst mit Einführung dieser neuen Technik wurden alle Vertonungsarbeiten vereinfacht. Viele erfahrene Cutter glaubten nicht, dass sich dieser Neuerung, die unter Mitwirkung der Telefunken entstand, jemals durchsetzen würde. Man konnte ja beim Schneiden des Tones die Aufzeichnung nicht mehr genau sehen. Wie sollte man da überhaupt bildgenau arbeiten? Doch die Skeptiker wurden bald durch die erfolgreiche Praxisanwendung eines Besseren belehrt, auch wenn die Umstellung für viele Mitarbeiter erhebliche Schwierigkeiten mit sich brachte.
Dass unter abenteuerlichsten Bedingungen gearbeitet wurde, merkte man den ersten Arbeiten auch durchaus an: Schon in einer zeitgenössischen Filmrezension der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ zu Helmut Käutners „In jenen Tagen“ wurde der unzulängliche Ton bemängelt. Ehemalige Mitarbeiter erinnern sich noch gut an die einzige Atelieraufnahme für diesen Film, denn für Käutner sollte eine Szene gedreht werden, in der Schüsse fielen. Der Waffenbesitz war den Deutschen damals aber streng verboten. Also schwatzte man kurzerhand für den Drehtag einem Engländer seine Dienstpistole ab.
Auch die erste Produktion der gerade gegründeten REAL-Film von Walter Koppel und Gyula Trebitsch, „Arche Nora“, entstand weitgehend in dem Einraum-Atelier der ALSTER STUDIOS. Michael Töteberg beschrieb in seinem Buch „Filmstadt Hamburg“ die Dreharbeiten wie folgt: „Die Außenaufnahmen wurden in Hammerbrook gedreht: Den Wohnkahn, die ‚Arche Nora’, hatten die Filmleute an der Bille nahe der Grünen Brücke aufgebaut. Was folgte, erwies sich als weit schwieriger: In Ohlstedt, 30 Kilometer entfernt, verwandelten sie den Tanzsaal einer Gastwirtschaft in ein Behelfsatelier.
Der Raum war eigentlich zu klein - sieben Meter breit, 15 Meter lang - und die Decke viel zu niedrig. In dieser Enge hatten Kameramann, Beleuchter und Tonleute kaum Bewegungsfreiheit; eine Totale konnten sie nicht drehen, sondern nur Naheinstellungen. Umbauten waren nicht möglich, man konnte immer nur eine Dekoration aufstellen, Kamerafahrten waren undenkbar, ein Perspektivenwechsel bedeutete stundenlange Unterbrechungen. Die technischen Geräte - in Hamburg waren sie nicht aufzutreiben, man lieh sie sich gegen entsprechende Bezahlung bei der DEFA aus - waren im Waschraum des Lokals untergebracht; vor dem Atelier stand ein gemieteter Zirkuswagen, der den Schauspielern als Garderobe diente... Die Ohlstedter betrachteten das Treiben der Filmleute mit Misstrauen und Neugier.“
Erst 1948 konnte REAL-Film ein eigenes Studio in Tonndorf beziehen. Genauso wie andere Filmproduktionsfirmen mit eigenen Aufnahmehallen überließ man jedoch weiterhin in der Regel die tontechnische Betreuung der REAL-Filme den ALSTER STUDIOS. Gleiches galt übrigens auch für die ONDIA-, KOSMOS-, COMET-, CAMERA-FILM und DIE DEUTSCHE DOKUMENTARFILM-GESELLSCHAFT. Letztere ließ 1959 bei der ALSTER sogar ihre bis dahin größte Produktion, „Die Pamir“, einen Film über die letzten Großsegler, vertonen.
Eine wichtige Rolle beim Aufbau der ALSTER STUDIOS nahm zweifellos auch der am 5. August 1911 in Göttingen geborene Tjado Smid ein, der ab 1948 bei dem Unternehmen als Atelierchef tätig war und von Kunden wie Mitarbeitern im Scherz „Käpt’n“ genannt wurde: Tatsächlich besaß er das Kapitäns-Patent für große Fahrt und gehörte sogar der Vereinigung der Cap Horniers an. Seine Verbindung zur Seeschifffahrt erkannte man an vielen seiner markanten Aussprüche, seiner manchmal etwas brummigen „Seebär“-Art und der Zufriedenheit, wenn das Schiff (sprich: die Firma) voll geladen hatte „und all People am Bord“ waren. So bildete in einer Fotomontage auch der „Kapitän und seine erfolgreiche Mannschaft“ das Motiv für die Weihnachtspostkarte 1972 des Studios - als Schiffscrew, die immer für den „guten Ton“ auf dem ALSTER-Dampfer sorgte! Völlig unerwartet starb Atelierchef Smid am 17. Februar 1981, sein direkter Nachfolger als Studioleiter wurde Tonmeister Hans-Joachim Wulkow.
Fast alle wichtigen Filmstars der Nachkriegszeit wie Joseph Offenbach, Richard Münch, Hermann Schomberg, Paul Klinger, Manfred Steffen, Heinz Klevenow, Ida Ehre, Willy Maertens, Ruth Leuwerik, Peter Schütte, Harry Meyen, Robert Meyn, Hans Harloff, Heinz Klingenberg, Kurt A. Jung, Ilse Bally und Eduard Marks arbeiteten in den ALSTER STUDIOS als Synchronsprecher, und auch bekannte Politiker wie Konrad Adenauer oder Helmut Schmidt vertonten hier ihre Wahlkampfspots. Später liehen Friedrich Schütter, Wolfgang Kieling, Volker Lechtenbrink, Werner Veigel oder Dagmar Berghoff ihre Stimme prominenten US-Stars.
Die 1960er Jahre waren die eigentlichen Boom-Jahre des Synchrongeschäfts: Zwar ging die Nachfrage nach synchronisierten Spielfilmen aus dem angelsächsischen Sprachraum zurück, doch das aufkommende Fernsehen kompensierte die im Kinobereich auftretenden Lücken mehr als reichlich. Im sogenannten Fernsehbunker auf dem Heiligengeistfeld war 1950/51 mit der Fernsehproduktion begonnen worden. Was lag näher, als sich auch hier die technische Erfahrung der ALSTER nutzbar zu machen? Viele der ersten Sendungen wurden in Ohlstedt vertont und für die Arbeit im eigenen Hause holte man sich manche Anregungen von der ALSTER. Auch umgekehrt gab es neue Impulse: Der l6mm-Film wurde dem 35mm-Film ebenbürtig. Die Industrie entwickelte laufend neue Apparaturen und bald war ein Schmalfilm genauso schnell und gut wie ein Normalfilm zu vertonen.
Heinz Drache ‚lieh’ dem populären Serienstar John Drake seine Stimme und der französische Kommissar Maigret wurde von Alf Marholm gesprochen. Marina Ried z.B. war in der Fernsehserie „Der Geist und Missis Muir“ die Stimme von Hope Lange. Der Durbridge-Zweiteiler „Die Puppe“, die TV-Serie „Thriller“ und nicht zuletzt die über 100 Folgen à 45 Minuten der überaus erfolgreichen Westernserie „Bonanza“ bekamen den „richtigen deutschen Ton“ im ALSTER STUDIO verpasst. Wenn die Abenteuer der Cartwrights auf ihrer Ponderosa-Ranch jeden Sonntagnachmittag im ZDF über den Bildschirm flimmerten, saß fast die ganze Nation geschlossen vor dem Fernseher. Von den damals erzielten Rekordeinschaltquoten kann man heute in den Sendeanstalten nur noch träumen. Und die Stimme von Familienoberhaupt Ben Cartwright (gesprochen von dem unvergessenen Friedrich Schütter vom Ernst-Deutsch-Theater!) und die seiner Söhne Hoss, Adam und Little Joe (Horst Breitenfeld, Horst Stark, Thomas Pieper) - kurzum der ganze Ton der deutschen Serienfassung - kamen aus Hamburg!
Im Laufe der Jahre wurden immer neue Tonateliers auf dem Gelände in Ohlstedt gebaut, um den gestiegenen Qualitätsansprüchen gerecht zu werden, wie z.B. das 1970 feierlich eingeweihte Studio IV für die neuen Mehrkanaltonaufnahmen. Die ALSTER expandierte und „Prominentenwerbung“ hieß das Zauberwort im Wirtschaftswunderland. Ob Franz Beckenbauer für ’ne gute Nudelsuppe alles andere stehen ließ, Curd Jürgens 60 Jahre und kein bisschen weise schmetterte oder Peter Ustinov dem „Dornkaat“-Mann seine Stimme lieh - die ALSTER war immer dabei. In der Hoch-Zeit wurden hier fast 40 Prozent aller deutschen Werbeproduktionen vertont. Wahlkampfspots und Tonbildschauen für die gewerbliche Industrie entstanden bei der ALSTER genauso wie komplizierte Stereomusikaufnahmen für Schallplatten- und Rundfunkproduktionen. Am 19. Mai 1971 konnten rund 250 Betriebsangehörige von ALSTER und ATLANTIK das 25-jährige Jubliläum mit zahlreichen Gästen aus der Film-, Fernseh- und Werbebranche feiern. Der damalige Wirtschaftssenator Helmuth Kern würdigte die Bedeutung der in Ohlstedt ansässigen Firmen für das Kulturleben Hamburgs:
„Sie geben zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten für Autoren, Musiker, Bühnenbildner und für andere künstlerische Berufe“.
Der Abstieg der ALSTER STUDIOS kündigte sich Ende der 1970er Jahre an. Da das Privatfernsehen mit seinem immensen Synchronbedarf wegen politischer Streitigkeiten noch einige Jahre auf sich warten ließ, die Aufträge aber insgesamt - nicht zuletzt aufgrund starker Konkurrenz - zurückgingen, waren die Tonateliers nicht mehr ausgelastet. Dennoch: großes Lob und zahlreiche Preise erhielten beispielsweise 1980 die ALSTER STUDIOS für die inzwischen legendäre Abmischung und „Soundtrack-Kosmetik“ von Wolfgang Petersens Weltkriegsdrama „Das Boot“. Aber solche spektakulären Aufträge alleine konnten die zahlreichen Tonateliers langfristig nicht auslasten. Zudem konnte wegen einer zu geringen Eigenkapitalbasis die Mutterfirma, das Handelshaus Breckwoldt, insgesamt nicht mehr im internationalen Wettbewerb mithalten. Das kostspielige Netz von überseeischen Filialen und Auslandsgesellschaften war der Konkurrenz insbesondere aus Japan und Südostasien nicht mehr gewachsen.
So wurden Ende November 1980 alle Anteile des persönlich haftenden Gesellschafter Hajo Breckwoldt und der anderen Kommanditisten an eine Tochterfirma des britischen ITM-Konzerns, die Deutsche Meridien Trade GmbH übertragen, die von nun an als MERIDIEN BRECKWOLDT GmbH weitergeführt wurde. Hajo Breckwoldt trennte sich völlig vom Handelshaus und behielt nur eine geringe Beteiligung an den ALSTER STUDIOS, die Ende 1980 an den Porno-produzenten Alan Vydra (Motto: Pornofilme mit Niveau und Handlung!) für über eine Million DM verkauft wurden. Der Exil-Tscheche, der bei Beate Uhse sein Handwerk gelernt hatte, galt branchenintern als einer der „erfolgreichsten Porno-Filmer der Welt“ und wollte das mit seinen Sexfilmchen verdiente Geld nun mit dem Kauf der ALSTER STUDIOS gewinnbringend anlegen. Er versuchte die Tonateliers auf den neuesten technischen Stand zu bringen und baute u.a. neue Dolby-Stereo-Aufnahmegeräte ein. Eine weitere bahnbrechende Erfindung fand 1980/81 in den Ateliers der ALSTER STUDIOS statt. Fernsehfilme, die man auf 2-Zoll-Magnetband aufgenommen hatte, konnten nur synchronisiert werden, nachdem man sie auf Filmmaterial umgespielt hatte („fazen“). Eine kostspielige und zeitraubende Prozedur. Alan Vydra und der technisch äußerst begabte Wolfgang Giese (verstorben im Mai 1999) entwickelten eine Methode, nach der man von 2-Zoll auf U-matic umgespieltes Material synchronisieren konnte. Das ZDF unterstützte diese Entwicklung und gab den auf 2-Zoll produzierten Film „Die Landkarte der neuen Welt“ in Auftrag. Das perfekte Ergebnis führte bald in den Synchronstudios in Hamburg, Berlin und München zur Einführung dieser neuen preiswerten Form der Synchronisation. Mit dem Kauf der Bendestorfer Video-firma VIDEORING verspekulierte sich Vydra jedoch wenig später. Denn dort fehlten plötzlich laut Zeitungsberichten über 1,5 Millionen DM, die beim Kauf noch in der Bilanz angegeben waren. ALSTER STUDIOS: SEXFILMER GING IN KONKURS, lautete dann auch die Schlagzeile in der BILD-Zeitung am 16. Juni 1982. „Herr Vydra hat sich wahrscheinlich finanziell übernommen“, soll Hajo Breckwoldt, Sohn des Studiogründers und selbst noch mit 10.000 DM beteiligt, laut diesem Zeitungsbericht geäußert haben. Die Mai-Gehälter der 30 Mitarbeiter konnten nicht mehr gezahlt werden und auch diverse freie Synchronsprecher warteten noch auf Geld aus den Vormonaten.
Vom Amtsgericht wurde ein Konkursverwalter eingesetzt, der den Betrieb zunächst weiterführte. Der Konkursverwalter wollte die Studios wieder zum Laufen bringen und beauftragte Hans-Joachim Wulkow, der damals Betriebsleiter war, den Versuch zu starten, die Firma zu sanieren: „Wir warteten geduldig auf den Lohn, deckten sogar das morsche Dach wieder selbst. Wir hielten zusammen wie eine Großfamilie“, erinnert sich Wulkow. Aber kaum saniert, wurden die Tonateliers an den US-Multi CIC (Joint-Venture von Paramount- und Universal-Studios) verkauft, die die Tonateliers für die Synchronisation ihrer Video- und Kinofilme benutzen wollten.
Doch wegen „Managementquerelen“ mit den neuen Besitzern verließ Wulkow unfreiwillig nach 42 Jahren die Firma. Mit dem Arbeitsstil der Amerikaner konnte er sich nicht anfreunden und gründete stattdessen in Konkurrenz zu den ALSTER STUDIOS eine eigene Synchronfirma.
Vorübergehend sorgten Mitte der 1980er Jahre die lange erhofften Synchronaufträge von Privatsendem wie RTLplus mit der erfolgreichen US-Action-Serie „Knight Rider“ und dem Krimiklassiker „Columbo“ mit Peter Falk für volle Auftragsbücher und gute Auslastung der Tonateliers. Doch schnell verlor auch die CIC das Interesse an der Firma, zumal der Videomarkt Anfang der 1990er Jahre überall in Deutschland einbrach. Im Jahre 1991 wurden die ALSTER STUDIOS vom Münchner Filmgroßunternehmer Bernd Gürtler übernommen, der den Synchronbetrieb zunächst unverändert fortführte. Da sich die Situation auf dem Synchronmarkt jedoch auch in der Folgezeit nicht besserte, beschloss die Geschäftsführung, den Betrieb der ALSTER STUDIOS als eigenständige Firma unter dem Dach des Gürtler-Konzerns im September 1994 einzustellen.
Große Teile der Betriebsanlagen werden jedoch bis heute für die Endfertigung durch die Firma Gürtler und andere Medienfirmen genutzt (u.a. von der ClNE-SYNCHRON, die seit zwei Jahren mit angemieteter Technik Filme vertont). Noch immer also arbeiten Synchronsprecher im dörflichen Ohlstedt an Hamburgs Stadtrand, wo die Medien FILM, TON und VIDEO heute an gleichsam historischer Stätte eine Symbiose eingehen.
So wird das Gebäude am Melhopweg 26 mit Sicherheit auch zukünftig an den ehemaligen Standort des traditionsreichen Hamburger Filmunternehmens ALSTER FILM STUDIOS erinnern, wohin Medienkunden und Filmschaffende immer gerne wegen der friedvollen Atmosphäre kommen.